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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht über Fuhlsbüttel und Sachsenhausen

Nach dem 24. November 1938 verfasste ein fast 70-jähriger Hamburger Rechtsanwalts einen Augenzeugenbericht über seine Haft im Zuchthaus Fuhlsbüttel und im Konzentrationslager Sachsenhausen:

Ich wurde am 10. November 1938 des Morgens um 7 Uhr aus dem Bett heraus verhaftet, zunächst zum Polizeirevier und sodann in das Zuchthaus Fuhlsbüttel gebracht. Dort wurden wir verladen in Waggons, ohne zu wissen, wohin wir gebracht wurden. Der Transport ging nach Sachsenhausen.

Im Zuge hatten Schupobeamte die Aufsicht, die sich korrekt benahmen und uns nur verboten, miteinander zu sprechen. Bei uns befanden sich einige Leute, die bereits bei der Juliaktion nach Sachsenhausen gebracht waren. Sie sagten uns, wir müssten tapfer sein, das Schlimmste sei die Ankunft und der Weg von der Station Oranienburg nach dem Lager. Dieser Weg, der normalerweise 40 bis 50 Minuten in Anspruch nimmt, sollte von uns in einer Viertelstunde zurückgelegt werden. Wir wurden mit Kolbenstoßen von der bereitstehenden SS in Empfang genommen und auf den Weg gestoßen. Da ich schwer leidend bin und besonders das Gehen mir schwerfällt (ich bin weit über 60 Jahre alt), war es mir unmöglich, das Tempo einzuhalten, und nach dreiMinuten fiel ich ohnmächtig hin. Man packte mich darauf und schleuderte mich mit dem Kopf voran in ein Transportauto; nur dadurch, dass ich instinktiv die Hände vor den Kopf hielt, verhinderte ich, dass ich mit aller Wucht gegen die Wagenwand flog. Da ich in der ersten Minute nicht aufstehen konnte, riss man mich so brutal hoch, dass mir dabei der Mantel und das Jackett ausgezogen wurden.

Um J23 Uhr nachts kamen wir im Lager an. Ich stand dann in Hemdsärmeln auf dem Appellplatz, ohne etwas zu essen, bis zum nächsten Nachmittag um 5 Uhr. Ältere Sträflinge, die von der Arbeit kamen, gaben uns, soweit es ihnen unbemerkt möglich war, etwas von ihrem Brot.

Nachts um 5 Uhr fand dann die Aufnahme der Personalien statt; dabei musste der, der an der Reihe war, nachdem er seine Personalien angegeben hatte, in schnellstem Tempo an der Reihe der uns flankierenden SS-Leute vorbei an den linken Flügel der Gruppe laufen und sich dort wieder anschließen. - Bei diesem Laufen stolperte ich und wurde, als ich mich entschuldigte, unflätig beschimpft und irrsinnig auf das Gesäß geschlagen. Meine Kameraden, die gesehen hatten, dass einer der jungen SS-Leute, alles Jungen von 18 bis 20 Jahren, mir ein Bein gestellt hatte, empfingen mich, als ich endlich bei ihnen ankam, mit Tränen in den Augen.

Als wir dann endlich in die Baracken verteilt wurden, hatten unsere schlimmsten Leiden ein Ende. Die Barackenältesten, alles ältere meist politische Sträflinge, die die Aufsicht führten, benahmen sich sehr anständig gegen uns und versuchten, uns jede mögliche Erleichterung zu schaffen. So wurde ich nach ein paar Tagen auf die Schreibstube kommandiert und brauchte meist auch nicht mehr zu den Appellen anzutreten. Die Schreibstube stand unter der Leitung eines verhafteten Pfarrers der Bekenntniskirche, außer mir arbeitete noch ein jüdischer Lehrer dort. Die SS kam, um unsere Arbeiten zu kontrollieren, da sie aber selbst von den Dingen nichts verstanden, hatten sie einen gewissen Respekt vor unserer Tätigkeit, wie es im Allgemeinen ungebildete Menschen vor jeder so genannten geistigen Betätigung haben.

Wir erlebten trotzdem noch genug des Schreckens. So fiel einmal ein Mann in meiner Nähe in Reih und Glied tot um; er war zu viel geschlagen worden.

Unser Blockältester hielt auf strenge Zucht, aber es war, wie er selbst sagte, mit ihm zu reden. Allerdings konnte er auch nichts daran ändern, dass wir nachts wie die Heringe nebeneinanderliegen mussten. Umdrehen konnte man sich nicht, so wie man sich des Abends hingelegt hatte, musste man die Nacht verbringen, sonst hätte man seinen Nebenmann erdrückt. Für mich, der ich des Nachts mehrfach aufstehen muss, war das eine besondere Qual, doch halfen mir meine Kameraden in rührender Weise.

Sehr schlecht war die ärztliche Versorgung, kaum einer traute sich in das so genannte Revier. Ich unterließ es auch, trotzdem ich dringend ärztliche Behandlung nötig gehabt hätte.

Ich wurde nach 14 Tagen entlassen. Selbstverständlich wurde einem angeraten, so schnell wie möglich auszuwandern. Alle Beamten, mit denen ich in meiner Auswanderungsangelegenheit zu tun hatte, benahmen sich nicht nur korrekt, sondern mit merklichem Entgegenkommen. Durch meine jahrelange Tätigkeit für die jüdische Gemeinde meiner Heimatstadt war ich allen gut bekannt. Trotzdem ich keinen Anspruch mehr auf meinen Titel hatte, wurde ich überall immer noch mit „Herr Rechtsanwalt“ begrüßt. Man hatte das Gefühl, dass manche die Gelegenheit mit Freude ergriffen, einem verständlich zu machen, dass sie mit den Methoden des Regimes keineswegs einverstanden seien.

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