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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht über Dachau

Anfang Dezember 1938 übermittelt Menko Max Hirsch - mittlerweile in Antwerpen, einen Bericht über drei Wochen Haft in Dachau:

Der Betreffende wurde von seiner Heimat im Personenwaggon mit vielen hundert anderen zusammen in Begleitung von Kriminalbeamten nach dem Orte Dachau transportiert. Die Reise dauerte ungefähr zehn Stunden. In manchen Abteilen waren die Beamten menschlich und beschafften auch den Gefangenen Wasser, in anderen wieder nicht, sodass sie sehr an Durst litten.

Von Dachau-Bahnhof ab wurden die Gefangenen in einige Viehwagen gepfercht - ungefähr 100 Leute in einen Viehwagen sodass sie nur stehend aneinandergepresst den Rest der Reise ablegen konnten.

Im Lager wurden die Leute zuerst selbstverständlich geschoren. Ein Teil der Leute bekam Uniform, die anderen konnten ihre eigenen Kleider anbehalten, da die Drillichanzüge nicht reichten. Die Baracken in Dachau sind ziemlich gut und fest gebaut und haben Steinfußboden. An sich ist eine solche Baracke für 100 Leute eingerichtet. Auf der einen Seite ist ein Schlafraum, in dem Stroh geschichtet ist, auf der anderen Seite ist ein Wohnraum. Dazwischen sind einige Latrinen und ein Waschraum. Das wäre für hundert Leute genügend, aber in einer solchen Baracke liegen jetzt 200 Mann, sodass auch der Wohnraum vollkommen angefüllt ist.

Selbstverständlich wurden den Gefangenen bei ihrem Eintritt die Uhr, Geld, Taschenmesser usw. abgenommen. Mein Gewährsmann bekam aber seine Sachen bei der Entlassung zurück. Der Dienst fängt um 5 Uhr mit Wecken an. Dann gibt es Kaffee und Brot-vier Mann müssen sich ein Kommissbrot für einen Tag teilen. Um 6 Uhr ist Raustreten, um 6.30 Uhr Antreten; der Appell dauert dann bis gegen 8 Uhr, denn es sind in dieser Abteilung des Lagers allein 12000 Juden gewesen. Allein das Zählen dauert lange, da eine solche Menge Menschen zu zählen zu vielen Fehlern führt.

Nach dem Appell findet dann bis 11 Uhr Exerzieren statt, dann Mittagessen, um 1 Uhr wieder Antreten, wieder Exerzieren bis 6 Uhr, manchmal auch noch länger. Von 6 bis 8 Uhr ist Freizeit, dann wird das Licht ausgemacht. Jeder, der danach noch die Lagergasse betritt, wird erschossen. In der Freizeit ist Rauchen erlaubt.

Das Schlimmste ist, dass die Leute nicht aus den Kleidern kommen, keine Sachen zum Wechseln haben und die Leute, die die so genannte Uniform anhaben, fast immer durchkältet und durchnässt sind. Man kann im Lager sich wollene Unterwäsche für RM 5 - kaufen, aber da die meisten Leute kein Geld haben oder keines geschickt bekommen oder das Geld nicht angekommen ist, ist das eine unerreichbare Sache.

Mein Gewährsmann war nicht sehr lange im Lager, nur ungefähr drei Wochen, dann wurde er an einem Morgen beim Appell aufgerufen, dass er zur Entlassung käme. Die Entlassungsformalitäten dauerten einen ganzen Tag. Die ärztliche Untersuchung bestand darin, dass der Arzt untersuchte, ob er auch keine Striemen oder blaue Flecke von einem Tritt oder Schlag am Körper hätte. Das fragte er mit dem Worte: „Unfall?“ Dann ging es an die nächste Formalität.

Zum Schluss hielt der Lagerkommandant eine Ansprache: „Ihr wisst, dass ihr möglichst schnell Deutschland verlassen sollt, bleibt ja nicht länger als nötig mehr da, benehmt euch auf der Reise anständig, erzählt keine Gräuelmärchen, und vor allen Dingen, wenn ihr einmal aus Deutschland heraus seid, kommt nie mehr zurück. Sonst werdet ihr und eure Angehörigen lebenslänglich eingesperrt.“

Nach dieser Ansprache wurden die Leute unter Bewachung von Polizeibeamten zur Station Dachau geführt, einige SS-Leute kümmerten sich darum, dass diejenigen, die mehr Geld hatten, die Fahrkarten für die Unbemittelten mitlösten, und dann wurden sie noch unter Bewachung von Dachau nach München abgeschoben. In München war eigentlich die Haft zu Ende. Es war ihnen aber verboten, im Bahnhof zusammengerottet etwa stehen zu bleiben, was schwierig war, da die betreffenden Züge erst einige Stunden später abgingen. Die Häftlinge gingen dann aus dem Bahnhof heraus, dort fanden sie an die Mauer gedrängt in einer Seitengasse verschiedene Juden, die sie teilweise noch mitnahmen und sie dann erst zu dem Zuge zurückbrachten.

Geschlagen wurde in Dachau, soweit mein Gewährsmann feststellte, relativ wenig, d.h., offizielle Prügeleien fanden nicht viel statt. Selbstverständlich ohrfeigten und traten die SS-Leute nach Herzenslust. Die arischen politischen Gefangenen werden schlimmer behandelt, denn sie müssen außerordentlich schwer arbeiten.

Das Lager ist von elektrisch geladenem Stacheldraht und einem Graben umzogen, außerdem von einigen Maschinengewehrtürmen flankiert. Außerdem liegt eine große SS-Schule direkt beim Eingang des Lagers.

Das Schlimmste ist, wenn jemand krank wird, sofern sich nicht seine eigene kräftige Natur selbst hilft, ist er verloren.

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