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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht aus München

Am 22.November 1938 wird aus München über die Verwüstung und Plünderung von Geschäften berichtet, während viele Wohnungen zwar geplündert, aber nur vereinzelt verwüstet worden seien. Es seien viele Männer verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau verschleppt worden. Die christliche Bevölkerung Münchens habe sich gegenüber dem Pogrom ablehnend verhalten.

22.November 1938

In München sind sämtliche offenen Geschäfte demoliert und ausgeplündert worden, so vor allem noch bestehende Juweliergeschäfte. Das Kaufhaus Uhlfelder wurde gestürmt, alles kaputt gemacht und angezündet. Da aber Gefahr bestand, dass in den angrenzenden Häusern etwa 35 arische Familien hätten ums Leben kommen können, wurde wieder gelöscht. In dem großen Antiquitätengeschäft Bernheimer wurden die wertvollsten Antiquitäten vernichtet, Teppiche zerschnitten, Porzellan zerschlagen usw. Die beiden noch vorhandenen Synagogen wurden verbrannt.

In sämtlichen Geschäften und Gaststätten wurden große Zettel angebracht „Juden Zutritt verboten“. Am Freitag, dem 18. November, wurden diese Zettel jedoch allgemein wieder entfernt.

Aus vielen Wohnungen wurden Radioapparate weggeholt, wobei natürlich auch andere Dinge mit gestohlen wurden. Telefonleitungen wurden durchschnitten. In nahezu allen Wohnungen erschienen, nachdem die Männer verhaftet und nach Dachau gebracht worden waren, jeweils zwei SS-Leute mit der Aufforderung an die zurückgebliebenen Frauen, innerhalb 24 Stunden die Stadt zu verlassen. Dieser Aufforderung wurde aber nur zum geringsten Teil entsprochen. Es wurden nur sehr vereinzelt Wohnungen demoliert. Die Villa Bach wurde angezündet. Sämtlicher Inhalt geraubt oder zerstört. Die Leute besitzen kein Kleidungsstück mehr. Von den Juden wurden sämtliche Konten beschlagnahmt, ebenso die Autos. Am Ende der ersten Woche durfte dann den Frauen RM 100.-pro Woche ausbezahlt werden. Juden wurden, wo man sie traf, auf der Straße, in der Straßenbahn, in den Bahnhöfen, verhaftet. Gutmeinende Christen gaben den Rat, sich ja bei der Gestapo zur Verhaftung zu melden, weil sonst Gefahr für die anderen Familienangehörigen bestände.

Die Stimmung unter der christlichen Bevölkerung in München ist durchaus gegen die Aktion. Von allen Seiten wurde mir das lebhafteste Beileid und Mitgefühl entgegengebracht. Man hatte allgemein angenommen, dass am Freitagabend (11. November) die Wohnungen gestürmt werden sollten. Arische Unbekannte aus der Umgebung haben meiner Familie angeboten, bei ihnen zu übernachten. Die Kolonialwarengeschäfte ließen trotz des Verbotes, an Juden zu verkaufen, anfragen, ob man etwas brauche, die Bäcker lieferten Brot trotz des Verbotes usw. Alle Christen benahmen sich tadellos. Zu meiner Frau kam eine ihr vollkommen unbekannte arische Dame der besten Gesellschaftsklasse mit dem Bemerken: „Gnädige Frau, ich schäme mich, eine Deutsche zu sein.“ Eine andere unbekannte Dame schickte eine Flasche Wein. Leute aus dem Haus gaben den Rat, mir warme Sachen nach Dachau zu schicken. Arische Freunde riefen telefonisch an, natürlich nicht von zu Hause, und nur mit ihrem Vornamen, um zu fragen, in welcher Weise sie helfen könnten. Die meisten Leute waren vor allem auch darüber empört, dass Goebbels behauptete, die Volkswut hätte sich entladen Nacht geschlafen hatten. Das war immer wieder das Erste, dem ein Arier Ausdruck verlieh. Einer der ersten Bankiers von München (Arier) erklärte mir weinend: „Ich schäme mich, ein Deutscher zu sein. Erklären Sie dem Ausland, dass 90% der deutschen Bevölkerung gegen diese Missetaten ist. Es ist nur eine kleine Clique, die dieses Unglück angestiftet hat.“ Jüdische Flüchtlinge, die zu Fuß oft Hunderte von Kilometern laufen mussten, wurden unterwegs vorbildlich von den Bauern versorgt, sonst wären sie erfroren oder verhungert.

Die Juden dürfen die Friedhöfe in München nicht besuchen. Die Chewro wird dort von polnischen Juden ausgeübt, weil man scheinbar nicht wissen lassen will, wie viel Leute sterben.

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