Berichte aus Nürnberg, Fürth, Bamberg und Aachen
Über Einzelschicksale aus Nürnberg, Fürth, Bamberg und Aachen sowie die Zerstörung von Synagogen in Nürnberg und Fürth liegen folgende Berichte vor:
Amsterdam, 19. November 1939
Es ist dem Berichterstatter bekannt, dass die Herren Heiden-heimer und Metzger, wie andere Berichte auch erwähnen, bisher nicht auffindbar sind. Ob Herr Rechtsanwalt Fritz Josefsthal tatsächlich nicht auffindbar ist, vermag er nicht zu sagen. Es kann sein, dass sich dieser in Berlin befindet und nicht nach Nürnberg zurückgekehrt ist.
Es ist richtig, dass Dr. Fritz Lorch in Fürth gestorben ist. Dieser lag dort im jüdischen Krankenhaus, um sich einer Bruchoperation zu unterziehen, bevor er auswandert. Durch den Schreck bei den Ereignissen erlitt er eine Embolie und starb. Ferner ist durch Schreck gestorben der herzleidende Restaurateur Herz in Bamberg, 60 Jahre alt etwa.
Nicht aus eigener Kenntnis, sondern aus guter Quelle hat der Berichterstatter erfahren, dass der Inhaber eines Exportgeschäftes in Nürnberg, Simon Loeb, gegen 60 Jahre alt, bei den Pogromen einen Schädelbruch erlitten hat. Die Ursache ist unbekannt. Eine Bestätigung dieses Gerüchtes wäre zweckmäßig einzuholen.
Der über 70 Jahre alte Privatier Leo Klein, früherer Inhaber Langer & Mainz, Tuche en gros, soll mehrere Armbrüche davongetragen haben. Bestätigung erforderlich.
Misshandelt wurde der Rechtsanwalt Justin Goldstein, Nürnberg, der derart zugerichtet wurde, dass er im Krankenhaus vernäht werden musste. Seine Frau hat eine Schädelverletzung und einen Nervenschock davongetragen. Es ist dabei allgemein zu bemerken, dass die Nerven der Juden, die der Berichterstatter kennt, derart aufgeregt sind, dass jeder auch nur fallende Teller oder jedes kleinste Geräusch sie in große Erregung versetzt.
Es steht durch Augenzeugen fest, dass die Synagoge Essenweinstraße in Nürnberg wie die Synagoge in Fürth in Brand gesteckt wurde. Zu bemerken ist noch, dass einige Tage vorher aus der Synagoge Essenweinstraße sämtliche Thorarollen und Kultusgeräte gestohlen worden sind.
Der Nürnberger Rabbiner Dr. Heilbronn ist verhaftet. Der Rabbiner Dr. Klein war zur Zeit des Pogroms nicht in Nürnberg, sondern in Riga bei seinen Kindern.
Der etwa 75-jährige Kommerzienrat Rosenzweig, Vorsitzender der Nürnberger Gemeinde, wurde verhaftet, später aber freigelassen.
Der Rechtsanwalt Dr. Walter Berlin wurde verhaftet, ebenfalls der Vorsitzende des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten am Orte, Rechtsanwalt Landenberger. Die Zahl der Verhafteten im Ganzen mag ungefähr 200 Personen betragen.
Eine Frau Löwy in Nürnberg, etwa 60 Jahre alt, wurde die Treppe heruntergeworfen.
Von den Vorgängen in Deutschland kann ich aus eigener Wahrnehmung nichts berichten, weiß jedoch von einem zuverlässigen Berichterstatter, der einen so genannten Grenzschein hat, das Folgende:
Der Berichterstatter war in Nürnberg, um sich nach dem Schicksal seiner Verwandten zu erkundigen. In der Nacht vom 9. zum 10. November sind hiernach 16 Mann im Hause dieser Verwandten - der Ehemann ist fast 70 Jahre, die Ehefrau über 60 Jahre alt - erschienen und haben die beiden Menschen misshandelt und mit Gewalt aus dem Haus getrieben. Sie sind dann durch einen arischen Arzt verbunden und in einem Taxi in das Krankenhaus Fürth gebracht. Unterwegs ist das Auto wiederholt von SS-Leuten angehalten, sodass sich schließlich Polizisten auf die Trittbretter des Wagens gestellt haben, um den Krankentransport zu schützen.
Der alte Herr hatte Verletzungen an Stirn und Nase und musste zehn Tage im Krankenhaus bleiben, die alte Dame hatte lediglich einen Bluterguss und konnte bald entlassen werden. Bei ihrer Rückkehr war ihre Wohnung völlig leer. Auch bei einem anderen Verwandten des Berichterstatters, Herrn A., erschienen 30 Mann und ließen in der Wohnung nichts [unversehrt] zurück. Sein Haus ist dann von der Arbeitsfront enteignet - er selbst aus dem Krankenhaus abgeholt, um die juristischen Formalitäten des Rechtsüberganges zu erledigen.
Der 50-jährige Rechtsanwalt Walter Berlin ist im Gefängnis erheblich misshandelt, dann aber freigelassen, mit der ausdrücklichen Auflage, die jüdische Auswanderung in Nürnberg in Gang zu bringen.
Der freigelassene Rabbiner Dr. Schönberger hat sich, anstatt die Gemeinde zu betreuen, nach Luxemburg begeben.
In Aachen ist Rechtsanwalt Loewenstein, als er heilige Geräte aus der brennenden Synagoge retten wollte, verhaftet. Gustav Struch aus Aachen, der von labiler Gesundheit war, ist infolge seiner Verhaftung in Buchenwald gestorben. Er war in Dachau in der jüdischen Abteilung.5
In Fürth sind die Juden ins Theater getrieben, der Zuhörerraum verdunkelt und ein Teil der Anwesenden auf der erhellten Bühne verprügelt.
In Aachen sind nur wenige Wohnungen zerstört, im Wesentlichen nur ein großes Prachtgebäude, das sich der große Tuchfabrikant B. nahe an der Grenze hatte errichten lassen.
An Selbstmorden in Nürnberg sind mir bekannt geworden die des Inhabers des Cafe Bamberger, zweitens eines Herrn Saalmann aus Fürth und der Herren Heidenheimer und Otto Metzger, welch letzterer in Dachau gestorben ist.