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Chronik und Quellen
1935
März 1935

Die Gestapo berichtet

Die Gestapo für den Regierungsbezirk Königsberg berichtet für März 1935:

In der Berichtszeit entwickelten lediglich die Zionisten mit ihren Nebenorganisationen eine lebhafte Versammlungstätigkeit. In ihren Veranstaltungen wurden die bekannten nationalsozialistischen Gedankengänge der Zionisten propagiert. Der Zentralverein und der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten haben nach dem Erlaß des Geheimen Staatspolizeiamtes vom 10.10.1932 , nach dem in ihren Veranstaltungen keine Propaganda für ein Verbleiben der Juden in Deutschland getrieben werden darf, Versammlungen nur in ganz geringen Umfange durchgeführt.

Bei einer Veranstaltung des CV in Königsberg am 13.3.1935 führte der Rabbiner Dr.Grün aus Danzig in seinem Vortrag ''Warum Religionsgemeinschaft'' hinsichtlich der Palästinafrage etwa folgendes aus:

Palästina wird nicht das Zentrum, sondern ein Zentrum bleiben, wo jüdische Menschen wohnen und wirken. Daher müßten die Juden ihr Judentum auch in dem Lande aufrecht erhalten, wohin sie das Schicksal verschlagen hat. Wenn der Redner auch keine direkte Propaganda für ein Verbleiben der Juden in Deutschland getrieben, so dürfte aus seinen Ausführungen doch ersichtlich sein, daß er eine solche beabsichtigt hat. Von einem Einschreiten wurde lediglich aus dem Grund Abstand genommen, weil es sich um die erste Veranstaltung nach dem Verbot gehandelt hat.

Nachdem auf Veranlassung der Staatspolizeistelle Königsberg den jüdischen Vereinen die Benutzung von Schulräumen und dergleichen zu ihren Veranstaltungen unmöglich gemacht war, hat, wie bereits mehrfach berichtet, das Judentum Anschluß bei dem Katholizismus gefunden. So fand am 2.3.1935 im Gemeindesaal des katholischen Pfarramts ein Festessen der zionistischen Vereinigung statt, an dem 110 Personen teilnahmen. Eine weitere Veranstaltung des CV im Gemeindesaal des katholischen Pfarramts war für den 4.3.1935 vorgesehen. Nachdem jedoch das nat.soz. Parteiorgan in der Ausgabe vom 3.3.1935 die jüdische Veranstaltung im kath. Gemeindesaal entsprechend glossiert hatte, ist die für den 4.3.1935 vorgesehene Veranstaltung abgesagt worden. Das kath. Pfarramt hat sei dieser Zeit ihren Gemeindesaal für jüdische Organisationen nicht mehr zur Verfügung gestellt.

Am 23.3.1935 fand in der großen Synagoge in Königsberg eine musikalische Veranstaltung des Kulturbundes deutscher Juden Zweigstelle Ostpreußen statt, in der der Geiger Andreas Weissgerber und der Begleiter Baer als Künstler auftraten. Die Veranstaltung die von etwa 400 Personen besucht war, ist ohne Zwischenfälle verlaufen. Begrüßungsansprachen oder Reden wurden nicht gehalten.

Am 26.3.1935 fand in den Räumen des Gemeindehauses der jüdischen Gemeinde Königsberg ein Kinderfest der jüdischen Jugendgemeinschaft des ''Habomim noar chaluzi'' statt. An der Veranstaltung haben Kinder im Alter von 5 bis 16 Jahren, die in orientalischen Kostümen erschienen waren, teilgenommen. Es kamen kleine Spiele und Theaterstücke zum Vortrag, die sich im Rahmen des jüdischen Kulturlebens bewegten.

Am 3.3.1935 sprach im Rahmen eines Kameradschaftsabends des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten in Elbing der Rabbiner Dr. Grün, Danzig über das Thema: ''Deutsch Jüdischer Zukunft[s] wille''. Er führte etwa folgendes aus: Da die jüdische Religion in letzter Zeit verflache, müsse großer Wert darauf gelegt werden, die Religionsgemeinschaft zu festigen, weil sie die einzigen Organisationen seien, die das Judentum vergrößern und verankern können. Judentum sei das Bewußtsein ein einzig Volk der Erde zu sein. Ein Zentrum jüdischen Lebens sei jede Gemeinde, jedes Haus, jede Familie, wo jüdischer Geist walte.

Am 23.3. feierte die zionistische Arbeitsgemeinschaft Elbing das jüdische Fest ''Purim ''. Gelegentlich dieses Festes erinnerte ein Sprecher an den Sieg des jüdischen Volkes über das Volk der Perser. Der damalige Perserkönig Persien ist bekanntlich ein arisches Volk heiratete die Jüdin Esther. Durch ihren Einfluß wurde das Perservolk erheblich mit Juden durchsetzt. Mit Genugtuung brachte der Redner zum Ausdruck, daß die Jüdin Esther es verdiene, als Heldin gefeiert zu werden, da es durch ihren Einfluß gelungen sei, das arische Perservolk erheblich mit Juden zu durchsetzen.

Auch in Marienwerder veranstaltete die zionistische Arbeitsgemeinschaft einen Vortragsabend, auf dem ein gewisser Marcus Berlin gesprochen hat. Er brachte in seinen Ausführungen zum Ausdruck, daß es gänzlich verfehlt sei, wenn Leute nach Palästina gehen, um lediglich dort Geschäfte zu machen. Geschäftemacher und Kapitalisten gäbe es in Palästina genug. Es sei erforderlich, daß nur solche Leute abwanderten, die die feste Absicht hätten, dort zu arbeiten und ihre Kräfte dem entstehenden Staat voll zur Verfügung zu stellen.

Da der Vortrag in sehr sachlicher Form gehalten war, fand [er] auch bei nicht zionistischen Versammlungsbesuchern starke Beachtung.

Innerhalb des Judentums geht der Zerfall in die verschiedensten Vereinsorganisationen immer weiter. So ist z.B. in Marienwerder zu den bisher schon dort bestehenden Jugendorganisationen (Makabi Hazair deutsch jüdische Jugend, jugendzionistische Ortsgruppe, Sportverein innerhalb des Reichsverbandes jüdischer Frontsoldaten ) noch im Berichtsmonat die Neubildung des Sportvereins ''Bar Kochbar'' mit 22 Mitgliedern neu hinzugekommen.

Der Flaggenerlaß hat bei den Juden einen ganz besonderen Eindruck hinterlassen. Sie sehen jetzt erneut klar, das sie nicht zur deutschen Volksgemeinschaft gehörend angesehen werden.

Die Kulturkommission der Kreissynagogengemeinde Insterburg veranstaltete am 25.2.1935 in der Synagoge einen nicht öffentlichen Vortragsabend des Rabbiners Dr. Augapfel . Der Redner sprach über das Thema ''Der wandernde Jude''.

Am 19.3.1935 veranstaltete die zionistische Ortsgruppe Insterburg in der Wohnung der Frau Wald anläßlich des Purimfestes einen Festabend, an dem folgende Personen mitwirkten:

Rabbiner Dr. Augapfel (Festrede),
Apotheker Horst Wald (Begrüßungsansprache),
Fräulein Paula Kador (Geige),
Frau Magda Glaser (Klavier),
Zionistischer Jugendbund (Festaufführung).

Die jüdische Loge zu den ''3 Erzvätern'' in Tilsit, deren Logengebäude im Jahre 1934 zwangsversteigert worden ist, beabsichtigt in Tilsit eine Wohnung zu mieten, um in dieser den Logenbetrieb weiterzuführen. Von diesem Vorhaben hat der Logenvorstand der Stapo Tilsit Kenntnis gegeben, mit der Anfrage, ob Bedenken dagegen beständen. Es wurde darauf der jüdischen Loge erklärt, daß eine derartige Weiterführung des Logenbetriebes zur Erregung innerhalb der Bevölkerung führen und deshalb aus sicherheitspolizeilichen Gründen nicht zugelassen werden könne.

Nach den getroffenen Feststellungen verfolgen die jüdischen Geschäfte neuerdings bei Verkauf ihrer Waren eine besondere Taktik. Die Lieferautos der größeren Firmen halten nicht mehr an der Haustür des zu beliefernden Kunden, sondern mindestens 3 Häuser vorher. Hierdurch werden andere Volks und Parteigenossen in den Verdacht gebracht, Käufe in jüdischen Geschäften zu tätigen. In Marienburg ist auch festgestellt worden, daß eine Angestellte eines größeren jüdischen Geschäfts Mustersammlungen in ihrer Privatwohnung bereithält, vorwiegend Beamtenfrauen zur Besichtigung in ihre Wohnung einlädt und dann die Bestellungen weitergibt.

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