Bericht des SD-Hauptamtes J I/6
Am 25. März 1935 erstattet das SD-Hauptamt J I/6 folgenden Bericht zum Thema „Juden“:
Juden
Politische Gliederung in Zionisten und Assimilanten
A. Zionismus
1.) ''Zionistische Vereinigung für Deutschland ''
Bezweckt Förderung der Besiedelung Palästinas und Schaffung einer öffentlichen-gesicherten Heimstätte in Palästina. Verbunden mit dem Palästinaamt ''Jewish Agency '', durch das allein Zuteilung der Einwanderungserlaubnisse für Palästina erfolgt.
Keine eigentliche Jugendorganisation. Die linksgerichteten Jugendlichen sind meist im ''Habonim -Noar Chaluzi'' zusammengefaßt. Dieser ist Vorschule zu dem später genannten ''Hechaluz ''.
Der ZVfD ist der Verband jüdischer Frauen für Palästinaarbeit angeschlossen, der seinerseits der Wizo (Womens International Zionist Organisation) Sitz London angeschlossen ist. Frauenverband hat keine eigentlichen Jugendgruppen. In einzelnen Orten Jung-Mädchen-Gruppen.
2.) Der ''Hechaluz'' (Pionier)
Umschichtung existenzlos gewordener jüdischer Jugendlicher. Erlernen der hebräischen Sprache. Mitglieder nicht durchweg jugendlichen Alters. Starke internationale Beziehungen. Unterhält Führerseminar in Berlin. Unterorganisationen sind:
''Haschomer Hazair '' und
''Werkleute ''.
Beides sehr kleine Jugendgruppen.
3.) Sondergruppen der Zionistischen Vereinigung für Deutschland, die jedoch deren marxistische Einstellung ablehnen, sind:
a.) Der Orthodoxe Misrachi , der im Zeire Misrachi zusammengefaßte Jugendgruppen unterhält, sowie Umschulungsorganisation der Brith Chaluzim , der dem Hechaluz entspricht.
b.) Makkabi -Kreis, mit vorwiegend rechtsbürgerlicher Richtung, ist die Zionistische Sportorganisation. Unterhält als Jugendgruppe den jüdischen Pfadfinderbund Deutschlands (JPD) Makkabi Haza'ir - Brith Hazofim - JPD entstand im November 1934 durch Vereinigung des Makkabi-Haza'ir mit dem JPD.
4.) Staatszionistische Organisationen .
Jüdisch-faschistisch. Fordert Judenstaat zu beiden Seiten des Jordans in eigener jüdischer Verwaltung unter Ausschaltung englischer Mandatsregierung . Steht in Opposition zur ZVfD .
Jugendgruppe: ''Nationale Jugend Herzlia '' und ''Brith Haschomrim''.
5.) Agudas Jisroel
Strengste Orthodoxie . Hauptsitz des Landesverbandes Berlin. Unterhält besondere Frauen- und Jugendgruppen (Agudas Jisroel) und als Umschichtungsorganisation mit vorwiegend jugendlichen Mitgliedern den ''Noar Agudati ''.
5a.) Der Jüdisch-Orthodoxe Jugendbund ''Esra ''
steht an sich auf dem gleichen Standpunkt, besitzt jedoch keine Bindung zur Agudas Jisroel.
6.) Jüdischer Nationalfond e.V. ''Keren Kajemeth Lejisrael ''
sammelt Geld für Bodenkauf in Palästina.
7.) Jüdisches Palästinawerk e.V. ''Keren Hajessod ''
Sammelt Geld für Förderung der Besiedelung Palästinas.
8.) Ortgesellschaft , Abteilung Deutschland.
Zweigorganisation des Großen Welt-Ortverbandes, der sich mit der beruflichen Umschichtung und der Förderung von Handwerk, Industrie und Landwirtschaft unter den Juden zum Zwecke der Auswanderung nach Palästina befaßt.
9.) Verband der jüdischen Jugendvereine Deutschlands .
Dachorganisation mehrerer örtlicher Jugendvereine. Unpolitische Verwaltungsorganisation, die angeschlossenen örtlichen Vereine sind heute zu 80% zionistisch eingestellt. Die meisten seiner Unterorganisationen tragen den Namen ''Jüdischer Jugendbund ... (Ortsname)''
B. Assimilanten
1.) Centralverein deutscher Staatsbürger jüd. Glaubens.
(CV) Vor der Machtübernahme stark anti-antisemitisch eingestellt, unterstützte alle linksgerichteten politischen Organisationen im Kampf gegen die NSDAP . Größte Assimilanten-Organisation. Nach Satzung § 1 ''Wahrung der staatsbürgerlichen und gesellschaftlichen Gleichstellung seiner Mitglieder'' und Pflege deutscher Gesinnung.
Keine eigentliche Jugendorganisation.
2.) Reichsbund jüdischer Frontsoldaten e.V. (RjF)
Steht in seinen Zielen dem CV nahe. Untergeteilt in
Eigentlichen Bund,
Sportabteilung,
Kriegsopferversorgung.
Starkes Anwachsen veranlaßte Anordnung des Geheimen Staatspolizeiamtes vom 25.7.1934, daß aus dem RjF alle Altsoldaten und Nichtfrontsoldaten zu entfernen seien. Spätere Ausnahmen hinsichtlich der Freikorpskämpfer.
3.) ''Bund Deutsch-Jüdischer Jugend .''
Selbständiger Verein. Steht dem CV und RjF, besonders aber dem ersten nahe und bildet so die Jugendorganisation für die Assimilanten.
3a.) ''Das Schwarze Fähnlein ''.
Selbständige deutschjüdische Jugendorganisation nach dem Muster der HJ , löste sich Ende 1934 nach Meinungsverschiedenheiten mit dem Reichsausschuß jüdischer Jugendverbände auf.
4.) ''Verband nationaldeutscher Juden .''
Betont den nationaldeutschen Willen seiner Mitglieder. Will streng zwischen Deutschjuden und Fremdjuden unterschieden wissen und antisemitisch sein.
4a.) Ihm nahe steht der ''Deutsche Vortrupp '' = Gefolgschaft deutscher Juden. Kleiner Kreis junger jüdischer Intellektueller nationaldeutscher Richtung, dessen Führer Dr. Hans Joachim Schoeps rege schriftstellerische Tätigkeit entfaltet.
5.) ''Reichsverband der nichtarischen Christen '' früher ''Reichsverband christlich-deutscher Staatsbürger nichtarischer oder nicht rein arischer Abstammung e.V.'' Erstrebt Abänderung des Arierparagraphen dahin, daß es seinen Mitgliedern ermöglicht werde, wieder Beamtenstellen zu bekleiden. Nimmt auch Mischlinge auf und verlangt von seinen Mitgliedern das christliche Bekenntnis. Steht den Assimilanten sehr nahe.
Spitzenorganisation der jüdischen Verbände in Deutschland ist die ''Reichsvertretung der deutschen Juden'', in der fast alle jüdischen Vereine vertreten sind. Infolge der Gegensätzlichkeit in der politischen Richtung der Spitzenvertreter beschränkt sich die Reichsvertretung auf Proteste gegen Maßnahmen der Regierung und ist sonst zur Bedeutungslosigkeit und Ideenlosigkeit verurteilt.
Der Reichsvertretung angegliedert sind:
a.) Der ''Centralausschuß der deutschen Juden für Hilfe und Aufbau'' mit seinen Unterorganisationen wie z.B. ''Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden ''.
b.) Reichsausschuß der jüdischen Jugendverbände ,
c.) Reichsausschuß der jüdischen Sportverbände .
Die zu a. bis c.) Genannten sind Dachorganisationen der entsprechenden Verbände aller Richtungen.
Neuerdings gewinnt auch der Berliner ''Jüdische Volksbund'', früher ''Jüdische Volkspartei '' immer mehr an Einfluß. Er wird heute von den Staatszionisten maßgebend beeinflußt und will als nationaljüdische Körperschaft allmählich die jüdisch-politisch unzuverlässige Reichsvertretung ersetzen.
Außerdem gibt es in Deutschland noch ostjüdische Vereine ohne größeren organisatorischen Zusammenschluß, die sich die Pflege der Heimatliebe, Unterhaltung der heimatlichen Synagogen und Friedhöfe und die Vertretung ihrer Mitglieder zur Aufgabe gemacht haben.
Politik
Im allgemeinen größte Zurückhaltung, Assimilanten, insbesondere Verband nationaldeutscher Juden versuchen Anbiederung und Zurückgewinnung verlorengegangener Positionen.
Wirtschaft
1933 starker Niedergang im Wirtschaftsleben, der jedoch nach und nach verschwand und einem Aufstieg Platz machte. Bestes Weihnachtsgeschäft seit Jahren. Gleichstellungserlaß des Reichswirtschaftsministeriums fördert jüdische Wirtschaftsbesserung. Einsetzung arischer Direktoren und Geschäftsführer als Strohmänner für jüdische Firmen. Tannenbergdenkmal . Viehhandel ganz in jüdischer Hand, weil arische Gesellschaft nicht kapitalkräftig. Erlaubnis zur Einfuhr von Pferden behördlicherseits fast ausschließlich an Juden erteilt. Preußisches Finanzministerium (Min.-Rat König) hat den des Bilanz- und Konkursvergehens verdächtigen Julius M. Bier mit zwei großen Makleraufträgen versehen, obwohl Judenstämmigkeit bekannt war. Ankauf von Ersatzpferden für Reichswehr aus jüd. Hand. Boykott jüd. Geschäfte in übertriebenem Maßstabe hat oft gegenteilige Wirkung erzielt und stärkeren Besuch der Judengeschäfte nach sich gezogen. Maßnahmen zur Behinderung der Juden im Wirtschaftsleben (Aufforderungen zur Meidung jüd. Geschäftshäuser, Schilder an Ortseingängen, Transparente in den Straßen) sind behördlicherseits zwar nicht zu genehmigen, aber stillschweigend zu dulden. Voraussetzung bleibt: 1.) daß Ruhe und Ordnung nicht erheblich gestört werden, 2.) Schaden an Eigentum und Personen verhindert wird, 3.) Dienststellen und Personen der NSDAP und der Behörden nicht bloßgestellt werden.
Kultur
Juden versuchen in Deutschland ihre eigene Kultur zu pflegen und bedienen sich dazu der Tätigkeit des Kulturbundes deutscher Juden. Im deutschen Kulturleben geistern noch immer zahlreiche Werke marx. jüd. Künstler aus der Zeit der Kunstverfallsperiode herum und werden gelegentlich öffentlich zum Kauf angeboten. (Max Perl.) Eigenartig widerspruchsvolle Stellungnahme der heutigen amtlichen Kunstsachverständigen. Jüd. Künstler hatten Zurückhaltung aufgegeben und sich über neue Verhältnisse lustig gemacht. Einschreiten gab Anlaß zu Ovationen für Nichtarier , daher als unerwünscht erklärt.
Sport
Der jüdische Sport hat gewaltigen Auftrieb durch Maßnahmen des Reichssportführers, die die uneingeschränkte Betätigung und Mitwirkung der Juden bei der Olympiade 1936 zusicherten, erhalten. Spitzenorganisation Reichsausschuß jüd. Sportverbände , der mit Reichssportführer in Verbindung steht. Zwei große Gruppen: RjF -Sport, Makkabi . Mit Rücksicht auf Abmachung mit Reichssportführer wurde mit Erlaß vom 21.1.1935 Tragen von Sportabzeichen gestattet mit der Einschränkung des vorsichtigen Benehmens. Stellung der Behörden bei Vergebung von Übungsgelegenheiten (Sportplätze, Turnhallen) ist verschieden und hat zu Beschwerden der arischen Bevölkerung Anlaß gegeben. Neuerdings beabsichtigen Juden, Segelflieger- und Motorsportgruppen zu bilden, da wehrsportähnlich wird Durchführung verhindert. Ein Teil der zu Olympiadekursen zugelassenen jüd. Sportler ist nicht angetreten bezw. wieder ausgeschieden.
Umschichtung und Auswanderung
Zionisten betreiben rege Umschulungsarbeit in geschlossenen Lagern zur Abwanderung nach Palästina. Tätigkeit wird von Staatsbehörden nicht behindert, da sie im Sinne der Reichsregierung liegt. Die von Assimilanten neuerdings versuchte Umschichtung, die nur einen Berufswechsel und Verbleib in Deutschland bringen soll, ist unerwünscht und wird verhindert. Abwanderung zwar noch nicht zum Stillstand gekommen, aber gering, weil Mandatsregierung Zahl der Zertifikate äußerst beschränkt. Nur Kapitalisten-Einwanderung bei Vorweisung von 1000 englischen Pfund uneingeschränkt gestattet, gefördert durch entsprechende Erlasse der Devisenstelle und des Reichsfinanzministeriums (Sonderkonto I .II bei Reichsbank.) Abwanderung nach anderen Gebieten gleich Null. Die Quäker haben jetzt eine Kommission gebildet, die neue Siedlungsgebiete erschließen soll. Hat jedoch Tätigkeit noch nicht aufgenommen. Assimilanten sind bemüht, ihre Leute in Deutschland in Stellungen zu bringen, um sie dem Zionismus zu entziehen und Auswanderung zu behindern.
Ausländische Boykotthetze
War zwar lebhaft, aber ohne größere Erfolge und ist fast zwecklos geworden. Förderte die wirtschaftliche Autarkie Deutschlands. Konferenzen fanden statt:
im August 1934 anläßlich Weltjudenkonferenz in Genf, im November 1934 in London (Samuel Untermeyer), Januar 1935 in Krakau Weltunion Zionisten-Revisionisten . Ließen Uneinigkeit hinsichtlich der Durchführungsabsichten erkennen, Verbindung mit arischen Marxisten.
Tätigkeit der Staatspolizei
Organisationen (Erfassung durch Stapostellen nach vorgeschriebenem Muster erleichtert Überwachung und Übersicht, Erlasse vom 9.7.1934 und 19.11.1934.) Notwendigkeit der Anmeldepflicht jüd. Versammlungen, Erlaß 26.6.1934. Erweiterung durch Verbot der Propaganda für das Verbleiben in Deutschland, das eine verstärkte Überwachung der deutsch-jüdischen Presse bezüglich Fortsetzung der Werbung in versteckter Form notwendig machte. Erlaß in Vorbereitung. Durch Arbeitsrichtlinie 5 Uniformverbot für Jugendverbände und Verbot wehrsportlicher Übungen und Geländeübungen, Auf- und Ausmärsche und Wohngemeinschaften. Nur Wanderung im lockeren Rahmen gestattet. Heute bezüglich Uniformtragens aufgehoben bei Staatszionistischen Jugendgruppen Herzlia und Brith Haschomrim (in Vorbereitung).
Juden gehören nicht zur deutschen Volksgemeinschaft, deshalb Verbot des Zeigens von Fahnen in den Reichsfarben durch Juden notwendig geworden (Erlaß vom 12.2.1935). In zwei Fällen mußten Redeverbote über Juden verhängt werden (Buber und Hardt).
Verhandlung im allgemeinen
Assimilanten hemmen, Zionisten fördern, wie im Ergänzungserlaß zur Arbeitsrichtlinie 5 ausgeführt. Erlaß trotz Vermerk ''vertraulich'' in Wortlaut veröffentlicht. Wie möglich?
Mehr Einwirkung auf örtliche Stellen, Fragen in Judenangelegenheiten in eigener Zuständigkeit zu erledigen. § 14 P.V.G. Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung, so daß Geheimes Staatspolizeiamt lediglich als Beschwerdeinstanz in Frage kommt.