Bericht aus Minden
Der Regierungspräsident Minden erstattet am 8. März 1935 folgenden Bericht für Januar und Februar 1935:
Die jüdische Versammlungstätigkeit war in der Berichtszeit sehr rege. Kultur-, Kameradschafts- und Turnabende finden in großer Anzahl statt. Sie dienen dazu, den Juden wieder eine gewisse innere Kraft zu geben. Der Erfolg der Veranstaltungen zeigt sich in einem immer festeren Zusammenschluß. Das Eigenleben der Juden ist noch nie so stark gewesen wie in der Gegenwart.
Staatsfeindliche Bestrebungen der Juden oder ihrer Vereine sind indes nicht beobachtet worden.
An neuen Zusammenschlüssen sind in der Berichtszeit eine Ortsgruppe des jüdischen Frontkämpferbundes in Marburg, eine zionistische Frauengruppe in Bielefeld und eine Landgruppe der deutsch-jüdischen Jugend im Kreise Lübbecke mit 8 Jugendlichen, die dem vom Reichsjugendführer genehmigten Reichsausschuß der jüdischen Jugendverbände angehören will, gegründet worden.
Antisemitische Ausschreitungen, von denen im letzten Bericht zahlreiche Fälle angeführt werden mußten, sind in der Berichtszeit nicht mehr vorgekommen. Lediglich in der Stadt Gütersloh wurden noch im Januar an den Ausfallstraßen die in Franken üblichen Schilder mit der Aufschrift: ''Juden sind in dieser Stadt nicht erwünscht'' angebracht.
Bemerkenswert ist die Tatsache, daß den Inhabern großer Seidenwebereien in Gütersloh von ihren ausländischen Kunden mit dem Abbruch der geschäftlichen Beziehungen für den Fall gedroht wurde, daß die antijüdische Agitation dort nicht aufhöre.
Allgemein wird beobachtet, daß die Juden großenteils ihre bisherige Zurückhaltung aufgeben und wieder ein anmaßenderes Wesen an den Tag legen.
Vielfach werden Klagen darüber laut, daß das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit dem jüdischen Betriebsführer dieselben Rechte einräumt, wie einem Deutschen. Die Betriebsgemeinschaft beruhe, so wird gesagt, auf dem Gedanken der Kameradschaft; ein Pg . als Vertrauensmann in einem jüdischen Betriebe könne aber unmöglich zu dem jüdischen Betriebsführer kameradschaftlich sein. Man wünscht daher eine Änderung des Gesetzes dahingehend, daß ein nichtarischer Geschäftsinhaber nicht Betriebsführer im Sinne des Gesetzes sein könne, sondern sich in dieser Eigenschaft durch einen arischen Betriebsführer vertreten lassen müsse.