Die Gestapo Bielefeld berichtet
Die Gestapostelle für den Regierungsbezirk Minden in Bielefeld erstattet am 4. März 1935 ihren „Lagebericht“ für Februar 1935:
Die Versammlungstätigkeit der Juden ist nach wie vor rege. Noch nie ist das Eigenleben der Juden so stark gewesen, wie zur Zeit. Kultur , Kameradschafts und Turnabende finden so häufig statt, daß die notwendige Überwachung , bzw. Beobachtung der Veranstaltung immer schwieriger wird. Durch diese Versammlungen gibt man den Juden eine innere Kraft zum Ausharren in dieser Zeit. Indem man ihnen geschichtliche Tatsachen der Vergangenheit vor Augen führt, stärkt man ihnen den Rückhalt. So fordert man die Juden immer wieder auf, wirklich Jude zu sein in der ganzen Haltung. Das Judentum stehe über Blut, Boden und Nation, so sagte kürzlich ein jüdischer Redner in einer Veranstaltung. Unter den Juden wird z.Zt. sehr starke Kritik an dem Gauleiter Streicher geübt und zum Ausdruck gebracht, daß sein Verhalten nicht anständig sei. Auch ärgert man sich immer wieder über das Kampflied: ''Hängt die Juden, stellt die Bonzen an die Wand.'' Die hiesigen Jugendorganisationen sind über das hier bestehende Betätigungsverbot (vergl. Tagesbericht vom 15.12.1934) sehr unzufrieden, weil sie darin eine einseitige Härte erblicken. Staatsfeindliche Bestrebungen konnten den jüdischen Vereinen bisher nicht nachgewiesen werden. Am 3. Februar veranstaltete der Kulturbund Deutscher Juden in der Synagoge in Bielefeld einen Rezitationsabend mit Frau Edith Herrnstadt Oettingen, Berlin, an dem etwa 250 Personen teilnahmen. Frau H. brachte verschiedene Werke zu Gehör. Der Zweck der Veranstaltung war jüdische Kultur den Juden vertrauter zu machen und zum anderen den Zusammenhalt des jüdischen Volkes zu fördern. Durch die Vermittlung der jüdischen Dichtung, die meist auf Verfolgung und Unterdrückung abgestimmt ist, wird erstrebt, das jüdische Volk in der gegenwärtigen Lage aufzurichten und wegweisend für die heutige Zeit zu sein.
Der Zentralverein Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens Landesverband Ostwestfalen und Nachbargebiet hielt am 17. Februar in der hiesigen Synagoge eine Versammlung ab, auf der Dr. Alfred Hirschberg Berlin über das Thema sprach: ''Die Idee und Arbeit im Deutschen Judentum.'' Der Redner, von dem der Versammlungsleiter zu Beginn der Veranstaltung sagte, daß schon der Name Hirschberg Geschichte des CV sei und dieser am besten in der Lage wäre, über die Arbeit des Judentums zu sprechen, führte etwa folgendes aus: ''Die jüdischen Schicksale seien durch Ideen, Zeit und Arbeit bestimmt. Aus diesem erkläre sich, daß das Judentum mit der Umwelt engste Verbindung tragen müsse. Es sei der Fehler der Vergangenheit gewesen, sich aus der jüdischen Gemeinschaft zu lösen. Es müsse im Gegenteil der Zusammenhang gefördert werden, vor allem müsse man sich anpassen. Auch müsse die Opferwilligkeit bei den Juden mehr herausgestellt werden nach dem heutigen Worte ''Gemeinnutz gehe vor Eigennutz.'' Bedauerlich sei es, daß man die Juden heute von gewissen Berufen fernhalte. Es sei nicht mehr möglich, in die hohen Berufe hineinzukommen. Zwar habe diese gesetzliche Maßnahme auch gute Seiten. Die Juden seien dadurch miteinander auf's engste zusammengeschweißt. Unterschiede seien dadurch ausgemerzt. Heute stände im Judentum der Arbeiter der Faust und Stirn zusammen und die Gemeinschaft würde dadurch ungemein gefördert. Dann warb der Redner für den CV und betonte, daß dieser die einzige Organisation sei, die die Wirrnisse der Revolution aufgefangen und den Stillstand für das deutsche Judentum herbeigeführt habe. Sie sei allein in der Lage, durch Schaffung von Dezernaten den bedrängten Juden zu helfen, wie dieses im vergangenen Jahrhundert auch geschehen sei. An dieser Veranstaltung nahmen etwa 400 Personen teil. Auf meinen Tagesbericht vom 18.2.35 nehme ich Bezug.
Eine für den 21.2.35 in Paderborn nachgesuchte Versammlung des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens ist von der Ortspolizeibehörde auf Grund des Erlasses vom 10.2.35 II 1 B 2 60934/J.19135 nicht genehmigt worden, da aus der beabsichtigten Vortragsfolge ''Erhaltung und Gestaltung des Deutschen Judentums'' geschlossen werden mußte, daß hierdurch seitens des Vereins Propaganda für das Verbleiben der Juden in Deutschland getrieben würde.
Der Bund deutsch jüdischer Jugend , Ortsgruppe Herford, hat im Kreise Lübbecke eine Landgruppe ins Leben gerufen. Diese Gruppe besteht aus 8 Jugendlichen. Alle 14 Tage sollen Veranstaltungen stattfinden, die sich in der Hauptsache auf jüdische Geschichte und verwandte Dinge erstrecken. Diese Organisation soll dem Reichsausschuß der Jüdischen Jugendverbände e.V. Berlin angehören und vom Reichsjugendführer genehmigt sein.