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Chronik und Quellen
1935
Januar 1935

Bericht aus Anröchte

Am 21. Januar 1935 erstattet der Bürgermeister von Anröchte seinen „politischen Lagebericht“ für Dezember 1934 und Januar 1935:

Das Treiben des Judentums und die Bedeutung der Rassenfrage wird auf dem Dorfe noch viel zu wenig erkannt, trotzdem die Kampfschrift ''Der Stürmer '' im Orte ziemlich verbreitet ist. Instinktlosigkeit und Mangel an Stolz auf das eigene Blut tritt noch täglich in den krassesten Formen in Erscheinung.

Die jüdischen Manufakturwarengeschäfte Eichengrün und Schreiber sind in ihrer Branche immer noch führend. Gleichfalls das Kornhandelsgeschäft Rosenberg. Es ist noch täglich zu beobachten, wie durch die christlichen Verkäuferinnen dieser Geschäfte größere Warenballen in die Häuser getragen werden. Auch geht der Jude selbst über das Land und sucht die Kunden in den Häusern auf. Diese Handelsmethode läßt die Käufer weniger an das offene Rampenlicht treten. Auch werden die Kunden, wenn es spät geworden ist und größere Einkäufe getätigt sind, mit gemieteten Kraftwagen in die entfernt liegenden Behausungen bezw. Dörfer gefahren. Das Verkehrslokal der Juden ist in Anröchte hauptsächlich die Wirtschaft Röper-Bolte. Der zweitälteste Sohn des Wirtes ist der Führer der Jungbauern. Bei Röper wird ohne Unterschied ob Jud oder Christ Karten gespielt und werden politische Meinungen ausgetauscht, woran sich der Wirt und sein Sohn, der Jungbauernführer, aktiv beteiligen. Nachdem Röper von einsichtiger Seite eine Warnung erteilt worden ist, begrüßt er Personen, die ihm im Verdachte der Judengegnerschaft stehen, mit den Worten: ''Na willst du mal sehen, ob wir wieder mit den Juden Skat spielen. Mir kann niemand was machen, ich bin kein Parteigenosse, außerdem kann ich machen was ich will und spiele mit wem ich will.''

Der Bauer Frielinghausen zahlte vor einiger Zeit an die Amtskasse mit einem Scheck über 600 R.Mk. Steuern. Der Scheck war von einem Juden Rosenberg ausgestellt und kann nur als Entgelt für gelieferte Produkte des Erbhofes Frielinghausen angesprochen werden.

Am Sonntag, den 25.11.1934 waren im Orte an Kirchhofsmauern und Telegraphenmasten Plakate angeheftet, des Inhalts, daß der Rektor und Jugenderzieher Großmann in Anröchte der Einladung des Juden Schreiber [zu] einem gemütlichen Abend Folge geleistet habe und von 9 bis 12.45 Uhr abends bei dem Juden verweilt habe. ''Großmann ist ein Volksverräter, da er als Jugenderzieher dem ausdrücklichen Befehl des Führers zuwiderhandle'', heißt es wörtlich.

Die Zettel waren mit einer Schreibmaschine geschrieben und trugen keine Unterschrift. Sie müssen in aller Morgenfrühe angebracht worden sein.

Die Einladung des Rektors Großmann entsprach den Tatsachen. Letzterer hat wegen dieser Angelegenheit bei mir vorgesprochen und die Tatsache zugegeben. Durch instinktlose Erklärungen versuchte er die Geschichte abzuschwächen. Ich habe ihn mit Nachdruck auf sein unverständliches Handeln aufmerksam gemacht.

Vor einiger Zeit fand in der Synagoge zu Anröchte ein Vortrag des jüdischen Lehrers Fritzler über die Abstammung der Juden statt. Der Vortrag wurde an einem Sabbat mit dem sogenannten Gottesdienst verbunden. Auswärtige Juden wurden nicht festgestellt. Der Vortragende ist ein Bruder des hiesigen Juden Bernhard Fritzler. Er ist Lehrer an einer jüdischen Schule im Industriegebiet.

Der Viehhandel der Juden ist noch sehr rege. In der Wohnung des Juden Fritzler sollen oft größere Verkaufsabschlüsse mit fremden Juden getätigt werden.

Aus der Gemeinde Altengeseke wird berichtet, daß vor einiger Zeit ein fremdes Auto vor den dort am Ein- und Ausgange angebrachten Transparenten ''Juden betreten den Ort auf eigene Gefahr'' gehalten und photographiert habe. Am 29.12.1934 soll ein Herr aus Berlin vom Propagandaministerium die Transparente besichtigt und photographiert haben. Ob und inwieweit dieses den Tatsachen entspricht ließ sich nicht feststellen. Es kann sich auch um einen Zeitungsreporter gehandelt haben. Man kann zu der Vermutung neigen, da in der vorletzten Nummer des Stürmer auch der neue Stürmerkasten in der Gemeinde Altengeseke bildlich wiedergegeben wurde.

Auch in der Gemeinde Robringhausen sind neuerdings die gleichen Plakate angebracht. Es handelt sich hier um Selbstschutzmaßnahmen, die sich aus dem instinktiven und gesunden Empfinden nationalsozialistischer Kreise ergeben.

Bei der Beantragung des Kriegerehrenkreuzes gingen die Juden in gemeinschaftlicher Aktion vor.3 Dieses ist daraus zu schließen, daß sie plötzlich innerhalb weniger Tage geschlossen ihre Anträge stellten.

 

Bauern

Wie aus dem Abschnitt ''Judentum'' ersichtlich ist, arbeiten Jude und Bauer noch Hand in Hand. Unbeschadet der Segnungen des Erbhofgesetzes und der Preisgestaltung für die landwirtschaftlichen Produkte gehen viele ihre verwerflichen Wege. [...]

 

Abschrift

Ullis Gedicht.

Ihr lieben Leute, wißt ihr schon die neueste Geschichte?
Ulli ist wieder da und sitzt zu Gerichte.
Was würde im Dorf nicht alles geschehen,
wenn Ulli nicht tät nach dem Rechten sehn.
Besonders bei den Buben, ist eine gefährliche Sorte,
man hat dafür kaum noch Worte.
Wird bei diesem das Geld mal rar,
verkauft man den Alten Körner sogar.
Hierin ist besonders der Ernst gewandt,
nicht umsonst wird er Jude und Levi genannt.
Der verschachert alles, es ist eine Schand,
Enten, Tauben und auch sonst allerhand.
Im vorigen Jahr,
ich weiß nicht obs war,
100 Zentner Weizen sogar.
Das kann doch nicht immer so weiter gehn,
was soll denn mit dem Hof geschehen?
Der Hof kommt, es ist hierbei ein Jammer,
gar bald wohl unter den Hammer.
Und ihr kennt vom Allerheiligenmarkt die Geschichte,
da verkauft der Levi, seinem Bruder die Ferkel mit samt der Kiste.
Wie nun genügend Geld war da, da schrien dem Juden seine Freunde Hurra.
Levi stürzt sich in den Kirmesrummel,
und sucht sich ein Mädchen für den Abendbummel.
Und richtig, der Schießstand unten am Eck,
da war ein Mädchen, das machte den Juden ganz geck.
Die schwarze Trude, ein feuriges Blut,
die liebt den Juden für sein Geld und Gut.
Doch zu des Levi größtem Verdruß,
war auf der Kirmes allzufrüh Schluß und er kam zu keinem vernünftigen Schuß.
Schnell wurde Abschied genommen,
und versprochen, wiederzukommen.
Wer die Sehnsucht kennt, weiß was ich leide,
so sagten Levi und Bernhard allebeide.
Drum eilte man auch Sonntags wieder nach Soest,
der Andrang war ja riesengroß.
Die schwarze Trude, die lag dem Levi im Blut,
und stachelte seine Liebesglut.
Doch nirgends fand er für sich und sein Schätzchen,
ein vernünftiges Ruheplätzchen.
Drum ließ er schnell eine Taxe kommen
und es wurde Kurs auf Altengeseke genommen.
Doch hier waren schon gelöscht, Lampen und Lichter,
nun standen sie da und machten dumme Gesichter.
Aber der Levi wußte Rat,
er führte sie zur Firma Rubarth.
Da sagte der Jude, ach liebe Trude,
Ich weiß hier eine sturmfreie Bude.
Er führte sie gleich eine Treppe hoch
da standen Betten klein u. groß.
Der Levi leuchtete schnell hinein,
sieh Trude, das dort, mit dem Strohsack scheint leer zu sein,
Die Trude aber schrecklich stöhnt,
ach lieber Ernst, auf'nem Strohsack bin ichs nicht gewöhnt.
Auch der Levi macht eine dumme Fratze,
da er tröstet, das nächste Mal, nehmen wir eine Sprungfedernmatratze.
Sie legten sich nun beide ins Bett hinein,
im Himmel konnte es für sie nicht schöner sein.
Sie kamen dann auch bald zur Ruh,
und deckten sich mit Conti zu.
Doch am anderen Morgen oh Schrecken,
da gabs bei Rubarth großes Wecken.
Vom Kirmesrummel noch Schwindel und Uebel,
nehmen sie den Weg zur Wirtschaft Nübel.
Levis Schwester tat sich schrecklich grämen,
sie sagte: ''Ernst du sollst dich was schämen!''
Doch Ernst aber gelassen spricht,
ach liebe Schwester, das verstehst du nicht.
Bitte Kaffee und was zu rauchen,
das ist, was anständige Leute, wie wir gebrauchen''.
Nun wurde es allmählich helle,
und beide verschwanden in Blitzesschnelle.
Die Schoße ging zum Postauto getrost,
und fordert eine Fahrkarte nach Soest.
Der Levi schlendert durch die Gassen,
und denkt, die Leute muß man ruhig reden lassen.
Solche Buben sind für die Gemeinde eine Schand,
und werden von Ulli zur Hölle verdammt.
Doch Levi, für hier auf Erden, beherzige die Worte,
Juden reisen auf eigene Gefahr hier im Orte,
Doch sollte dir solches nochmals fallen ein,
ich rate dir, steige nicht wieder in fremde Betten ein.
Dies ist Ullis Richterspruch,
Ich schrieb denselben nieder
Und Leute habt ihrs gelesen kaum,
so schreibt ihn immer, immer wieder.
gez. Ulli.

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