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Chronik und Quellen
1938
Dezember 1938

Bericht aus Frankfurt und KZs

Im Dezember 1938 verfasster Bericht über die Verwüstung und Plünderung von Geschäften und Wohnungen, die Zerstörung der Synagogen in Frankfurt am Main und Umgebung, über die Verschleppung der Männer in das Konzentrationslager Buchenwald und deren Erlebnisse in Buchenwald sowie über den Ansturm auf das britische Konsulat zur Erlangung von Visa:

Der Pogrom in Frankfurt - Schreckliche Bedingungen im Konzentrationslager

Die Juden in Frankfurt und im Umland litten ebenso sehr unter dem Pogrom vom 10. November wie die Juden in anderen Teilen Deutschlands, und die Methoden der Ausschreitungen zeigen die gleiche offizielle Anstiftung. Alle männlichen Juden von 17 Jahren an wurden verhaftet, ob auf der Straße, in der Straßenbahn, in Cafés oder in ihren Häusern, und zur Festhalle gebracht, wo sie zwei Tage lang festgehalten und dann mit Lastwagen in siebenstündiger Fahrt in das Konzentrationslager Buchenwald transportiert wurden. Juden aus Offenbach, Gemünden und anderen Nachbarstädten wurden ebenfalls in dieses Lager gebracht. Auf Alter oder Krankheit wurde keine Rücksicht genommen. Es gab [unter den Verhafteten] mehrere alte Männer von 80 und mehr [Jahren] und mehrere Fälle von Leuten, die an Blinddarmentzündung und anderen Krankheiten litten. Es gab sogar einen Jungen von elf [Jahren].

Die Anzahl der Juden aus Frankfurt und Umgebung, die in das Lager Buchenwald gebracht wurden, betrug 12.000, und weitere 3.000 wurden von anderswoher [dorthin] gebracht. Es gab keine geeignete Unterbringung für mehr als 500, und die Leiden der Gefangenen waren deshalb unerträglich. Sie wurden in Gruppen von 50 aufgeteilt und in Holzbaracken zusammengepfercht, wo die einzige Schlafgelegenheit aus Holzbrettern bestand, die in fünf Reihen übereinander angebracht waren. Es gab keine Matratzen oder Decken irgendeiner Art, und die Männer, die nichts hatten mitnehmen dürfen, mussten in ihren Kleidern schlafen.

Zunächst gab es keinerlei sanitäre Einrichtungen, und die Latrinen mussten von den Häftlingen selbst gegraben werden. Zunächst gab es auch kein Trinkwasser, und die Männer stillten ihren Durst mit Regenwasser oder Tropfen von Kölnisch Wasser, bis sie Mineralwasser (Selterswasser) zu 1%'Mark je Flasche kaufen konnten. Wasser zum Waschen gab es zu keiner Zeit, und Mineralwasser auf einem Taschentuch musste notdürftig für diesen Zweck verwendet werden. Alle Lebensmittel mussten in der Lagerkantine gekauft werden, und diejenigen ohne Geld mussten bei Freunden leihen. Diejenigen, die mit einer größeren Summe ankamen, wurden deren größtenteils von den Lageroffiziellen beraubt. Das Brot war dunkel und klebrig; es gab keine Butter; es gab nur wenige Teller und keine Messer oder Gabeln.

Viele Männer starben in Buchenwald: Einige an ihren bisherigen Krankheiten, andere durch elektrischen Schlag an den mit Starkstrom geladenen Stacheldrahtzäunen, in die sie sich in ihrer Verzweiflung warfen. Andere, die wahnsinnig wurden und Amok liefen, wurden einfach von ihren Bewachern zu Tode geknüppelt. Allein in einer Nacht wurden bei ihrem Abtransport 40 Tote gezählt. Viele Gefangene wurden von den Wachen brutal angegriffen, ihre Gesichter oder Nasen wurden zerschlagen, oder es wurden ihnen Arme und Beine gebrochen.

Jeder musste um fünf Uhr aufstehen und sich um sieben Uhr abends schlafen legen, aber es gab keine Arbeit. Zigaretten minderer Qualität konnten in einer Schachtel von sechs Stück für zwei Mark gekauft werden.

Die Entlassung der Gefangenen begann Anfang Dezember. Die Ersten, die entlassen wurden, waren ehemalige Soldaten, dann folgten die älteren Leute. Sie wurden in Gruppen von 40 freigelassen und mussten 20 Mark pro Kopf für die Busreise nach Frankfurt bezahlen. Gegenwärtig werden, soweit bestätigt werden kann, nur noch 4000 Juden in Buchenwald festgehalten. Darunter befinden sich alle diejenigen, die verletzt oder verunstaltet wurden; diese müssen Zurückbleiben, bis ihre Wunden geheilt und sie wieder vorzeigbar sind. Allen Gefangenen werden die Köpfe geschoren, und die Entlassenen sind auf den Straßen Frankfurts leicht zu entdecken, obwohl sie versuchen, ihre Kahlheit mit den Hüten zu verbergen.

Die Ausschreitungen begannen in Frankfurt in den frühen Morgenstunden des 10. November und wurden systematisch ausgeführt, offensichtlich aufgrund offizieller Anweisungen. Alle jüdischen Geschäfte wurden angegriffen und geplündert, und einige wurden niedergebrannt; alle jüdischen Häuser und Wohnungen wurden überfallen, zertrümmert und ausgeraubt. Alle Synagogen in Frankfurt, Offenbach und den Nachbarstädten wurden durch Feuer zerstört. Das berühmte Rothschild-Haus, der Geburtsort der „Fünf Frankfurter“, das jahrzehntelang als Museum erhalten geblieben war, wurde ebenso niedergebrannt.

In Offenbach erkannte eine Jüdin einen aus der Nazibande, die ihr Haus überfiel, und sagte ihm, sie sei überrascht, ihn bei einer solchen Untat zu sehen. Er antwortete: „Es tut mir leid, aber ich habe Befehle zu befolgen.“ In Gemünden wurden fünf jüdische Häuser, die einen einzigen Wohnblock bildeten, vollständig niedergebrannt.

Obwohl jetzt seit dem Pogrom mehr als ein Monat vergangen ist, sind alle Juden in Frankfurt noch immer von Schrecken erfüllt. Sie haben eine Vorahnung, dass sie bald ein weiteres Unglück ereilen könnte, und sie sind deshalb besorgt, zum frühestmöglichen Zeitpunkt außer Landes zu kommen. Sie belagern das Britische Konsulat vom frühen Morgen an den ganzen Tag über, und das täglich. Die dort Beschäftigen tun ihr Äußerstes, mit dem Andrang fertig zu werden, aber diejenigen, die Visa für dieses Land erhalten, sind offensichtlich nur ein kleiner Teil der Gesamtzahl der Antragsteller. Niemand darf mehr als eine unbedeutende Geldsumme außer Landes nehmen, und daher hat Geld für die unfreiwilligen Exilanten seinen Wert verloren. Sie kaufen für ihre Ersparnisse Möbel, weil sie diese mitnehmen dürfen, aber sie müssen auf alle derartigen Käufe eine Steuer von 100 Prozent bezahlen. Nicht weniger als ein Dutzend Juden kauften kürzlich in einem [einzigen] Geschäft Möbel. So groß ist derzeit die Nachfrage nach solchen Waren, dass die Hersteller sich über einen Mangel an Holz beklagen. Die Erlaubnis für derartige Käufe muss von den örtlichen Nazi-Stellen erteilt werden, und die Zahlung erfolgt direkt durch die Bank, bei der der Käufer all sein Geld hinterlegen musste.

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