Bericht aus dem Rheinland
Anfang Dezember 1938 erstatteter Bericht über den Pogrom an mehreren Orten des Rheinlands, u.a. in Düsseldorf:
Berichterstatter war bis Anfang Dezember in Z. und kann daher über die Vorgänge seit dem 9. November aus eigener Beobachtung berichten. Am Mittwochabend, dem 9. November 1938, drangen bereits um 11 Uhr in das Gemeindehaus ca. 70 SA-Leute ein, schlugen den ca. 70-jährigen Vorsteher A. und verhafteten ihn, vernichteten alles, was in dem Gebäude war, und jagten die über 60-jährige Verwalterin, Frau B., unter Schlägen mit einem Knüppel in den Keller; alle anderen Anwesenden wurden aus dem Hause getrieben.
Um ca. ¼ 2 Uhr nachts erschienen in einem Einfamilienhause ca. 30 Leute in Uniform, teils mit schwarzen Mänteln. Man bemerkte unter ihnen auch einen, der das Abzeichen eines politischen Leiters trug. Die Bewohner erwachten, obwohl sie Schlafpulver genommen hatten, durch das Getöse infolge des Aufsprengens der Haustür aus tiefem Schlaf und sahen im Schlafzimmer sechs bis sieben Leute stehen, die laut brüllten: „Seid ihr Juden?“ Als sie dies bejahten, zwangen sie sie mit Knüppeln zum Aufstehen und Anziehen und jagten sie zum Hause heraus. Während der Abwesenheit der Bewohner zertrümmerten sie alles bis auf das Letzte. Zerschnitten Bilder und Matratzen und zerstörten antike Eichenschränke, Stühle, Kronleuchter, überhaupt alles, was in dem ganzen Hause vorhanden war. Frau C. wurde draußen von einer johlenden Menge von etwa 20 Leuten, unter denen sich offenbar Zuhälter etc. befanden, mit dem ständig wiederholten Ruf empfangen: „So habt Ihr's mit den Sudetendeutschen gemacht!“ Herr und Frau D. sind dann stundenlang in der Stadt umhergeirrt, um sich gegenseitig zu suchen und über das Schicksal des anderen sich zu vergewissern. Der Mann kam zuerst in das Haus zurück, das im Innern ein völliger Trümmerhaufen war, und versuchte zu telefonieren. Auch das war nicht möglich, da das Telefon nach Filmvorschrift zerschnitten war. Als der Ehemann etwa eine halbe Stunde später in einer dunklen Ecke des Hauses sich ausgeruht hatte, erschienen SS-Leute und zertrümmerten noch den einzigen Kronleuchter, der noch im Hause unbeschädigt war, und verließen dann, mit der Reitpeitsche drohend, das Haus. Die Ehefrau fuhr in einem Auto, das ihr jemand trotz des allgemeinen Verbots, Juden zu fahren, zur Verfügung stellte, im Zickzack hin und her, bis sie das Gefühl hatte, dass die Luft rein war. Sie ging dann hinein und traf ihren Mann und blieb mit ihm, bis der Morgen graute, auf den Trümmern ihrer Einrichtung im Dunklen sitzen. Bei jedem Schritt splitterte und krachte es im Hause. Es war ein so trostloser Anblick, dass der Zeitungsmann, der am frühen Morgen die Zeitung brachte, fortlief. Ein dem Ehemann persönlich bekannter SA-Mann hat gesagt, der Befehl zu diesem Pogrom sei schon 14 Tage vorher, also lange vor dem Mord an vom Rath, gegeben, an dem fraglichen Mittwoch seien um 7 Uhr die Befehle ausgegeben und die jungen Leute dann zu Alkohol geführt worden. Die Ehefrau gibt an, dass, als sie das Haus verließ, ein derartiger Alkoholgeruch das Treppenhaus erfüllt habe, dass sie es kaum hätte aushalten können, sie ist auch der festen Überzeugung, dass Äther dem Alkohol beigemischt sei. Bis auf drei Tage etwa haben die Eheleute sich dann verborgen gehalten und sind schließlich nach Holland gefahren. Wir wollen noch bemerken, dass Polizei während der ganzen Nacht nicht zu sehen war.
Aus absolut zuverlässiger Quelle weiß der Berichterstatter noch Folgendes - zum Teil hat er sich von der Richtigkeit durch Augenschein überzeugt.
In E. wurde der 64-jährige sehr angesehene Anwalt F. verhaftet und die gesamte Einrichtung seiner Villa zertrümmert. Später wurden tagelang Hunderte von Kindern durch Erwachsene, vielleicht Lehrer, durch das Haus geführt, offenbar um ihnen zu zeigen, in welcher Weise an den „Feinden des Volkes“ Rache genommen wird. Die Tochter eines anderen jüdischen Rechtsanwalts G. in demselben Orte ist mit ihrem jungen Ehemann drei Tage durch Wälder und kleine Orte gelaufen, um sich in Sicherheit zu bringen. Ein Pastor H., jüdischer Abstammung mit arischer Frau, wurde in Haft genommen, und als ein anderer Pastor ihr in ihrer Bedrängnis zu Hilfe kommen wollte, dieser selbst in Schutzhaft gesetzt. Eine Frau musste die Splitter von dem zerbrochenen Glas und Porzellan aufwischen und das Haus kehren, wurde dabei so beschimpft, dass ein Schutzmann zu ihrem Schutze eingreifen musste.
In welcher Weise dieses Vorgehen die Gedanken der Kinder, selbst der Kleinsten, beherrscht, konnte die Ehefrau C. erleben, als sie kurz vor ihrer Abreise in der Straßenbahn fuhr und hörte, wie ein Kind die Mutter fragte: „Hier in die Ecke kommen wohl die Juden?“ Man hörte auch oft die Bemerkung fallen: „Das hätten sie schon '33 machen sollen.“
Am Tage der Beerdigung vom Raths, als Hitler in Düsseldorf war, wurde von einer Frau das Bild des Mörders an das Gemeindehaus gehängt. Am 1. Dezember fanden zahlreiche Fachversammlungen statt, in allen wurde erklärt, wenn noch einmal etwas Derartiges vorkäme, würden alle Juden an die Wand gestellt. Ein allgemeines Verbot, Restaurants zu besuchen, war für Düsseldorf durch Radio herausgegeben und außerdem RM 500 - ausgesetzt für jeden Juden, der bei Überschreiten der Grenze ergriffen wird.
In meiner Heimat, erklärte die Ehefrau, haben gutmütige Christen, da die Lebensmittelgeschäfte nichts verkaufen durften, Lebensmittel auf die Dungstätte gelegt.
In der Synagoge wurden sämtliche Sitze zerschlagen, das Kupferdach war schon vorher abgedeckt. Ein hoher Richter J. wurde so misshandelt, dass sein Kiefer zweimal gebrochen ist. Einem Häusermakler K. wurden 14 Messerstiche mit einer solchen Sachkunde beigebracht, dass nach Ansicht des behandelnden Arztes diese nur von einem Metzger oder Arzt herrühren können. Als Sachverständige wirkten bei den Pogromen der Custos des Archäologischen Instituts in Trier und ein Beamter des Orientalischen Seminars in Bonn mit. Auch den höheren Ständen Angehörige billigten das Vorgehen der Horden und bedauerten wie z. B. der Generaldirektor eines Verkehrsunternehmens die Vorgänge lediglich deshalb, weil sie doch eigentlich hier Eigentum träfen, in diesem Fall heiligte aber der Zweck die Mittel. Die Zerstörungswut in den Häusern ging so weit, dass silberne Löffel zerbrochen, Pelzmäntel zerschnitten und nach beendeter Aktion noch immer Steine durch Erwachsene und Kinder in die Fenster geworfen wurden.