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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht aus Köln, Aachen und Umgebung

Sammelbericht über Synagogenzerstörungen, Verhaftungen, Plünderungen und Misshandlungen und die Reaktionen der Bevölkerung im Raum Köln, in der Eifel, in Aachen und Umgebung, in Mannheim, in Bonn und in Westfalen:

26. November 19382

Pogrom im Rheinland

Aus einer kleinen rheinischen Gemeinde des Kölner Bezirkes: Am Donnerstag, dem 10. November, fand morgens in unserer Synagoge ein „minjan“ (Jahrzeit) statt. Bei Schluss, gegen 9 Uhr, betrat der Orts-Polizei-Kommissar das Gotteshaus, verlangte, den Vorsteher zu sprechen, und ließ sich die Räumlichkeiten zeigen. Er erklärte höflich und ruhig, dass laut erhaltenen Instruktionen er anordnen müsse: Weder die Synagoge noch die inneren Türen dürften verschlossen werden; alle Schlösser müssten offen bleiben, auch die der Betpulte und des Thora-Schreines, den er sich zeigen und erklären ließ. Der Polizeibeamte besichtigte dann die anliegenden Gebäude, die jüdische Schule etc., in deren Obergeschoss der arische Kalfaktor1 wohnt, dem auch die Synagogen-Reinigung und Heizung obliegt. Der Beamte meinte sodann: „Hier nebenan passiert nichts...“

Ich wurde dann, wie fast sämtliche Gemeindemitglieder, kurz nach Rückkehr in der Wohnung verhaftet. Mehrere Stunden später traf von außerhalb die „spontane Volksmenge“ ein, und erst gegen 12 Uhr mittags erfuhren die Häftlinge im Polizeigefängnis (das an die Feuerwehr angrenzt) durch das Ertönen der Brandsirene, dass die Synagoge in Flammen stehe.

Aus den Dörfern und kleinen Städten in der Eifel wird übereinstimmend berichtet, dass kein Einheimischer an den Plünderungen und Rohheiten beteiligt gewesen sei. Alle Täter waren Fremde. In mehreren Orten wurde am 11. und am 12. November durch Ausrufer bekanntgemacht: Jeder, der Waren und Gegenstände aus jüdischen Häusern und Geschäften an sich genommen hat, muss diese sofort abliefern, anderenfalls drohe strenge Bestrafung. Die meisten Einwohner kamen dieser Aufforderung nach und übergaben das „herrenlose Gut“, das meist auf der Straße während der Demolierungen aufgelesen war, dem Ortsvorsteher.

Aus Aachen und aus Essen: Nach den Plünderungen wurden ganz offen auf der Straße „Geschäfte“ in Raubgut gemacht. Schuhe und Wäsche z. B. wurden gegen passende Nummern eingetauscht, in beiden Städten wurde neues Schuhwerk zu RM 2 - bis RM 3 - pro Paar verhandelt.

Mannheim: Die Synagoge wurde völlig demoliert, Brandstiftung erschien wegen der eng angebauten Nebenhäuser zu gefährlich. - Den Explosionen zufolge müssen im Innern der Synagoge Dynamitkapseln und Sprengbomben benutzt worden sein. - Am Samstag, dem 12., und Sonntag, dem 13. November, war die Synagoge dem Publikum zur Besichtigung freigegeben. Sammler der „W-H“ standen am Eingang und erhoben ein Eintrittsgeld von zehn Pfennig von den in großer Menge kommenden Schaulustigen.

Bonn: Auch hier waren in einem Dienstraum der Gestapo Thorarollen und sehr viel Synagogenschmuck säuberlich auf Tischen ausgebreitet. Ein SS-Mann in Uniform informierte sich bei einigen entlassenen älteren Schutzhäftlingen (über 65 Jahre alt - nur diese sind in Bonn entlassen worden) über Alter und Wert der Gegenstände, ferner über Gebrauchszweck, Inhalt der Bücher etc.

Mittelstadt, Nähe Aachen: Aus der Haft entlassene Juden, über 65 Jahre alt, wurden wenige Minuten nach Heimkehr telefonisch aufgefordert, sich sofort zu neuer Haft bei der Polizei zu stellen und Wäsche etc. für 14 Tage mitzubringen. -(Zwischen 18 und 19 Uhr abends, freitags!, am 11. November.) Den Eintreffenden wurde von dem diensthabenden Beamten erklärt, dass ihm nichts von dieser Aufforderung bekannt sei. Der wohlwollende Bürgermeister nahm sich der Verängstigten an, informierte sich telefonisch bei mehreren Stellen und schickte die Leute dann wieder heim, da offenbar ein SA-Mann sich einen üblen Scherz erlaubt hätte.

Westfalen: Ein deutscher Industrieller, Arier, bittet seine belgischen Geschäftsfreunde in längerem Privatbrief, nicht das deutsche Volk verantwortlich zu halten für die „Untaten verbrecherischer Elemente“. Der Brief schließt: „Motto: Das ist das Schrecknis in der Welt, schlimmer als der Tod, dass die Kanaille Herr ist und Herr bleibt. Das sind die Worte eines Deutschen, Wilhelm Raabe, im „Schüdderump“...“

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