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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht über das Pogrom in Köln

Nach dem 20. November entstandener Augenzeugenbericht eines jungen Holländers, des 25-jährigen G. Vigeveno aus Amsterdam, über die Lage in Köln nach dem Pogrom, die Verzweiflung der Ehefrauen Verhafteter, deren Schicksal im Konzentrationslager Dachau, die Wohnungsnot, die Schwierigkeiten bei der Auswanderung, die Zerstörung der Synagogen, Geschäfte und Wohnungen sowie über Einzelschicksale, darunter auch aus Solingen:

Bericht eines Holländers aus Köln

Ich war, um als Holländer Verwandte aufzusuchen und ihnen evtl. zu helfen, am 19. und 20. November in Köln. Ich fand eine verzweifelte Stimmung vor, vor allem bei den Frauen, die ununterbrochen in Weinkrämpfe ausbrachen, da das Schicksal ihrer Männer und deren Aufenthalt ihnen nicht bekannt war. Die Männer kamen zuerst in ein Arbeitslager in Brauwei-ler und von da in Baracken nach Dachau. Sie sind angeblich nicht unmenschlich behandelt worden, mussten aber ständig Marschübungen machen, eine vor allem für Ältere ungewohnte und daher aufreibende Tätigkeit. Alle sind geschoren sowohl am Kopf wie am Bart. Ca. 40 von den Älteren sind am Sonntag, dem 20. November, nach Köln zurückgekommen. Die Wohnungsnot ist außerordentlich groß, die Wohnungen sind gekündigt, teilweise zum 1. Dezember, zum Teil für einen späteren Termin. Die Leute sind verzweifelt, da sie nicht wissen, wo sie zu diesem Zeitpunkt Unterkommen sollen. Die jetzt noch benutzten Wohnungen sind von Geflüchteten aus der Provinz überfüllt. So wohnen bei meiner Tante sieben Leute in zwei Zimmern. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Leute die Auswanderung nicht betreiben können, da sie ihre sämtlichen Papiere infolge der überstürzten Flucht in den kleinen Orten zurückgelassen haben und nun ohne Lebensgefahr nicht dorthin zurückkehren können.

Die Synagogen in der Roonstraße und Glockengasse stehen zwar noch, sind aber stark beschädigt und innen ausgebrannt. Der Rabbiner Dr. Caro hat die Befugnis, Gefangene in den Arbeitslagern zu besuchen.

An Einzelheiten ist mir zuverlässig Folgendes bekannt: Herr William Frankenstein in Solingen, 64 Jahre alt, ist mit einem Säbelhieb über den Kopf schwer verletzt [worden], und zwar durch einen entlassenen Angestellten. - Ein Friseur Spiro in Köln-Ehrenfeld ist an erlittenen Misshandlungen gestorben. -Ich habe mich selbst bei einer Familie in Köln-Braunsfeld davon überzeugt, dass die gesamte Einrichtung zertrümmert ist. - Sonst habe ich an allen jüdischen Geschäften gesehen, dass Bretter vorgenagelt sind, insbesondere auch an zwei jüdischen Konditoreien.

Ein hoher Siebziger hat mir erzählt, dass er dabei war, wie die Schneiderstube eines Verwandten völlig vernichtet worden ist. Er hat einen Schlag mit der Waffe, der dem Besitzer zugedacht war und ihn sicher tödlich getroffen hätte, abgewehrt.

Ich selbst habe, um der dringendsten Wohnungsnot abzuhelfen, Leute in großen Wohnungen untergebracht und versuche auch, Verwandte, bis deren Auswanderung betrieben ist, hier unterzubringen.

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