Berichte aus Emden und Norden
Nach dem 24. November 1938 aufgezeichnete Berichte aus Emden und Norden über Ereignisse und Einzelschicksale während des Pogroms und danach:
Aus dem Altersheim in Emden in Ostfriesland wurden am 10. November 1938 die Insassen, alles Leute zwischen 70 und 80 Jahren, auf den freien Platz vor der Schule, wo sich auch die anderen jüdischen Bewohner der Stadt einfinden mussten, getrieben. Man führte sie an der brennenden Synagoge vorbei und zwang sie, dabei zu singen. Auf dem Platz ließ man sie turnen und Kniebeugen machen. Am anderen Morgen brachte man sie in das Heim zurück.
Infolge der Pogrome sind eine Anzahl von Todesfällen zu verzeichnen:
Daniel de Beer, Schlächter in Emden, wurde angeschossen und für tot liegen gelassen. Er wurde ins Krankenhaus gebracht, wo er nach ca. 14 Tagen an den Verletzungen gestorben ist.
Seine Frau Rosi de Beer, Mutter von zwei kleinen Kindern, musste mit den Kindern ebenfalls nachts auf dem Schulplatz antreten. Sie wurde von Verwandten in Holland aufgenommen. Man ließ sie jedoch erst abreisen, nachdem sie alle Zerstörungen in ihrem Laden und in ihrer Wohnung auf eigene Kosten hatte reparieren lassen. Auch die Krankenhauskosten für ihren Mann musste sie selbst bezahlen. Die Leiche war übrigens ordnungsmäßig zur Beerdigung freigegeben worden.
Ein junges Mädchen, Lina de Beer, war in ihrer Wohnung, die sie mit ihren Brüdern zusammen bewohnte, eingeschlossen worden. Sie entkam, indem sie über das Dach kletterte und dann von christlichen Nachbarn aufgenommen und gepflegt wurde. Dieselben christlichen Freunde hatten seinerzeit bei dem Abschub der polnischen Juden eine große Anzahl Decken für die Unglücklichen gestiftet.
Sally Löwenstein, Emden, starb auf dem Transport nach dem Lager angeblich am Herzschlag; wie sich später herausstellte, ist [er] mit Kolbenschlägen erschlagen worden. Leopold Cohn, Emden, 39 Jahre alt, wurde von einigen der Horde ins Wasser gestoßen, als er wieder ans Ufer kam, warfen sie ihn immer wieder von neuem hinein, bis er schließlich halbtot herauskam. Dann wurde er ins Konzentrationslager gebracht. Er ist aber schließlich doch lebend wieder heimgekommen.
Louis Pels, ein leidender Mann, wurde blutig geschlagen, und [es wurde] ihm die ganze Wange zerschnitten. In seiner Wohnung lag, wie in fast allen jüdischen Wohnungen der Stadt, das zertrümmerte Porzellan in Haufen herum. Er kam später nach Holland (Groningen), ist aber durch die Erlebnisse ganz verstört.
Der Rabbiner von Emden befand sich gerade auf einer Reise, als man ihn ebenfalls suchte. Seine Frau musste, in ihrer Wohnung eingeschlossen, den Brand der Synagoge mit ansehen. Den Rabbiner identifizierte man mit Hilfe einer Photographie, die man sich aus der Wohnung geholt hatte, und verhaftete ihn noch unterwegs. Das Ehepaar kam später nach Palästina, wo die Frau kurz nach der Landung infolge der vielen Aufregungen gestorben ist.
In Norden in Friesland holte man die Leute nachts in den Hemden aus den Betten, koppelte sie wie das Vieh zu zweit aneinander und stellte sie in Pferdeställe, wo sie verprügelt wurden. Dann wurden sie ins Konzentrationslager abtransportiert.