Bericht aus Breslau
Nach Juni 1939, vermutlich in Breslau verfasster Bericht über die Ausplünderung bei der erzwungenen Schmuck- und Edelmetallabgabe:
Die Praxis der Schmuck- und Edelmetallabgabe Seit Dezember 1938 haben die verschiedenen Devisenstellen des Reiches eine ständig wechselnde Praxis in der Belassung von Schmuck und Gegenständen aus Edelmetall eingenommen. Einmal wurden Gegenstände zur Mitführung im Umzugsgutvöllig verboten, dann wieder wurde ihre Mitführung gegen erhebliche Zuschläge an die Golddiskontbank gestattet, dann wurde nur eine teilweise Mitgabe genehmigt usw. Nunmehr ist die Frage radikal gelöst: Alle Schmuckgegenstände und Gegenstände aus Edelmetall waren bis zum 31. März gegen „Entschädigung“ abzugeben. Die Abgabe musste bei den hierfür bestimmten städtischen Pfandleihen erfolgen. Da aber einzelne größere Städte derartige Institute nicht haben, wurden die Juden etwa in Schlesien gezwungen, die Reisekosten nach Breslau aufzuwenden, wo sie ihr Silber pp. anzuliefern hatten. Die Entschädigung wird nach Grundsätzen bezahlt, die auch ein ruhiger Kritiker als Brandschatzung bezeichnen muss.
Es wird nicht etwa der Verkehrswert eines Schmuckstücks be zahlt, sondern jedes Stück Edelmetall wird nach Gewicht zu einem lächerlichen Gewichtspreis bezahlt. Es ist gleichgültig, ob man einen 800 Jahre alten Kirchenbecher mit künstlicher Filigran-Ziselierung abliefert oder eine silberne Taschenuhr: Gezahlt wird für jedes Gramm Silber eineinhalb bis zweieinhalb Pfennig. In Breslau wurden und werden gezahlt für Bruchsilber eineinhalb Pfennig, für Silber in ungebrochenem Zustand zweieinhalb Pfennig für jedes Gramm. Die Schikane der Abnahmebeamten besteht darin, völlig intakte Sachen als Bruchsilber zu bezeichnen und deshalb noch einen Pfennig für jedes Gramm zu sparen. Ein jüdischer Ablieferungspflichtiger setzte sich gegen diese Schikane zur Wehr, nahm aus seiner Aktentasche einen Hammer und erklärte dem schikanierenden Pfandleihbeamten, dass er sein als Bruchsilber bezeichnetes völlig intaktes Silber nunmehr zu Bruchsilber zerschlagen würde. Daraufhin wurde ihm auf Intervention des Direktors der Pfandleihe der Preis von zweieinhalb Pfennig gezahlt. Wer bei der Vermögensangabe seine historisch oder künstlerisch wertvollen Gold- oder Silbergegenstände nur mit dem Gewichtswert angegeben hätte, hätte sich der Gefahr ausgesetzt, sein Vermögen zu niedrig angegeben zu haben. Damals haben korrekte Juden diese ihre Gegenstände von Sachverständigen taxieren lassen. In einem bekannten Falle wurde im Juni eine Taxe für mittelalterliche Silbergeräte mit 10000 Mark abgegeben. Der Eigentümer erhielt heute von der zuständigen Pfandleihe 700 Reichsmark Gewichtswert.
Wer sein silbernes Tafelbesteck, seine alten Uhren abzugeben verpflichtet ist, hat als Auswanderer das tatsächliche Bedürfnis, sich Ersatzgegenstände aus unedlem Metall anzuschaffen. Die Anschaffung ist aber nur dann zulässig, wenn für die neu angeschafften Gegenstände eine hundertprozentige Abgabe an die Golddiskontbank geleistet wird, weil ja diese Gegenstände nach 1933 angeschafft sind. Der Schreiber dieser Zeilen steht vor folgender Situation: Ihm ist im Februar 1939 die Mitführung der alten goldenen Uhr seines Vaters und eines alten Silberkastens für 12 Personen genehmigt worden. Anfang März wurde durch die grundsätzliche Ablieferungspflicht die Genehmigung rückgängig gemacht, und es ist ihm lediglich die Mitführung von vier Löffeln, vier Teelöffeln, vier Messern und vier Gabeln für sich und seine Ehefrau genehmigt worden.
Eine Ersatzuhr aus Stahl darf er kaufen, wenn er den Kaufpreis doppelt an die Golddiskontbank zahlt und ein umständliches, vier bis sechs Wochen dauerndes Genehmigungsverfahren durchführt. Er darf auch Messer, Gabeln und das übrige Essgeschirr aus Metall hinzukaufen, wenn er die hundertprozentige Abgabe zahlt und sich den Kauf genehmigen lässt. Da er aber für seine goldene Uhr etwa acht Mark Goldwert und für den ganzen Silberkasten 30 bis 40 Mark bekommt, ist es ihm nicht möglich, für den Erlös auch nur die billigsten Metallmesser pp. zu kaufen, geschweige denn die hundertprozentige Abgabe zu zahlen.
Schon jetzt ergehen Einladungen an Freunde mit der Bitte, Messer und Gabel zum Abendbrot mitzubringen, da der Gastgeber seinen Silberkasten hat abgeben müssen.
Tragisch ist die Lage vieler tiefreligiöser Menschen, die ihre Kultgegenstände, also Sabbathleuchter, Kidduschbecher pp., an die Pfandleihe haben abgeben müssen. Der Erlös reicht nicht zur Beschaffung von Ersatzgegenständen aus unedlem Metall. Da es sich zumeist um Gegenstände handelt, die generationenlang im Familienbesitz waren und starke Gefühlswerte in sich schließen, trauern ihnen die Besitzer in besonderer Herzlichkeit nach.
Zur frechen Groteske entwickelt sich die „Auslösebefugnis“: Mit einer Frist von zwei Tagen wurde den Juden das Recht eingeräumt, ihre eigenen Schmuckstücke und Edelmetallgegenstände zu behalten, wenn sie den von einem Sachverständigen des Reichswirtschaftsministeriums festzusetzenden Gegenweit in nichtanbietungspflichtigen Devisen zahlen. Ein Beispiel: Der Jude X. besitzt einen Kidduschbecher, der 100 Jahre im Besitz der Familie ist. Kunstwert 60-Mark, Gefühlswert unschätzbar, Erlös bei der üblichen Ablieferung an die Pfandleihe gemäß Gewicht 1.80 Mark.
Dieser Jude will sich aus Gefühlsgründen den Becher erhalten. Er musste hierzu sofort nach Erscheinen des Erlasses, für dessen Durchführung zwei ganze Tage zur Verfügung standen, Folgendes tun:
1. Antrag an das Reichswirtschaftsministerium auf Belassung des Bechers und Benennung eines Taxators.
2. Übergabe des Bechers in das Depot einer Devisenbank. Hierdurch entstehen Depotgebühren für die nächsten sechs Monate, innerhalb deren die Devisen beschafft werden sollen. Die Depotgebühr für einen Monat dürfte höher sein als der Gesamterlös, den der Jude bei Ablieferung nach Gewicht von der Pfandleihe erhalten würde.
3. Erscheinen des Sachverständigen bei der Devisenbank zur Abgabe des Gutachtens. Hierdurch entstehen erhebliche Sachverständigengebühren.
4. Weiterleitung der Taxe an das Reichswirtschaftsministerium.
5. Festsetzung des Devisenbetrages, den der Jude durch Angehen ausländischer Verwandter nach Deutschland bringen muss, um den Becher behalten zu dürfen.
6. Nach Ablieferung der Devisen soll Freigabeerklärung durch das Reichswirtschaftsministerium erfolgen.
Es ist anzunehmen, dass der Jude, der für seinen Kidduschbecher mit einem Verkehrswert von 60 - Mark bei Abgabe an die Pfandleihe 1.80 Mark von ihr als Erlös nach Gewichtsberechnung bekommen würde, Devisen im Betrage von etwa 75 - Mark Goldwert nach Deutschland hereinbringen muss, um sein Eigentum an dem Becher behalten zu dürfen. Verantwortlich für diese Brandschatzung, wie überhaupt für den Inhalt der wirtschaftlichen Judenbestimmungen, dürfte in erster Linie der Oberregierungsrat Dr. Gotthard vom Reichswirtschaftsministerium sein. Er war Gerichtsassessor und als Wirtschaftsreferent bei der Geheimen Staatspolizei beschäftigt. Diese hat ihn Anfang 1936 in das Reichswirtschaftsministerium lanciert, wo er in der so genannten Störungsstelle mitarbeitete. In Wirklichkeit hatte er die Aufgabe, die von Schacht eingerichtete Störungsstelle und ihre Leiter Ministerialdirektor Pohl und Ministerialrat Dr. Hoppe zu überwachen. Die Störungsstelle sollte nach dem Willen von Dr. Schacht Störungen der Wirtschaft, die durch Parteistellen erfolgt sind, ausgleichen.