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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Pogrom in Beuthen, Gleiwitz, Hindenburg und Hirschberg

Ende November 1938 berichtet Regierungsbaurat Kurt Krimmel aus Beuthen in Oberschlesien über die Pogromereignisse in Beuthen, Gleiwitz, Hindenburgund Hirschberg und gibt den Bericht seines Schwagers über die Lage im Konzentrationslager Buchenwald wieder:

Ich habe die Vorgänge in X. besonders sorgfältig beobachten können, da ich nicht verhaftet war und die ganze Zeit als höherer Beamter mich unangefochten bewegen konnte. Ich betrieb meine Auswanderung und hörte, als ich am Morgen des 9. November in dieser Angelegenheit auf der Gestapo war, dass eine große Aktion bevorstände. Ich dachte, dass es sich um Nachsuchung nach Waffen handelte, und brachte deshalb nachts meine und eines Freundes Waffe in einen Wald, wo ich sie in einen Teich warf. Am Morgen des 10. November - ich wohne weit draußen - erzählte mir meine Wirtschafterin, die Synagoge sei angezündet, alle Juden verhaftet, es würde gestohlen und die Wohnungen seien zertrümmert. Ich hatte so wenig davon bemerkt, dass ich mir erst durch Telefongespräche Sicherheit holte.

In X. ist unendlich viel gestohlen und nur kleine wertlose Gegenstände zurückgebracht worden, in den Wohnungen ist vandalisch gehaust [worden], ich habe selbst gesehen, dass Schreib- und kostbare Rechenmaschinen mit Patronen auseinandergesprengt sind, Kristallgegenstände sind zersplittert, in den meisten Wohnungen [wurde] Feuer gelegt und alles zertrampelt. Auch die Geschäfte sind geplündert, ich habe mich selbst überzeugt, dass z. B. das ganze kostbare Warenlager der Rosenthaler Porzellanmanufaktur vollkommen zertrümmert war. Es ist so viel geplündert, dass ein arischer Juwelier in meiner Gegenwart einem Reisenden aus Pforzheim, der verkaufen wollte, erklärte: „Dieses Jahr ist kein Geschäft zu Weihnachten zu machen, die SS hat schon alles, was sie verschenken will.“

Die Bevölkerung von X. ist zu 92% katholisch - es konnte daher erwartet werden, dass missbilligende Äußerungen fielen. Einer meiner katholischen Bekannten ist dieserhalb im Schnellverfahren zu Gefängnis verurteilt.

In X. wie in Y. und Z. sind auch Frauen und Kinder verhaftet, allerdings nach sechs bis acht Stunden wieder freigelassen. In der Zeit ihrer Abwesenheit sind dann die Wohnungen vernichtet.

Körperliche Misshandlungen sind, soweit mir bekannt, nicht vorgekommen, dagegen haben die SS-Leute die gemeinsten Beleidigungen von sich gegeben. Die SS-Leute waren fast ausnahmslos total betrunken, ob durch Alkohol, der ihnen zu diesem Zwecke vorher verabreicht war, oder durch Schnaps und Wein, den sie sich bei ihren Plünderungen verschafft haben, ist mir natürlich nicht bekannt. Die höchsten Regierungsbeamten, von denen ich mich verabschiedet habe, und zwar offiziell in den Diensträumen, haben mir fast übereinstimmend und ausnahmslos erklärt: „Wir sind traurig und schämen uns, dass wir Deutsche sind. Wir beneiden Sie, dass Sie hier rauskommen.“

Im Ganzen sind meiner Schätzung nach ca. 300 Personen, alle zwischen 20 und 60 Jahre, in X. verhaftet, Offiziere aus dem Kriege und Besitzer des EK I sowie Schwerkriegsverletzte sind freigelassen. Die verhafteten Juden kamen nach Buchenwald. Wie mir mein Schwager, der völlig zuverlässig und vorsichtig seine Eindrücke wiedergibt, erzählt hat, waren die neu gebauten Baracken in Buchenwald als Judenbaracken bereits im Juni gebaut, da geplant war, im Kriegsfälle sämtliche Juden ins Konzentrationslager zu stecken.

In Hirschberg war die Feuerwehr vor der Synagoge zwei Stunden, bevor sie innen angezündet wurde, aufgefahren, die Grabmäler sind geschändet, die Kinder spielten auf der Straße mit Thorarollen und Orgelpfeifen. Der Rabbiner A., 63 Jahre alt, musste während des Brennens der Synagoge und während Frauen und Kinder unter dem Ruf: „Alle Synagogen brennen!“ sich um die Synagoge aufstellen mussten, zwei Stunden lang vor der Synagoge knien und wurde dann ins Lager abtransportiert, ist aber jetzt wieder freigelassen. Für den Abbruch der Synagoge wurde von der Jüdischen Gemeinde ein Betrag von RM 30000 - gefordert, deren erste Rate von RM 15000 - ein Gemeindemitglied entrichtet hat.

Im Lager war, wie mein Schwager mir zuverlässig berichtet hat, die Ernährung zufrieden stellend. Die Häftlinge mussten vier Stunden täglich marschieren, der übrige Tag verlief mit Appellen, um 7V2 Uhr ging man zu Bett, ein Schlafen war wegen des grellen Scheinwerferlichtes nicht möglich. In sadistischer Weise wurden die Häftlinge in ständige Furcht gejagt, bei ihrem Einmarsch wurden wie zufällig Särge herausgetragen, und bei ihrer ersten Aufstellung, wobei sie mit dem Gesicht gegen die Wand stehen mussten, unterhielten sich die SS-Leute darüber, ob nach der körperlichen Beschaffenheit der Einzelnen wohl ein Nackenschuss oder eine andere Todesart die zweckmäßigere sei. Zu einem Herrn B., der besonders korpulentist, sagten sie: „Na, du wirst morgen schön brutzeln.“ Misshandlungen waren an der Tagesordnung, auch Selbstmorde kamen häufiger vor - in ihrer Verzweiflung liefen die Häftlinge in den elektrisch geladenen Draht.

Ernsthaft Kranke waren verloren, da es völlig an Medikamenten fehlte. Auf die Kranken wurde überhaupt keine Rücksicht genommen, sie mussten z.B. auch zum Appell mit heraus, selbst wenn sie dann schließlich zusammenbrachen und auf einer Bahre zurückgetragen werden mussten. Bei der Entlassung hat mein Schwager noch siebeneinhalb Stunden stehen müssen. Man gab dann aber schließlich den Abmarschierenden belegte Stullen, allerdings mit den Begleitworten: „Da sind eure Stullen, ihr Schweine“, mit.

Berichterstatter: Kurt Krimmel, Regierungs- und Baurat (52 Jahre), Beuthen (O. Schl.)

Zeichen:

X = Beuthen
Y = Gleiwitz
Z = Hindenburg
A. = Prof. Dr. Kolintzki
B. = Wolf

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