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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Hilferuf aus Berlin

Frau Reifmann, Berlin, bittet brieflich um intensive Bemühungen um Auswanderungsmöglichkeiten für zwei Verwandte, da davon deren Entlassung aus dem Konzentrationslager abhängt; erwähnt wird die Inhaftierung von Funktionären der Reichsvertretung und des Hilfsvereins:

Berlin, 19. November 1938 Ich weiß, dass es sicher unnötig ist, Ihnen noch extra über mein Unglück zu schreiben. Aber da ich gerade eine besondere Gelegenheit dazu habe, tue ich es doch. Ich bin so dankbar in dem Gedanken, dass Sie alles tun, was zu tun ist. Wenn es doch nur einen baldigen Erfolg hätte!

Folgendes ist vielleicht wichtig für Sie zu wissen, um Ihre Bemühungen für A. und B. noch intensivieren zu können: Man hört immer wieder, dass Anfang nächster Woche einzelne Kategorien zur Entlassung kommen sollen, Kriegsbeschädigte, Kriegsausgezeichnete, Offiziere, ältere Leute. Zu keiner dieser Kategorien nun gehören die beiden! Auch Geschäftsleute, die arisieren, sollen bevorzugt werden - auch das kommt ja nicht in Frage. Ich fürchte also sehr, dass die beiden bei dem Restbestand bleiben, der dann erst recht lange behalten wird. Das halten die beide[n] nicht aus! Ich bin so verzweifelt!

Man versucht auch Verschiedenes über die Organisationen zu erreichen, aber bis heute sind noch nicht einmal die zwei von der Reichsvertretung und die Funktionäre des - doch weiter arbeitenden - Hilfsvereins raus. Also da habe ich wenig Hoffnung. Es bleibt in der Tat nur die Eröffnung einer individuellen Auswanderungsmöglichkeit übrig. Und darum bitte ich Sie nun, wenn es irgend in Ihrer Macht steht! Leider, leider ist ja selbst, wenn ich durch Sie Unterlagen in die Hand bekomme, durch die mir der Konsul die Einreiseerlaubnis in Aussicht stellt, der Weg noch sehr weit. Denn selbstverständlich hat A. doch keinen Pass, und die Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Finanzämter, ohne die Pässe nicht ausgestellt werden, werden zurzeit nicht erteilt. Es heißt, dass das so bleibt, bis die Milliarde zusammen ist. O Gott, o Gott, überall rennt man mit dem Kopf gegen Mauern!

Trotzdem muss man unendlich erfinderisch und unermüdlich alles bedenken. Ich weiß, dass Sie das so tun wie ich. Dafür bin ich Ihnen unendlich dankbar.

Frau Reifmann, Berlin

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