Menü
Chronik und Quellen
1938
November 1938

Bericht über die Zerstörung der Synagoge in Potsdam

Augenzeugenbericht über die Verwüstung der Synagoge in Potsdam, die Verhaftung mehrerer Gemeindemitglieder und die Zerstörung der Leichenhalle auf dem Friedhof:

Die schöne Synagoge in Potsdam, die im Juni 1903 auf derselben Stätte am Wilhelmsplatz feierlich eingeweiht wurde, auf der das einst von Friedrich dem Großen gestiftete jüdische Gotteshaus gestanden hatte, ist wie fast alle anderen Synagogen in Deutschland in den Pogromtagen ebenfalls zerstört worden. Ein Augenzeuge berichtet Folgendes:

Am 10. November morgens um 5.30 Uhr ertönte bei uns die Flurklingel, ein Klingeln, das schaurig war und das ich wohl bis an mein Lebensende nicht vergessen werde. Ich wusste sofort, was dieses Klingeln zu bedeuten habe, und als ich aufs notdürftigste bekleidet die Tür öffnete, fand ich meine Befürchtung bestätigt: Fünf Mann in Zivil standen vor mir. Ihr Anführer wies sich als Gestapo-Beamter aus und erklärte mich sofort für verhaftet mit der Bemerkung, dass jeder Fluchtversuch zum Gebrauch der Waffe führen würde. Als in diesem Augenblick mein Sohn aus seinem Zimmer herauskam, wurde auch er verhaftet. Wir mussten uns in Gegenwart der Beamten anziehen, dann wurde ich aufgefordert, die Schlüssel zur Synagoge und die Gemeindebücher abzuliefern. Als ich bemerkte, dass ich sie nicht hätte, sondern dass die Schlüssel bei der arischen Kastellanin seien und die Bücher beim Rendanten, wurden wir beide in ein Auto verladen, das zum Polizeipräsidium fuhr und meinen Sohn dort absetzte.

Ich selbst musste zurück mit den Männern zur Synagoge. Dort stand bereits ein dunkler Haufen katilinarischer Gestalten in Zivil, gefährlich aussehende Burschen mit unheimlich wirkenden Werkzeugen in der Hand. Da die große Synagogentür dem Ansturm dieser etwa 20 bis 25 Mann starken Bande nicht nachgab, musste ich die Anführer zum Nebeneingang führen, wo nach der Kastellanin geläutet wurde. Da es den Herren zu lange dauerte, bis die alte Frau erschien, wurde die Tür eingedrückt, und nun führte ich die Anführer durch diesen Hintereingang in die Synagoge. Das sah dem Haupt der Bande wohl nicht feierlich genug aus, und so schrie er mich an: „Wir wollen doch ins Allerheiligste geführt werden!“ Ich erwiderte ihm, dass wir eben auf dem Wege dorthin seien. Wir standen dann auch bald zwischen der Kanzel des Rabbiners und dem Vorbeterpult.

In demselben Augenblick war der vor dem Hauptportal der Synagoge versammelte Haufen von vorn eingedrungen, und nun spielte sich vor meinen Augen mit blitzartiger Geschwindigkeit ein grauenhaftes Bild ab. Innerhalb weniger Minuten - da ich selbst das Bewusstsein wohl für einige Zeit verloren hatte, weiß ich nicht genau, wie viel Minuten es waren, so genau ich mich noch des ganzen Vorgangs und aller Einzelheiten erinnere, aber mehr als vier, höchstens fünf Minuten waren es bestimmt nicht - war das ganze Gotteshaus in einen wüsten Trümmerhaufen verwandelt. Sämtliche Fenster wurden eingeschlagen mit vorsorglich mitgebrachten hölzernen Handgranaten, wie sie vom Militär zum Üben benutzt werden, sämtliche Leuchter heruntergerissen, die Bänke wurden zertrümmert, die Frauenempore demoliert, der Sitz des Rabbiners, die Vorsteherbank zerhackt, die Vorhänge zerfetzt, die Thorahrollen in Stücke zerrissen, der große Chanukkahleuchter als Brechstange benutzt, kurz und gut: Nichts, aber auch nichts blieb heil. Es war so schauervoll und bestialisch, dass der Führer der Bande - ganz bestimmt kein weicher Mensch -dann zu mir sagte: „Es ist wohl besser, wenn wir jetzt gehen.“

Beim Abfahren sah ich noch im Vorraum kleine Flammen emporzüngeln. Wie ich aber später hörte, hatte die Oberpostdirektion ein energisches Veto gegen eine Inbrandsetzung der Synagoge ausgesprochen, nicht etwa aus irgendwelchen menschlichen Erwägungen heraus, sondern, wie entschuldigend hinzugefügt wurde, weil dadurch das unmittelbar neben der Synagoge liegende große Postgebäude sonst zu sehr gefährdet worden wäre.

Ich wurde nun ins Polizeigefängnis (Priesterstraße) gebracht, wo ich ca. drei Stunden allein in meiner Zelle blieb. Dann gegen ½ 10 Uhr öffnete sich die Tür, und es erschien der 70-jäh rige Herr H., eine Stunde später der 73-jährige Herr S. und eine weitere Stunde darauf der Zahnarzt Dr. P.

Erwähnen will ich noch, dass zur selben Zeit, in der sich die Zerstörung der Synagoge abspielte, ein zweiter Trupp sich auf dem Potsdamer jüdischen Friedhof eingeschlichen hatte, und zwar so leise, dass weder das Friedhofswärterehepaar noch deren Hund etwas davon merkte. Die Leichenhalle wurde ausgebrannt, im Übrigen der Friedhof nicht beschädigt.

Baum wird geladen...