Bericht über Pogrom in Berlin
Augenzeugenbericht vom 28. November über den Brand der Synagoge Oranienburger Straße und Bericht über den Tod eines verhafteten Zuckerkranken, die Lage in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Buchenwald und die Wiederaufnahme der Tätigkeit des Kulturbundes:
28. November 1938
Mein Mann hat sich persönlich überzeugt, dass die Synagoge Oranienburgerstraße, Berlin, nicht unversehrt ist. Sämtliche Fenster sind geplatzt, Kronleuchter und Balken heruntergestürzt. 24 Stunden nach den Synagogenbränden wurde durch Radio angesagt, dass der Kulturbund1 wieder spielen wird. Die Vorstellungen haben Dienstag, den 22. November, begonnen (zu einem Drittel besetzt), am Sonnabend, dem 26. November, musste das Cabaret wieder spielen.
Ein 32-jähriger Mann namens Hirschmann, schwer zuckerkrank, wurde am 10. November verhaftet. Der abholende Gestapo-Beamte sagte ihm, dass er sich Proviant mitnehmen solle. Drei Tage später erschienen zwei SS-Leute in der Wohnung und fragten die Frau, ob ihr Mann verbrannt oder beerdigt werden sollte, er sei gestorben. Herr A. ist sofort verhaftet worden und auf Intervention hin nach fünf Tagen aus Sachsenhausen entlassen worden. Nervlich aufs äußerste mitgenommen, verweigerte er Berichte, erzählte nur so viel, dass die Verhafteten sofort nach Sachsenhausen gebracht worden waren und zunächst zwölf Stunden stehen mussten, ohne etwas zu essen oder ein Bedürfnis verrichten zu dürfen. Diejenigen, die das nicht aushielten, wurden verprügelt. Am schlimmsten sind die seelischen Marterungen. Dem Lager steht ein Major vor. Dieser kehrte von einer Autofahrt nach Berlin zurück. 100 Juden (in diesem Lager sind auch die Berliner Rabbiner Dr. Swarsensky, Dr. van der Zyl, Dr. Jospe) wurden abkommandiert und mussten sich, auf beiden Seiten je 50, ans Tor stellen und den zurückkehrenden Major mit einem Sprechchor begrüßen: „Haben Herr Major heute Nacht gut...“ (ordinärster Ausdruck für das Beisammensein mit einer Frau).
Unwahr! Reichmann
Die Bevölkerung ist bis auf wenige Ausnahmen, die angeben, sich über die Vorgänge zu freuen, nicht nur nicht einverstanden, sondern ich weiß aus eigenen Erfahrungen Äußerungen von Christen, dass man sich schäme, ein Deutscher zu sein. Es passierte mir, dass ich, als ich mit meinem sehr jüdisch aussehenden Töchterchen auf der Straße ging, von einer jungen Dame angesprochen wurde: „Noch ist nicht aller Tage Abend.“
Das schlimmste Lager ist Buchenwald, in dem junge Burschen, Wiener SS, die Aufsicht führen.
Es ist angesagt worden, die Kulturbünde im Reich sollen wieder spielen, ohne dass man weiß, in welchen Räumen, für welche Mittel und vor wem.