Augenzeugenbericht über das Pogrom und dessen Folgen
Einige Zeit nach dem 10. November 1938 berichtet ein US-Bürger als Augenzeuge über den Versuch seines Bruders, sich während des Pogroms vor der drohenden Verhaftung zu verbergen, das Schicksal der Häftlinge und Todesfälle in den Konzentrationslagern sowie den Transport von Kindern in die Niederlande und nach England:
Ich traf eine große Zahl von Menschen in Deutschland, die aktiv versuchen, das Problem zu lösen, und so erhielt ich ziemlich [gut] Einblick in die Lage.
Das Problem des Einzelnen ist von geringerer Wichtigkeit, verglichen mit der Not der gesamten jüdischen Gemeinschaft. Die Probleme der unmittelbaren Mitglieder meiner eigenen Familie sind meine eigene Angelegenheit und sind von mir persönlich zu lösen unter jedem mir möglichen finanziellen Opfer und darüber hinaus. Es bleibtjedoch das Elend der gro-ßenMasse, das nurvon denen behoben werden kann, die sich mit Hunderten und Tausenden Dollar beteiligen können, ohne ihren Lebensstil zu beeinträchtigen, und zum Glück gibt es noch einige wenige davon in den Vereinigten Staaten.
Um eine persönliche Anmerkung zu machen und Ihnen ein Beispiel zu geben, das Sie sicher glauben und zu würdigen wissen werden, möchte ich Ihnen das Folgende berichten. Mein eigener Bruder wurde von der Gestapo (Nazi-Polizei) in seiner eigenen Wohnung gesucht. Glücklicherweise war er vorgewarnt und abwesend. Er ging dann zu meiner Mutter, um sich zu verstecken, und als man dort nach ihm suchte, wurde er zu amerikanischen Freunden gebracht. Die Polizei suchte auch dort nach ihm, sodass er von Ort zu Ort gejagt wurde, als ob er einen Mord begangen hätte. Er teilte dann meiner Mutter mit, er könne es nicht länger aushalten und wolle sich stellen. Mit größter Überredungskunst bestand meine Mutter darauf, er solle weiterhin eine Verhaftung vermeiden. Doch nach einem weiteren Tag des Durchhaltens bekam er den unvermeidlichen Zusammenbruch, der seine Nerven und seine Nieren angriff. Man versuchte, einen Arzt zu finden, aber alle jüdischen Ärzte waren selbst verhaftet worden, und schließlich wurde ein nichtjüdischer Arzt gerufen, der recht sympathisch zu sein schien. Er bemerkte, dass der derzeitige Zustand meines Bruders sehr verständlich sei und dass er in ein Krankenhaus aufgenommen werden müsse, ob er wolle oder nicht. Sie versuchten, ihn im allgemeinen Kran kenhaus von A. unterzubringen, aber nach einer halben Stunde Wartezeit wurde ihm die Aufnahme verweigert, da man dort keine Juden behandle. So landete er schließlich im Jüdischen Krankenhaus, wo er sich jetzt noch befindet. Andere Männer, die ich gut kenne, verstecken sich ebenso in den Kohlenkellern und an anderen Orten in ihren eigenen Häusern oder in denen anderer Leute, wo niejemand auf Läuten an der Tür antwortet oder das Licht einschaltet und so vorgibt, nicht zu Hause zu sein. Das sind natürlich Einzelfälle, da die große Mehrheit in Konzentrationslagern ist. Ein Freund von mir, den ich erst vor einigen Wochen traf, ein Vater von sechs Kindern, wurde um drei Uhr morgens aus seinem Bett heraus verhaftet, und, bedenken Sie, ich kenne natürlich nur die Geschichten der wenigen, deren Namen mir etwas sagen, während sich Tausende anderer in der gleichen Notlage befinden.
Ein Mann in Berlin, der nur deshalb nicht verhaftet wurde, weil er über 65 ist, weinte bitterlich, als er mir vom Schicksal einiger Leute in den Konzentrationslagern erzählte. Natürlich wollen die Deutschen die Juden draußen haben, und sie sind alle bereit, jeden Pfennig oder jedes Möbelstück zurückzulassen, das sie besitzen, aber die Schwierigkeit besteht darin, dass jedes Land die Einwanderung beschränkt, sodass der Prozess [der Auswanderung] derart zum Verzweifeln langsam ist. Herr B., nur etwa 50, wurde verhaftet und ist jetzt im Konzentrationslager Oranienburg. Die wenigen, deren Auswanderungspapiere in Ordnung sind und deshalb zur Auswanderung in der Lage sind, werden von den deutschen Behörden freigelassen. Bevor sie die Lager verlassen, müssen sie jedoch unter Eid unterschreiben, dass sie nichts über die Vorkommnisse im Lager berichten werden. Dennoch sind solche Männer die Informationsquelle. Als ich Herrn C. sagte, dass ich Frau B. treffen wolle, sagte er mir, dass das Leben im Lager wirklich furchtbar sei und die Leiden dort nicht nur mit dem Mittelalter vergleichbar seien, sondern so weit zurück bis nach Ägypten, als unser Volk unter Peitschenhieben arbeiten musste. Er bat mich, Frau B. nichts zu sagen, weil sie den Eindruck hatte, es sei dort nicht allzu schlimm, per Mut der Frauen ist wirklich unglaublich und höchst bewundernswert. Dies wird belegt durch Frau D., deren Mann in einem Konzentrationslager ist und die ein Kleinkind von zwei Jahren hat und in Kürze ein weiteres Kind erwartet. Die zwei Töchter von Frau B., etwa 16 und 14 Jahre alt, spielten Klavier und Cello, als wir dort anriefen. Frau B. war unterwegs, um einen Mann zu treffen, der gerade hatte Oranienburg verlassen dürfen, weil er seine Einwanderungspapiere hatte. Als sie zurückkam, war sie recht freudig, weil ihr Mann ihr Grüße bestellt hatte und weil sie den Eindruck hatte, es ginge ihm recht gut.
Der Rabbiner von Frankfurt ist entweder tot oder wurde im Lager getötet. Ein Vetter von mir, der dort ist, sagte mir, er hätte gehört, der Onkelseiner Frau, ein Mann von fast 65, und ein Vetter von etwa 40 seien beide im Lager gestorben. Fritz Warburg, Felix' Bruder, hatte ein gleiches Schicksal.
An der holländischen Grenze sind Kinder angekommen und haben dank der Bemühungen des holländischen Komitees ein Heim in Holland und England gefunden. Mir wurde von einem Augenzeugen berichtet, diese Kinder seien mit einer Schlinge um den Hals aus Deutschland herausgelassen worden, und man könne noch immer die Spuren davon sehen. Es herrscht eine Verfolgungswut in Deutschland, und diese Leute müssen einfach herausgeholt werden, wenn man nicht ruhig dabeistehen will, während sie getötet werden oder als Folge ihrer Leiden sterben. Könnten Sie sich vorstellen, wenn Sie auf der Queen Mary oder der Normandie reisen und ein kleines Boot in Seenotsehen, dass Sie tatenlos zusehen, während die Passagiere des kleinen Bootes ertrinken? Es genügt nicht, den Leuten Rettungsringe zuzuwerfen. Die Rettungsboote müssen heruntergelassen werden, und jeder muss zupacken.
Das Niederbrennen der Synagogen, die Zerstörung der Geschäfte und das Einwerfen der Fensterscheiben, wovon ich eine Menge mit eigenen Augen sah, passieren gleichzeitig. Die Änderung des Abtreibungsparagraphen, was der jüngste in Deutschland ausgeheckte Einfall ist, dass es nämlich für jüdische Frauen nicht mehr illegal ist, abzutreiben, weil kein Interesse an der Fortpflanzung der jüdischen Rasse besteht, ist nur ein Scherz, verglichen mit allem anderen, was ich gesehen und gehört habe.