Bericht über Misshandlungen während des Pogroms
Ein Augenzeuge berichtet nach 21. November 1938 über Misshandlungen während seiner mehrtägigen Haft in einem Zuchthaus und die Bedingungen für eine bevorzugte Entlassung:
Ich wurde mit meinem fast 60-jährigen Vater zusammen verhaftet und im Gefängniswagen, der unterwegs noch immer neue Juden aufnahm, sodass es schließlich unerträglich eng wurde, nach dem Zuchthaus A. gebracht. Dort mussten wir zunächst eineinhalb Stunden stehen, nachdem wir von SS-Leuten mit den Worten „Da ist ja das Judenpack!“ empfangen wurden. Es fand dann unsere Vernehmung statt, bei der in der unerhörtesten Weise auf uns eingeschimpft wurde. Ein etwas schwerhöriger Mithäftling, der auf eine Frage nicht richtig antwortete, wurde mit der scharfen Kante des Tisches, an dem er vernommen wurde, derart vor den Bauch gestoßen, dass er vor meinen Augen zusammensackte; ein anderer junger Mann kam nach seiner Vernehmung blutend zu uns in die Zelle, es waren ihm zwei Zähne ausgeschlagen. Wir mussten dann mit dem Gesicht gegen die Wand stundenlang im Gang in strammer Haltung stehen, bis wir abgeführt wurden. Neue Häftlinge kamen am Montag und Dienstag hinzu, sodass wir schließlich 82 in Räumen zu 35 waren. Ein Teil musste auf der Erde schlafen. Als wir zuerst in den Saal geführt wurden, kommandierte der SS-Mann: „Unter die Betten!“ Auf Alter wurde keine Rücksicht genommen, auch 60- bis 70-jährige mussten unter die Betten kriechen und, wenn es ihnen auch noch so schwer war, versuchen, den Raum unter den Betten rein zu machen. Natürlich wurde alles mit „Du“ angeredet.
Um 6 Uhr mussten wir aufstehen, um 7 Uhr war Appell. Wer sich rührte, wurde geohrfeigt. Vom Montag an fanden Marschübungen auf dem Hofe statt, abgewechselt durch Appell. Um 6 Uhr mussten wir ins Bett.
Ein jüdischer Mitgefangener, der ungefragt eine Bemerkung machte, erhielt drei Tage Arrest in einer dunklen Einzelzelle, in der sich lediglich eine Pritsche befand, und Wasser und Brot. Es war uns unmöglich, in der ganzen Zeit unserer Haft, uns zu waschen oder die Wäsche zu wechseln.
Ich kam nach sechs Tagen, weil mein Auswanderungsvisum vorlag, frei, mein Vater nach elf Tagen, weil er eine schwere Nierenkolik hatte. Bei der Entlassung mussten wir noch vier Stunden strammstehen und die Erklärung abgeben, dass wir bis zum 30.11. Deutschland verließen. Bei der Entlassung wurde uns gleichzeitig erklärt, dass christlich erzogene Halbarier, Gemeindebeamte, Lehrer, Rabbiner etc., Kriegsverletzte, Väter von mehr als drei Kindern, Inhaber von Betrieben mit mehr als acht arischen Angestellten und von solchen Betrieben, deren Arisierung bis 1. Januar durchgeführt ist, sowie Frontkämpfer mit Auszeichnungen bevorzugt entlassen werden.
Irgendwelche Nachricht über unseren Verbleib hatte meine Mutter nicht erhalten, sodass sie in ständiger Unruhe und Aufregung bis zu meiner Rückkehr war.