Die Gestapo Kassel berichtet
Am 5. September 1934 erstattet die Gestapo für den Regierungsbezirk Kassel folgenden „Lagebericht“ für April:
Juden und Freimaurer
Die Juden üben nicht überall die Zurückhaltung, die man im nationalsozialistischen Staat von ihnen erwarten müßte. Im Wirtschaftsleben treten sie immer stärker in Erscheinung. Mit den Bauern unterhalten sie lebhafte Geschäftsbeziehungen. Durch die Eingliederung der jüdischen Viehhändler in den Reichsnährstand ist ihre Stellung stark befestigt worden.
Bei der Wahl am 19.8.34 haben die Juden in den größeren Städten und auf Grund von Wahlscheinen mit Nein oder ungültig abgestimmt, oder sie haben sich überhaupt nicht an der Abstimmung beteiligt. In den kleineren Städten und auf dem Lande hat ein erheblicher Teil der Judenschaft mit Ja gestimmt, was ohne weiteres aus ihrer starken Beteiligung an der Wahl und den wenigen abgegebenen Nein-Stimmen ersichtlich war. Hier entspringen die Ja-Stimmen der jüdischen Angst und nebenher dem Zweck, ihre Stellung dem deutschen Volke gegenüber zu festigen.
Das jüdische Vereinsleben war während der Berichtszeit nicht so lebhaft wie in den Vormonaten.
In Kassel hat die Mittelstelle für Erwachsenen-Bildung (Sitz Frankfurt/Main) vom 12. bis 17.8.34 eine religiös-kulturelle Lernwoche veranstaltet. Die Vorträge waren nicht zu beanstanden.
Zu Ausschreitungen gegen Juden ist es während der Berichtszeit nur in einigen bedeutungslosen Einzelfällen gekommen (Rhina, Kreis Hünfeld).
Anläßlich des Ablebens des Reichspräsidenten hatten auch viele Juden schwarz-weiß-rote Fahnen auf Halbmast gezeigt. In Korbach sollen einige Juden von Parteigenossen zum Einziehen der Fahnen gezwungen worden sein. Aus Korbach wird ferner gemeldet, daß dort Juden zur Wahlbeteiligung und zur offenen Stimmabgabe gezwungen worden sein sollen. Die Ermittlungen darüber schweben noch.