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Chronik und Quellen
1934
Juni 1934

Die Gestapo Kassel berichtet

Am 5. Juli 1934 erstattet die Gestapo Kassel für den Monat Juni folgende „Übersicht über die politische Lage“:

Die Beschränkungen und die Disziplin der deutschen Presse verfehlen ihren Zweck, wenn gleichzeitig ausländische Zeitungen in großen Mengen den Markt überschwemmen. Besonders stark gekauft werden in letzter Zeit die in deutscher Sprache geschriebenen Schweizer Zeitungen. Wenn in Einzelfällen die Anordnung der Beschlagnahme von dort kam, waren die meisten Nummern schon vergriffen (z.B. Papenrede in Marburg). Sie werden, wie in Kassel, Fulda und Bad Wildungen beobachtet worden ist, besonders von Juden, Reaktionären und ehemaligen Zentrumsanhängern gekauft und von diesen nicht nur gelesen, sondern auch von Hand zu Hand weiter gegeben und inhaltlich von Mund zu Mund verbreitet. (…)

Die Judenfrage spielt im Bezirk der Staatspolizeistelle nach wie vor eine bedeutende Rolle. Wenn es einem Teil der Judenschaft wirtschaftlich schlecht geht (Ärzte , Rechtsanwälte , kleine Gewerbetreibende) so nimmt die wirtschaftliche Machtstellung des anderen Teils zu. Mit den Bauern machen die Juden wieder die besten Geschäfte.

Infolge anmaßenden Auftretens einzelner Juden sowie auf Grund des Artikels über den Boykott deutscher Waren durch die Firma Woolworth in Amerika ist es im Bezirk der Staatspolizeistelle wiederholt zu Ausschreitungen und Kundgebungen gegen die Juden gekommen, über die ich jeweils besonders berichtet habe. In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, daß es zu den Zwischenfällen mit der Firma Woolworth nicht gekommen wäre, wenn die Presse hinsichtlich des wirklichen Sachverhalts rechtzeitig einen Wink vom Reichswirtschaftsministerium erhalten hätte.

Aus Bad Wildungen wird gemeldet, daß die Zahl der jüdischen Kurgäste auffallend groß ist.

Die jüdische Vereins- und Versammlungstätigkeit hat während der Berichtszeit zugenommen. Die Veranstaltungen sind überwacht worden. Zu Zwischenfällen ist es nicht gekommen.

Über die jüdische Landhelfertätigkeit und den ''Verein jüdische Landwirtschaft e.V.'' in Gehringshof, Landkreis Fulda, habe ich am 19.v.Mts.-1015e- ausführlich berichtet. Die Beschäftigung jüdischer Landhelfer bedarf aufmerksamer Beobachtung. Es ist auffallend, daß die Landhelfer gerade in den Gegenden auftauchen, in denen die Voraussetzungen für die Landwirtschaft nicht günstig sind, aber staatliche oder wirtschaftliche Hilfseinrichtungen (Arbeitsdienstlager) bestehen. Hinzu kommt, daß die jüdischen Landhelfer meist nach kurzem Aufenthalt die Arbeitsstellen verlassen, besonders, wenn sie sich irgendwie beobachtet fühlen. Die Maßnahmen zur Kontrolle der jüdischen Landhelfer werde ich im Einvernehmen mit der Landesbauernschaft durchführen. Sache der Kreisbauernschaften muß es sein, mit allen Mitteln auf die Landwirte einzuwirken, daß sie jüdische Landhelfer nicht aufnehmen. Gegen rein jüdische Lehr-Güter, die Auswanderer zu schulen, ist m.E. nichts einzuwenden.

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