Bericht aus Goslar
Am 19. April 1934 erstattet die Kriminalpolizei Goslar folgenden „Versammlungsbericht“:
Am 18.IV.34 fand hier eine Versammlung der jüdischen Gemeinde in der Synagoge statt. Sie begann 20,15 Uhr vor einem Zuhörerkreis von 32 Männer [sic] und Frauen jüdischen Glaubens und wurde von dem Leiter der hiesigen jüdischen Gemeinde, dem Sauerbrunnenbesitzer Julius Neuburg, hier, v. Garßenstraße No.14 wohnhaft; geb. am 14.11.1878 in Hameln; mos.; verh.; unbestraft, eröffnet.
Neuburg hieß die Erschienenen - worunter sich auch 2 Juden aus Sessen befanden - in kurzen Worten willkommen und erteilte dem Referenten, dem Juden Ernst Behrend-Malachow aus Berlin das Wort.
Der Redner stellte sich als Beauftragter des Central-Verbandes deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens - Sitz Berlin - vor und umriß in kurzen Worten den eigentlichen Grund seiner Vortragsreise. Zweck seines Kommens sei der, die [sic] Glaubensgenossen über ihre heutige Lage einige Aufklärungen zu geben und eine gewisse Verbundenheit oder Kontakt der im deutschen Reiche zerstreut wohnhaften Juden wieder herzustellen. Er schilderte dann die Arbeit des CV und betonte, daß bisher keinerlei Schwierigkeiten mit der Reichsregierung und dem Geh. Staatspolizeiamt vorgekommen wären. Der Redner verbreitete sich dann über die Emigration, die er nicht für glücklich hält. Die Abwanderung aller in Deutschland lebender Juden sei eine Unmöglichkeit, da die anderen Länder schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht in der Lage seien, diese große [sic] Menschenmassen ohne Schwierigkeiten aufzunehmen. Der Redner sprach von 500.000 Juden, die augenblicklich in Deutschland aufhältlich seien. Im vergangenen Jahre wären 6.000 ausgewandert und er schätze die Quote der jährlich auswandernden Juden mit 10.000 Köpfen ein, die im Auslande aufgenommen werden könnten. Hierunter befänden sich aber auch Juden anderer Staaten. Schon aus gesundheitlichen Gründen sei die Abwanderung nach dem heiligen Lande nicht durchführbar, denn die klimatischen Verhältnisse in Palästina wären derart, daß die älteren Leute darin Zugrunde gehen müßten. Eine Abwanderung nach diesem Lande sei deshalb nur Sache gesunder, widerstandsfähiger junger Menschen. Dem alten in Deutschland angesessenen Judentum würde es auch schon aus dem Grund besonders schwer fallen auszuwandern, da sie zu sehr mit Land und Leute [sic] verbunden seien. Auch sie seien mit ihrem deutschen Vaterlande eng verwurzelt und ihre Liebe zu ihrem Vaterlande sei genauso groß, wie die der nichtjüdischen Bevölkerung.
Das Bestreben eines jeden anständigen Juden dürfte in der heutigen Zeit nur darauf gerichtet sein, dem Vaterlande zu helfen und zu dienen, wenn auch nur als einfacher Arbeiter oder Angestellter. Jeder habe sich unterzuordnen und zu seinem Teil daran mitzuhelfen, daß die Ziele erreicht werden, die sich die Regierung gestellt und die von unserm Herrn Reichskanzler vorgezeichnet sind. Auch sie lehnten die Art der Juden ab, wie sie im Volksmunde so gern karrikatiert [sic] würden.
Weiter verwies der Redner noch auf die von ihnen im Weltkriege gebrachten Blutopfer. 12.000 jüdische Krieger hätten ihr Blut für ihr Vaterland hingegeben, sodaß auch schon aus dieser Tatsache der Nachweis erbracht sei, wie sie mit dem deutschen Vaterlande verbunden wären.
Der sprichwörtliche Reichtum der Juden sei heute eine Fabel. Es gäbe heute in Deutschland unter der jüdischen Bevölkerung bittere Not, was schon daraus zu ersehen sei, daß im vergangenen Winter allein in Berlin 42.000 Juden von der Winterhilfe betreut worden wären.
Weitere Ausführungen machte der Redner darüber, warum der Andrang der Juden zur akademischen Laufbahn besonders stark gewesen wäre. Nicht aus Arbeitsscheu, sondern nur der Wunsch ihren Kindern eine bessere Aufstiegsmöglichkeit zu geben, sei maßgebend gewesen. Diese gleichen Ziele könne man ja auch in den anderen Ständen beobachten. Auch der deutsche Arbeiter und kleine Beamte ist bestrebt, seinen Kindern eine bessere Schulbildung zu geben und ist es nicht unbekannt, daß gerade aus diesen Kreisen bedeutende Männer hervorgegangen sind.
Seine Ausführungen beendete der Redner nochmals mit dem Hinweis, das über sie gekommene Leid in Geduld zu tragen und alles zu tun, um die verloren gegangene Verbindung mit dem deutschen Volke wieder zu finden und so zu festigen, daß sie eine neue Grundlage zu ihrem Leben bilden möge. Der Aufstieg der deutschen Nation könne auch nur für sie von Vorteil sein und er hoffe, daß unserem Vaterlande der Aufstieg nicht versagt bleiben würde. Wenn der Aufstieg gelinge, dann würde auch ihren Kindern die Gleichberechtigung im deutschen Vaterlande nicht versagt bleiben.
Gegen 21 Uhr fand die Versammlung ihr Ende.
Der Einberufer Neuburg dankte in seinem Schlußwort dem Redner für die Ausführungen und forderte seine Glaubensgenossen hier in Goslar zur Mitarbeit im Interesse unseres deutschen Vaterlandes und seines herrlichen Führers auf.
Die Versammlung verlief ohne Störung und es wurde insbesondere keinerlei Störung von außen unternommen. Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen wurden nicht festgestellt.
Politische Erörterungen wurden nicht gemacht, sondern die Ausführungen betrafen nur rein wirtschaftliche Gebiete und die Frage der Emigration.