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Chronik und Quellen
1945
April 1945

Aufforderung zur Opferbereitschaft

Benjamin Murmelstein appelliert am 24. April 1945 an die Gettobewohner, Opferbereitschaft für Juden aus den evakuierten Konzentrationslagern zu zeigen:

An die Einwohner des jüdischen Siedlungsgebietes

Durch die Ankunft von rund 10 000 Juden, welche mit Sammeltransporten am 20. und 21. April hier eingetroffen sind, ändert sich nicht nur grundlegend das Bild unserer Stadt, sondern es ergibt sich auch für jeden von uns eine Reihe von Pflichten und Aufgaben.

Den angekommenen Juden sind die Folgen einer langen und mühevollen Reise anzusehen. Sie müssen mit Lebensmitteln sowie Kleidungsstücken versehen und unseren Möglichkeiten entsprechend untergebracht werden.

Es ist hervorzuheben, daß der zusätzliche Bedarf an Lebensmitteln durch die Vergrößerung der Verbraucheranzahl keineswegs zu Lasten der bisherigen Einwohner geht, da aus den vorhandenen Vorräten immer nur jene Mengen entnommen werden dürfen, die auf den Kopf der vorhandenen Bevölkerung entfallen.

Es war nicht zu umgehen, daß Gebäude frei gemacht werden, um Unterkünfte für die Neuankömmlinge zu schaffen. Es ist auch nicht zu vermeiden, daß der bisher jedem einzelnen zur Verfügung stehende Wohnraum eine Verengung erfahren wird, es darf jedoch erwartet werden, daß jeder von uns sich der Notwendigkeit bewußt bleibt, Opfer bringen zu müssen, um Juden, die auf uns in jeder Beziehung angewiesen sind, zu helfen. Die Sammlung von Kleidungsstücken, welche es innerhalb weniger Stunden ermöglicht hat, die zuerst eingetroffenen Transporte auszustatten, bis wir weitere Kleidungsstücke zur Verfügung gestellt bekommen, hat bewiesen, daß die meisten von uns sich ihrer Pflicht vollauf bewußt sind.

Im Interesse der Gesundheitsverhältnisse im Siedlungsgebiet ist es notwendig, daß die Neuankömmlinge bis auf weiteres in ihren Wohnräumen von den anderen Einwohnern gesondert verbleiben. Es ist daher, um die Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, bis auf weiteres unzulässig, daß sie sich in den Straßen frei bewegen und die einzelnen Häuser aufsuchen. Es ist daher gerade jetzt besonders wichtig, auf die Reinheit des Körpers, unserer Kleidungsstücke und unserer Wohnräume zu achten. Vermeidet jeden, wenn auch noch so gut gemeinten Versuch, aus eigenen Mitteln vereinzelte Gaben auszuteilen. Diese sind nicht geeignet, eine merkbare Abhilfe zu schaffen, führen jedoch durch ungleichmäßige Behandlung zu Auseinandersetzungen innerhalb der Transporte selbst und erschweren die Aufrechterhaltung der lebenswichtigen Ordnung. Die Mitarbeit eines jeden von Euch ist erwünscht und notwendig, sie muß jedoch im Rahmen der Gemeinschaftsaktion durchgeführt werden.

Die Aufnahme und Unterbringung der zuletzt angekommenen Juden ist eines der schwierigsten Probleme, die von der Jüdischen Selbstverwaltung in Theresienstadt überwunden werden mußten. Es wird hoffentlich auch diesmal gelingen, wenn keiner von uns untätig zur Seite sieht. Wir stehen vor einer Aufgabe, deren Durchführung genau beobachtet wird. Sorget dafür, daß das Urteil, welches dereinst über die Arbeit in Theresienstadt gesprochen wird, auch die in den letzten Tagen vollbrachten Leistungen als Beweis für die gute Haltung der in Theresienstadt lebenden Juden anführt. Es werden von uns Opfer verlangt, jeder Einzelne möge sie bringen, in dem Bewußtsein, daß auch er an dem hier in Angriff genommenen großen Hilfswerk nach seinen Kräften beteiligt zu sein hat.

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