Bericht über Theresienstadt
Der Jüdische Weltkongress übermittelt dem Joint in New York am 1. August 1944 einen Bericht über die Zustände in Theresienstadt:
Bericht eines Bewohners des Protektorats über Theresienstadt, aufgezeichnet wahrscheinlich Anfang 1944 auf neutralem Boden
Viele Menschen schrieben und empfingen regelmäßig Briefe und schickten Pakete an Freunde oder Verwandte in Theresienstadt. Der erste deutsche Lagerkommandant dort war Doktor Seidl. Sein Regiment war manchmal streng, dann wieder menschlicher, je nach Stimmungslage. Er wurde später ersetzt durch Burger, „ein Ungeheuer“. Nachdem Burger das Kommando übernommen hatte, starben beispielsweise 1943 viele Juden infolge von Unterernährung an verschiedensten Krankheiten. Vor einigen Monaten wurde Burger von Rahm abgelöst, dem man nachsagt, er sei eher menschlich und anständig, insofern man das von einem SS-Offizier überhaupt erwarten kann.
Die Höchstzahl der in Theresienstadt untergebrachten Juden lag bei etwa 70 000. Das war zu Beginn des Jahres 1943. Zu dieser Zeit starben durchschnittlich 100 Personen täglich. Dementsprechend ist die Zahl der Insassen zurückgegangen und betrug Anfang dieses Jahres nur noch zwischen 30000 und 35000. Es haben sich eine Reihe von Krankheiten ausgebreitet, darunter sogar Typhus und in großem Umfang Tuberkulose, es heißt aber, dass die Ausbreitung von ansteckenden Krankheiten gestoppt werden konnte. Es gibt in Theresienstadt viele jüdische Ärzte, unter ihnen einige sehr fähige und berühmte Männer, und das Krankenhaus ist gut ausgestattet. Sie verfügen auch über Medikamente, es ist jedoch nicht bekannt, ob sie Zugang zu allen benötigten Arzneimitteln haben.
Theresienstadt ist eine alte Festung, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgegeben wurde. Zusätzlich zu den Gebäuden und Baracken werden die alten Kasematten für die Unterbringung der Menschen genutzt. Manchmal müssen sich 12 bis 14 Menschen einen Raum teilen. Verheiratete Paare und Familien werden zusammengepfercht, nur gelegentlich werden ihnen Einzelunterkünfte zugewiesen. Es gibt nach Geschlecht getrennte Gemeinschaftsschlafsäle, doch manchen Familien oder verheirateten Paaren ist es gelungen, aufgrund guter Beziehungen oder Glück oder durch Bestechungen ein eigenes Zimmer oder eine eigene Wohnung zu erhalten. Dieser Vorteil ist mit dem Nachteil verbunden, dass man das Essen aus der öffentlichen Küche holen muss und es auf dem Weg kalt wird, während die Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften mit Essen aus den nahegelegenen Küchen versorgt werden.
Im Jahr 1943 war es am schlimmsten. Die Lagerinsassen erhielten lediglich eine Tasse Kaffeeersatz am Morgen, zum Mittagessen eine miserable Suppe und eine Scheibe Brot und am Abend noch einmal Kaffeeersatz. Die Pakete, die man den Juden zukommen ließ, haben die Situation für viele zwar beträchtlich verbessert, aber das war selbstverständlich keine Lösung für alle. Am Anfang war das maximale Gewicht der Pakete auf zwei Kilogramm beschränkt, aber sie konnten unbegrenzt verschickt werden. Dieser Umstand wurde von vielen Personen „missbraucht“, insbesondere von denjenigen, die Angehörige oder Freunde im Protektorat hatten. Einige erhielten wöchentlich bis zu 10 oder gar bis zu 20 Pakete, während andere vollkommen leer ausgingen. Schließlich ordnete der Lagerkommandant an, dass Juden in Theresienstadt nur einmal alle sechs Monate ein Paket mit einem Maximalgewicht von 20 Kilogramm von einem Absender aus dem Protektorat erhalten dürfen. Aus anderen Teilen des Reichs und aus dem Ausland durften weiterhin mehrere Pakete bis maximal zwei Kilogramm geschickt werden. Man geht davon aus, dass die eintreffenden Pakete in der Regel an ihre Empfänger weitergeleitet und nicht gestohlen werden. Mehrere Personen haben in aus dem Lager geschmuggelten unzensierten Briefen ihren Erhalt bestätigt.
Während der vergangenen Monate hat sich die Nahrungsmittelversorgung erheblich verbessert. Die Juden bekommen mehr Brot, Kartoffeln, Bratenfett und ungefähr dreimal die Woche Fleisch. Fast alle gehen einer Arbeit nach. Es gibt verschiedene Werkstätten und Fabriken in Theresienstadt, wo Teile der Wehrmachtsuniformen, Möbelstücke, Spielzeug, Papiertüten und viele andere Produkte hergestellt werden. Die Insassen des Gettos verfügen über ein Cafe. Sie haben ein Orchester gegründet, und es werden Konzerte und Theaterstücke aufgeführt. Es fand sogar eine Aufführung von Smetanas „Verkaufter Braut“ statt, mit Klavierbegleitung, aber ohne Kulissen. Im Sommer dürfen die Lagerinsassen in der Elbe baden, wo ein Strand hergerichtet worden ist. In Theresienstadt zu leben ist allerdings alles andere als angenehm. Die Menschen haben keinen Zugang zu Tabakwaren, was für Raucher sehr unerfreulich ist. Einmal, es war gegen Ende des Jahres 1942, ist es mehreren Juden gelungen, aus dem Lager zu fliehen. Daraufhin wurden sehr strenge Regeln eingeführt. Nachtruhe war bereits um 7 Uhr, zu diesem Zeitpunkt mussten alle Lichter ausgeschaltet sein. Am schlimmsten ist die ständige Angst, nach Polen deportiert zu werden. Eine Zeitlang diente Theresienstadt nämlich auch als Transitlager für Juden aus Belgien, Holland und Frankreich, die nach Polen transportiert werden sollten. Es gibt keine Beweise, dass in Theresienstadt Gräueltaten stattfinden, wie sie aus Polen bekannt sind. Die meisten Außenwachen sind Tschechen, die sich sehr gesittet verhalten. In der Stadt haben die Juden eine Selbstverwaltung errichtet mit jüdischen Polizisten, die sehr streng sein sollen. Im Herbst 1943 sind mehrere tschechische Gendarmen bei der heimlichen Verteilung von Briefen und Paketen an die Lagerinsassen erwischt und daraufhin erschossen worden. Seitdem ist die Kommunikation schwieriger geworden, aber es ist den Menschen trotzdem gelungen, den Kontakt mit den Häftlingen aufrechtzuerhalten.
Wer Pakete nach Theresienstadt verschicken will, dem wird empfohlen, sie insbesondere mit Fett, Zucker, Fleisch und, falls möglich, Vitaminen, insbesondere Vitamin C, zu bestücken.
In Theresienstadt wird auch geheiratet. Manchmal sind es echte Vermählungen, manchmal findet eine Heirat nur deshalb statt, um einen der Partner vor der Deportation nach Polen zu schützen, etwa wenn einer der Partner eine wichtige Funktion im Lager innehat. Oder man heiratet, wenn er oder sie an einen anderen Ort gebracht werden soll und die Ehefrau oder der Ehemann Theresienstadt dann ebenfalls verlassen kann. Es ist nicht bekannt, ob in Theresienstadt Kinder geboren werden.