Bericht über Theresienstadt
Heda Neumannova berichtet dem Hechaluz am 27. Februar 1944 über Theresienstadt und schildert die Schwierigkeiten, im Untergrund zu leben:
Liebe Chawerim!
Anschließend an meinen ersten Brief vom 5. Sept. aus B. will ich Euch heute über einige Dinge ausführlicher berichten, die ich in meinem ersten Schreiben nur streifte.
Zuerst noch zu den Transporten: Als ich Euch das erste Mal schrieb, berichtete ich Euch noch, daß es in Prag selbst einige wenige und auf dem Lande an ein bis zwei Arbeitsstellen Juden gebe. Diese Außenarbeitsgruppen wurden liquidiert, und zwar wissen wir selbst nicht wie, ob die Chawerim nach Theresienstadt oder direkt nach Polen geschickt wurden. Heute gibt es also überhaupt keine Juden mehr dort, nur diejenigen, welche arisch versippt sind und bei welchen sich der arische Teil hundertprozentig als arisch dokumentieren konnte.
Vor ca. einem Monate erhielten wir die Nachricht, daß sich die Lage in Th. außerordentlich verschlechterte, insbesondere berührte uns die Meldung, daß Edelstein sich nicht mehr dort befinde. Wir wissen nicht, ob er - wie die angebliche Meldung lautete - nach Warschau versetzt wurde oder ob diese Meldung bedeuten sollte, daß er gestorben sei, denn in Warschau selbst gibt es ja keine Juden mehr. Jedenfalls ist dies eine sehr schlechte Wendung und spornte diese uns wieder neuerlich an, alles zu unternehmen, um wenigstens einzelnen unserer Leute zu helfen, d. h., sie von dort wegzubringen. Ich weiß nicht, ob Rafi Euch nicht schon davon berichtet hat, auf jeden Fall führe ich noch einmal an, daß morgen ein Schliach nach Th. abgeht, der uns versprochen hat, einige Leute, deren Adressen wir ihm mitgegeben haben, herzubringen. Da aber leider aus Th. immer wieder Transporte nach Polen gingen, wissen wir gar nicht, ob er die ihm genannten Chawerim erreichen wird. Wir werden Euch nach seiner Rückkunft berichten, wie die Sache ausgefallen ist.
Zu Eurem besseren Verständnisse möchte ich noch folgendes erzählen: Theresienstadt ist kein Selbstzweck und diejenigen Juden, die dorthin geschafft wurden, wußten noch lange nicht, was eigentlich mit ihnen geschehen würde. Nach der Ankunft dortselbst wurden sie in der sogenannten Schleuderkaserne einquartiert, aus welcher die einen herauskamen, um in einer Th[eresien]städter Kaserne untergebracht zu werden, die anderen, um den Zug wieder zu besteigen und ihrem grauenhaften Schicksal nach Polen entgegenzugehen. Seit dem Bestände von Th. gingen in kleineren und größeren Intervallen ständig Transporte nach Polen ab und wir erhielten immer wieder Nachrichten über den Abgang bekannter und naher Menschen. Die ersten Transporte gingen überhaupt nicht nach Th., sondern direkt nach Polen. Wir erhielten noch ein- zweimal Nachricht von unseren Chawerim, dann blieben diese aus und nun wissen wir nicht mehr, was mit ihnen ist, können kaum mehr annehmen, daß sie noch leben. Nach Heidr.-Affäre ging ein Straftransport von Prag ab, von dem wir hörten, daß die Männer sofort erschossen worden seien, die Frauen wurden neben einem Konzentrationslager untergebracht und einige Zeit darauf kam die Nachricht, daß auch sie nicht mehr leben. Es waren im ganzen 1000 Leute gewesen, darunter auch viel uns nahestehende.
Solange unsere Leute noch in Th. waren und uns Nachrichten zukommen lassen konnten, erfuhren wir von ihnen, daß sie sehr hungerten. Wir bemühten uns, soweit es ging, Pakete an sie zu schicken, leider war auch das schon sehr schwer, da wir auf Karten lebten und die Zuteilungen als mehr als minimal bezeichnet werden müssen. Was wir jedoch entbehren oder sonstwie auftreiben konnten, sandten wir; solange noch Chawerim in Prag waren, gab es eine geregelte Unterstützung durch den Hechaluz, der eine Sendungsaktion organisierte und die Chawerim ständig mit einigen Lebensmitteln versorgte. Diese wurden selbstredend auf schwarzem Wege geschickt. Gegen Sommer des Vorjahres übernahm der gewesene Gestapoleiter der Transporte die Führung von Th. und die erste Tat, mit der er sich auszeichnete, war, daß er sämtliche Paketsendungen verbot. Es wurden Marken eingeführt, die die Bewohner von Th. an Verwandte ins Protektorat schicken sollten, welche diese Empfänger zu Sendungen berechtigen sollten. Solange wir dort waren, erhielt noch nicht ein einziger Mensch eine dieser angekündigten Marken. Außerdem waren die Marken auf je 15 kg. Gewicht bemessen und machten somit eine Sendung fast ganz unmöglich, da man auf gar keinen Fall ein so großes Quantum schicken kann. Legal kann man es nicht beschaffen, da wie gesagt alles auf Karten ist und wenn man es illegal auftreibt, so kommt der Absender sofort vor ein Wirtschaftsgericht - im Protektorat war sogenanntes Wirtschafts-Standrecht eingeführt, d. h., daß wegen wirtschaftlicher Vergehen, also Schwarzkauf von Lebensmitteln und Kleidern u.s. w. erschossen oder erhängt wird. Ganz abgesehen davon sind auf Verkehr oder gar Unterstützung arischerseits an Juden strenge Kerkerstrafen gesetzt, so daß ein arischer Absender nicht in Frage kommt, Juden aber gibt es nur die arisch versippten, also das Verschicken der Marken von Th. aus selbst ist ein Problem. Anders gesagt ist die Markeneinführung eine Finte, die das Paketeschicken vollkommen unterbindet, dieses Verbot aber elegant ausdrückt. - Daß es mit der Kost auch in den Außenarbeitsgruppen sehr schlecht aussah, habet Ihr schon aus dem ersten Schreiben ersehen. Auch die Gesundheitsverhältnisse waren sehr elende, Scharlach und andere Krankheiten waren sehr verbreitet, unsere Chawerah Margit Löwenbein starb kurze Zeit nach ihrer Ankunft in Th. an Scharlach so wie viele andere auch. Und trotz allen Elends, Hungers und Verzweiflung waren diejenigen, die in Th. waren, noch glücklich, dort zu sein, und zitterten nur ständig davor, nach Polen verschleppt zu werden, das den sicheren Tod durch Gas oder Erschießung, Hunger, Kälte und Marterei bedeutet. Wer einmal dorthin ging, von dem kam wohl keine Nachricht mehr.
Th. selbst ist nicht nur ein Sammelpunkt unserer Leute, es kamen dort Juden aus aller Herrn Länder hin, Griechen, Deutsche, Jugoslawen, Franzosen u. s. w. Für den beschränkten Platz ist auch dieser Umstand eine Katastrophe, ganz abgesehen davon, daß je mehr Esser kommen, desto weniger auf den einzelnen entfällt. Solltet Ihr vielleicht auch die Bilder gesehen haben, die vom amerikanischen Roten Kreuz dort angeblich gemacht wurden, so wisset, daß das alles Lüge ist, gestellt zur Aufnahme und unwahr wie alles, was die Deutschen vorgeben. Nach Th. von außen zu kommen ist ein Ding der Unmöglichkeit, oder doch fast ausgeschlossen. Es liegt nicht einmal an der Bahn, man muß von der nächsten Station zu Fuß hingehen und da das offenes Land und natürlich bewacht ist, so hat es keinen Zutritt. Auch die in Th. lebenden Verschleppten mußten mit ihrem Gepäck diese Strecke zu Fuß zurücklegen, wer es nicht ertragen konnte, kam eben ohne alles an. Später wurde das dann so praktiziert, daß das jüdische Gepäck überhaupt nicht weiterbefördert und nach Berlin geschickt wurde, wo es als Spende der tschechischen Bevölkerung an die bombengeschädigten Deutschen zur Verteilung gelangte.
Im ganzen und großen ist es so, daß all das, was Ihr über Polen gehört habt, auch das Schicksal unserer Leute ist, nur daß sie noch den beschwerlichen Weg bis zu dieser Richtstätte durchmachen mußten. Wir wissen nach der letzten Nachricht, die eine Liquidierung von Th. ankündigte, leider gar nicht mehr, ob überhaupt noch jemand in Th. lebt oder ob alles nach Polen verschleppt, resp. am Orte selbst vernichtet wurde. Auf jeden Fall versuchen wir weiter alles, um eventuelle Reste doch noch zu uns zu bekommen. Sollte es dem Schliach wirklich gelingen, jemanden zu uns zu bringen, so wären wir überglücklich, wenn auch jeder Gerettete, die vielen, die fehlen, in Erinnerung bringt.
Ich möchte Euch nun gerne ein wenig über unsere persönlichen Erlebnisse und unser Leben dort erzählen. Wie Ihr bereits aus dem ersten Briefe von Njumen wißt, war die Einstellung der jüdischen Gemeinde eine solche, daß sie im Zibbur gar nicht den Gedanken aufkommen ließ, daß es um eine Vernichtungsaktion geht. Man kann das nicht ioo%ig als Vorwurf oder Anklage sagen, denn schließlich und endlich sind ja auch diejenigen, die die ganze Auswanderung organisiert haben, diesem Schicksal nicht entgangen, vielmehr muß man sagen, daß es sich um ein völliges Mißverstehen der Situation handelte. Ihr habt dem ersten Briefe bereits entnommen, daß die Gemeinde ihre Leute in den Dienst der Sache stellte, ja daß sogar die Jugendbünde ihren Stolz darein setzten, möglichst aktiv mitzuarbeiten und bei den Transporten zu helfen. Sie gingen den Leuten in die Wohnungen packen helfen und führten das Gepäck auf den Sammelort, dortselbst machten sie Dienste und geleiteten die Auswanderer wieder zur Bahn. Ich weiß nicht, ob es Euch bekannt ist, daß ursprünglich der Plan war, unsere Leute direkt nach Polen auszusiedeln, daß Edelstein dann den Gegenvorschlag des Th.-Lagers machte, der von der Gestapo akzeptiert wurde. Er tat dies mit der besten Absicht und in dem Glauben, daß es möglich sein würde, den Krieg in diesem Lager in dieser Konzentrationsform zu überleben, wenn auch nicht unter idealen Bedingungen, aber doch nicht Polen. Ich erwähne Euch dies, damit Ihr versteht, daß selbst die leitenden Menschen nicht ahnten, worum es ging. Nur wenn man das weiß, kann man verstehen, wie es kam, daß Menschen sich nicht nur nicht bemüht haben, den Transport nicht anzutreten, sondern sich sogar freiwillig Eltern oder Frauen, resp. Männern nachzumelden, um mit ihnen gemeinsam zum Transport zu kommen. Und nur wenn man das weiß, kann man eventuell verstehen, daß es unter unseren eigenen Leuten solche gegeben hat, die uns, die wir nicht antraten, verurteilten und unseren Weg für nicht richtig erkannten. Dies ist auch der Angelpunkt für das Verständnis des Umstandes, daß sich so furchtbar wenig Menschen arisiert haben. Soweit wir informiert sind, tauchte der Gedanke des Nichtantretens erst dann auf, als auch die fremden Staatsbürger - Slowaken und Ungarn -, die vorher unbehelligt gelassen worden waren, ihre Einberufungen zum Transport erhielten. Diese hatten einen Rückhalt darin, daß sie damit rechneten, in ihre Heimatländer zurückzugehen. Diesen Weg hat auch eine Menge angetreten, zum Großteil ist es ihnen auch geglückt. Wenn ich Menge sage, dann für Protektoratsverhältnisse, nicht Tausende und nicht Hunderte, aber doch etliche Menschen. Hauptsächlich diejenigen, die aus Karpathorußland stammten, brachten diesen Mut auf und gingen als erste auf und davon.
Von unseren Leuten ging als erster Jasa Berger durch. Er war in Mähren auf Hachscharah gewesen und kam nach Prag, trat aber nicht an, sondern versteckte sich, da er Bekannte hatte, die ihm diese Möglichkeit boten. Durch alte schatfanische Beziehungen verschaffte er sich diese Unterkunft und Beziehungen zu Menschen, die helfen konnten. Sobald der Bann einmal gebrochen war - d. h. einer der unseren nicht angetreten war und die Welt dennoch nicht unterging -, war der Gedanke des Nichtantretens nicht mehr so fremd. Gerade in diese Periode fällt auch der erste Erfolg unserer Bemühungen, mit den Schatfanim in Kontakt zu kommen. Wir wurden auch diesseits in unserer Absicht gestärkt und uns für den Fall der akuten Not Hilfe angeboten. Es handelte sich da hauptsächlich um Dokumente, da die Deutschen im Protektorat ein äußerst scharfes Regiment führten und führen und ein Mensch ohne Ausweis sich dort nicht bewegen konnte. Es ging nichts glatt und vor allem nichts schnell. Es dauerte reichlich, ehe es Jasa gelang, sich zu legalisieren, aber wir lernten aus diesem Umstand bereits so viel, daß wir schon damals, als wir noch längst nicht im Transport waren, bemüht waren, uns Legitimationen und andere wichtige Unterlagen zu verschaffen. Vielleicht hatten wir es hier und da mit Aufschneidern zu tun, Leuten, die sich gerne groß machten, aber im ganzen und großen müssen wir doch sagen, soweit uns von Schatfahim Hilfe zugesagt wurde, so wurde diese auch immer gewährt, wenn wir diese Verbindung nicht gehabt hätten, so wäre alles unmöglich gewesen. Die Legalisierung wurde dadurch erschwert, daß wir nebst Personaldokumenten und Anmeldung auch Arbeitsbücher haben mußten und wir keine Bestätigung über vorherige Arbeitsplätze hatten. Aber endlich wurde auch diese Frage gelöst. Jasa gelang es, einen guten Platz auf dem Lande zu finden, wo er auch die Möglichkeit hatte, für die Legalisierung anderer zu arbeiten. Inzwischen bekam auch Njumen - obwohl slowaJdscher Staatsbürger - die Einberufung und trat nicht an. In der Zeit, in der er sich versteckt hielt, ereignete sich die Sache mit Heydrich, er mußte sein Versteck lassen und sich ohne Unterkunft und Helfer durchschlagen, während auf Straßen und in Wohnungen Razzien durchgeführt wurden. Endlich landete er dann bei einem Zofeh, der - so jung er war - alle illegalen Arbeiten mit sehr viel Geschick und persönlichem Mut durchführte und in jeder Weise behilflich war. Gerade ihm selbst gelang es aber später nicht zu bleiben, da er wegen eines kleinen Vergehens -er war ohne Stern gegangen - festgenommen und direkt aus dem Arrest nach Th. geschickt wurde. Mit Hilfe der angeknüpften schatfanischen Beziehungen und durch einen sehr guten tschechischen Jungen gelang es dann allmählich, alle nötigen Papiere für Njumen zu beschaffen und ihn anzumelden. Ich war in dieser Zeit - Vorsommer 1942 -in unserem Plugah. Auch von dort bekamen die Chawerim einer nach dem anderen die Einberufung zum Transport. Die ersten zwei probierten überhaupt nicht anzutreten, versteckten sich und gingen später aus dem Protektorat durch. Eine Chawerah, die sich nach Wien durchgeschlagen hatte, wurde dort durch allzu große Vertrauensseligkeit gefaßt und es gelang, ihre Strafe dahingehend abzuändern, daß sie per Schub nach Th. gebracht wurde. Der zweite ging auch nach Deutschland und es gelang ihm, sich dort einen guten Posten zu finden. Ein Chawer der Plugah ging in den Transport, es kam einmal eine mündliche Nachricht, daß er sich in Riga im Ghetto befinde. Von den sonstigen Chawerim der Plugah trat nur noch eine den Transport an und wurde nach Th. gebracht, alle anderen - vier - legalisierten sich. Zwei gingen nach Deutschland auf Arbeit, ein Chawer und ich blieben in Prag. Mitte Juli war die Reihe an mir, ich fuhr aus der Plugah und konnte mich vorübergehend in einem Dorf anmelden. Es war gerade Ferienzeit und man konnte als Sommergast nicht so sehr auffallen, wiewohl man sagen muß, daß es im Protektorat fast keine solchen Privatmenschen gibt, da alles als Arbeitssklave für das deutsche Kriegs- und Rüstungswerk eingespannt wurde. Einige Zeit dar auf übersiedelte ich dann nach Prag, kam dann auch allmählich in Ordnung. Nur mit Arbeit haperte es noch. Jasa und Njumen ordneten sich so ein, daß sie als Deutschlehrer an eine Privatschule gingen. Gottlob war das Niveau der Schule ein solches, daß ihre Deutschkenntnisse entsprachen! Ich zog mich noch einige Zeit ohne Arbeit herum, fand dann aber einen ausgezeichneten Posten als Übersetzerin und Korrespondentin. Ich konnte dort auch genug verdienen und das war sehr gut, da das Leben dort ungeheuer teuer ist, fast alles gaben wir fürs Essen aus und dabei kauften wir persönlich fast nichts unter [der] Hand. Unser Glück war auch, daß wir uns alles, was wir brauchten, auf Grund politischer Sympathien erledigen konnten und nicht, wie wir es später in der Slowakei sahen, für jede Gefälligkeit zahlen mußten. Denn erstens hätten wir dazu nicht die nötigen Mittel gehabt und zweitens ist das zu unsicher, wenn jemand bestechlich ist, dann ist er schon nicht 100%ig. Von seiten der Bewegung hatten wir gar keine Hilfe. Ich habe schon früher erwähnt, welche Stellung das Gros nahm, und muß auch anführen, daß unsere eigenen Chawerim aus dem Hechaluz - und speziell zeichnete sich hierin der MH aus - eine sehr ablehnende Stellung gegen uns hatten, ja daß es solche gab, die unser Handeln ausgesprochen verurteilten. Wir hatten den Kontakt mit der Bewegung doch nicht ganz aufgeben wollen, und da es auf andere Weise nicht ging, beschränkten wir uns darauf, einige der uns gut gesinnten Chawerim ab und zu zu besuchen und von ihnen zu erfahren, was es bei unseren Leuten Neues gäbe. Da es damals noch einen Machsan gab, ersuchten wir einmal um Sachen für einen in Deutschland legalisierten Chawer, der nichts anzuziehen hatte. Unsere Bitte wurde mit der Begründung abgeschlagen, daß die Sachen in erster Linie an jene verteilt werden müßten, die den Mut zum Antreten des Transportes hätten, und daß solche Abtrünnige[n] wie wir nicht das Recht zu solchen Forderungen hätten. Es war dies zwar keine Allgemeinanschauung, aber da es die des leitenden Chawers war, war der Spruch sakrosankt. In dieser Zeit war die Bewegung durch die ständigen Transporte in vollkommener Zersetzung und Auflösung begriffen, es wurden unserer immer weniger und jedesmal, wenn wir kamen, erfuhren wir vom Abgang weiterer Chawerim. Für uns selbst war es äußerst schwer, den Kontakt aufrechtzuerhalten, da wir so achtgeben mußten, wie die Haftelmacher. Die kleinste Unvorsichtigkeit und wir konnten um einen Kopf kürzer sein. Denn dort wird nicht gespaßt und bei allem geht es immer gleich um den Kopf. Selbstredend konnten wir uns von diesem schrecklichen Druck nie ganz frei machen, ja wir durften es gar nicht, da wir ständig aufpassen mußten, aber mit der Zeit gewöhnten wir uns dann doch an dieses Leben und gewöhnten uns darein. Soweit wir Verbindungen hatten und den Chawerim unsere Hilfe anboten, wurde sie leider nicht in Anspruch genommen. Es gab solche, die sich schon fast dafür entschieden hatten und die doch noch im letzten Moment aussprangen. Ich fuhr einmal mit einer fertigen Legitimation zu einem Chawer nach Mähren, der sich entschlossen hatte, seine Eltern allein fahren zu lassen. Ich kam am Vortage des Transportantrittes hin, er erwog hin und her und am Ende ging er doch mit den Eltern. Der Transport ging direkt nach Polen, und es kam nie auch nur ein Sterbenswörtchen von den Auswanderern. Auch Liesa K. aus dem Techelet Lawan Karlsbad, die ich zu überreden versuchte, konnte sich letzten Endes doch nicht entschließen, aus dem Allgemeinschicksal auszuspringen und die Chewerah in ihrem Elend zu verlassen - wie sie sich ausdrückte. Denn auch sie rechnete - wie alle anderen auch, daß es sich zwar um eine harte Probe, aber nicht um die totale Vernichtung handle. Nachdem die Bewegung - zusammen mit dem gesamten jüdischen Jischuw - liquidiert worden war, waren insgesamt an zwanzig Leute als Arier zurückgeblieben, die teils in Deutschland auf Arbeit, teils in Prag legalisiert waren. Wenn wir rund annehmen, daß der Hechaluz vor Beginn der Aussiedlung etwa 2000 Menschen zählte, so kommen wir auf einen %-Satz von 2 %, was natürlich entsetzlich wenig ist umso mehr, als wir wahrscheinlich nicht mehr rechnen können, die Ausgesiedelten noch einmal in unseren Reihen sehen zu können, höchstens einzelne, denen es durch einen besonderen Glücksfall gelungen sein wird, all das Grauen zu überdauern. Da uns also gelungen war, dort zu bleiben, so hatten wir das Bedürfnis und empfanden es als unsere Pflicht, mit jenen mitzuarbeiten, die gegen unseren Feind arbeiteten, wir waren daher bemüht, mit der Schatfanbewegung in Kontakt zu kommen und unsere Dienste zur Verfügung zu stellen. Diejenigen Schatfanim, welche uns geholfen haben, lehnten unsere Mitarbeit ab, sie sagten, es wäre zu gefährlich, wenn Existenzen wie wir auch noch illegale Arbeit leisteten, wir könnten der Bewegung noch schaden. Wir konnten uns aber mit diesem Bescheid nicht zufriedengeben und waren weiter bestrebt, andere Beziehungen anzuknüpfen. Wir stießen dann auf eine Organisation, die sich als befreundet erwies, anscheinend Mafia, die aber bereit war, mit uns zusammenzuarbeiten, und deren Vertreter sich auch in jeder Weise erbötig machten, zu helfen. Von uns persönlich wußten sie natürlich nicht, mit wem sie es zu tun hatten, sondern sie wußten nur, welche Einstellung wir hatten. Die Zusammenarbeit bestand vorläufig darin, daß sie uns ihre konkrete Hilfe in Dokumenten- und Anmeldeangelegenheiten zur Verfügung stellten, während wir ein ideologisches Seminar für zwei ihrer Leute veranstalteten und sie mit Sozialist. Literatur versorgten. Denn allem zum Trotz hatten wir doch noch ein Exemplar der allerwichtigsten Lehrbücher aufgehoben, es gab Marx, Krupskaja, Engels, Stalin, Ulrich, Luna-tscharsky u. a. Gerade in der Zeit, in der sich unsere Zusammenarbeit zu vertiefen begann, begannen neue Sorgen aufzutauchen. Durch einen Zufall waren unsere Anmeldüngen von der Ortsgendarmerie kontrolliert worden, und es kam heraus, daß Njumens Taufschein nicht in seiner Heimatgemeinde eingetragen war. Nun begannen die Recherchen von seiten der Prager Polizei, Njumen floh nach Mähren und hielt sich dort bei einer Familie auf, wo er sich neuerlich ummeldete. Einige Zeit darauf ereilte auch mich das gleiche Schicksal, ich mußte weg aus Prag, ich war gerade aus dem Spital gekommen, als ich zu Hause meine Vorladung zur Polizei vorfand. Samstag stellte ich mich noch bei der Polizei ein, um Zeit zu gewinnen, und Montag fuhr ich bereits aus Prag ab. Inzwischen war der Sommer gekommen, und wir konnten in dem besagten Dorf als Sommergäste halbwegs leben. Aber der Weg zurück war - wie sich herausstellte - abgeschnitten, und nun befassten wir uns eingehend mit meinem alten Plan, in die Slowakei zu gehen. Durch eine glückliche Fügung hatten wir bereits einige Zeit vorher eine Verbindung mit der Slowakei gefunden, und nun stellten wir uns völlig auf diese Regelung des Problems ein. Ende August gelang es Njumen, in die Slowakei] zu kommen, Mitte Oktober folgte auch ich dorthin. Die Veränderung war sehr kraß. Die Verhältnisse vollkommen anders. Vor allem: Es gab dort Juden, es gab noch Chawerim, und dann gab es, was uns so vollkommen fehlte, eine Verbindung mit Erez, mit der Türkei, mit Ungarn, mit der Schweiz, mit der Welt überhaupt. Wir kamen wie aus einem Kerker heraus. Es war dort auch vieles anders, was uns ganz fremd war. Wir hatten, z. B. keine Bestechlichkeit gekannt. [...] ist alles mit [...] zu erledigen. Uns ging die grenzenlose Schlamperei, die dort in allen öffentlichen Dingen herrscht. Nicht, daß ich für sie sprechen wollte, aber ich muß doch gestehen, daß gerade diese Schlamperei ein Glück ist dort nicht wie bei den Deutschen, daß jedes Amt mit jedem in Verbindung steht und jeden einzelnen xmal erfasst. Und sodaß man sich nirgends herauswinden kann. Wenn [...] die als Juden-Verbote [...], so läßt man noch die, die nach der Verwüstung der Transporte von dort geblieben sind, leben. Dann ist zum Beispiel die ganze Lebensmittelversorgung eine viel, viel bessere. Es war für uns fast ein Wunder, daß man im Gasthaus essen kann, ohne so viel Karten geben zu müssen, daß einem schon nichts mehr zum Nachtmahl blieb. Viele Dinge hatten wir schon jahrelang nicht einmal mehr gesehen, wir staunten Obst an wie kleine Kinder. Ebenso vieles andere. Das war zum Beispiel die ganze Art der Bevölkerung. Jeder traut sich! Frei herauszusagen, was er sich denkt, und das ist nicht gerade im Einklang mit dem, was Deutschland gefallen würde. Alle schimpfen ganz offen, jeder hat schon genug, der ganze Krieg dauert schon zu lange. Wiewohl man dort - oh Wunder! - Kleider und [...] ohne Bezugsscheine bekommt, so beklagte die Bevölkerung sich doch so schrecklich über den Mangel an allem und jedem. Für uns [... ] aber wohl das Entscheidendste, daß es wie [...], noch [... ] gab auch nicht direkt als Bewegung bezeichnen kann. Ein [...], daß durch unsere Chawerim dort ebenso besteht, waren, mit den [... ] zu finden und da kam es uns sehr gelegen, daß einer der Menschen, der die [...] Mafiabewegung im Protektorat] repräsentierte, häufig in die Slowakei] kam, denn wir hofften auch, durch ihn in der Slowakei] Beziehungen in dieser Richtung anknüpfen zu können. Er stellte uns auch [...] einen Burschen vor, der angeblich Beziehungen zum Merkas der dortigen Plugah hatte. Eine konkrete Zusammenarbeit gab es noch nicht, aber wir hofften daß er uns bei der Beschaffung von Nejaroth für Blitim und andere behilflich sein würde. Ich weiß nicht, ob Ihr einen Bericht über die Loezat vom 1.1.44 erhalten habt. Die Beschlüsse, eigentlich der Beschluß, möglichst an die Miflag heranzukommen und mit ihr zu arbeiten, war nicht einmal so wichtig, denn das ist für uns alle eine Selbstverständlichkeit, und es handelt sich da mehr oder minder nur um die Durchführung und den Kontakt selbst, also nicht um eine ideologische Entscheidung. Aber viel wichtiger war es, daß wieder einmal etliche Chawerim der Bewegung, die seit langem jeder an einem anderen Platze gelebt und gearbeitet hatten, zusammenkamen. Ganz besonders für uns, die wir aus Prag gekommen waren, bedeutete das sehr viel und war ganz neuartig. Wir hatten uns inzwischen sehr schnell eingeordnet, alles klappte und ging sehr rasch, nur mit Arbeit war es wieder nicht so leicht, aber schließlich gelang uns vor 1V2 Monaten auch das. Ich konnte von meinem Gehalt ein Auskommen finden, aber es kam anders. Auf einmal bekamen wir die Verständigung, daß aus Brünn eine Anzeige vorliege und daß man uns suche. Es waren dortselbst für uns und für andere Leute sehr kompromittierende Angaben gemacht worden, die uns und andere aufs äußerste gefährdeten. Das Schrecklichste daran war die Tatsache, daß die Anzeige von dem Menschen gemacht worden war, der sich als gut gesinnt ausgegeben hatte, den wir für einen Mafisten hielten und der uns in der S.[lowakei] den angeblichen Miflagmenschen vorgestellt hatte. Ich möchte bei dieser Gelegenheit nicht verabsäumen ihn zu beschreiben und hielte es für angezeigt, wenn Ihr durch den Rundfunk vor diesem Menschen warnen würdet. Wir haben große Angst, ob er nicht auch unseren Leuten drüben geschadet oder gar das Genick gebrochen hat, jedenfalls ist sicher, daß er noch sehr vielen guten Tschechen schaden kann, wenn man ihm nicht das Handwerk legen kann. Dieser Mensch ist ungefähr 38 bis 42 Jahre alt, etwa 170 cm groß, mager, dunkelblondes bis braunes Haar, das glatt nach rückwärts gekämmt ist, graublaue Augen. Ein besonderes Merkmal ist eine Verletzung des rechten Auges, die den Eindruck eines starken Schielens erweckt. Er hat sich für einen Fliegeroffizier ausgegeben und uns gesagt, daß seine Augenverletzung von einem Flugzeugabsturz herrühre. Außerdem leidet er an einem Darmleiden und hat dadurch Sitzbeschwerden. Er spricht Tschechisch mit mährisch-Brünner Dialekteinschlag, soweit wir wissen auch etwas Deutsch und Ungarisch. Er hat erzählt, daß er zur Zeit der C. S. R. in Rumänien gewesen war, wo er eine Mission zu erfüllen hatte. Wir konnten und können selbstredend keine seiner Angaben überprüfen. Vielleicht ist es dienlich, wenn ich angebe, daß er einen Kumpanen hat, der ungefähr im gleichen Alter ist, um einen halben Kopf größer, dick, ziemlich stark ergraut, Zähne defekt, trägt Brille, spricht Tschechisch, gut Deutsch er wurde uns unter dem Namen Pepek vorgestellt, während der erst Beschriebene sich als Viktor ausgab. Beide fahren sehr häufig auf der Strecke Prag- Brünn und sind in Brünn ansässig. Also wie gesagt, es wäre sicher gut, wenn diese Leute in der tschechischen Sendung aus London erwähnt würden oder in der slowakischen, denn das spricht sich dann auch von dort herum.
Nachdem wir diese Mitteilung erhalten hatten, wurde uns angewiesen, sofort aus der Slowakei] zu verschwinden, d. h. also hier nach Budapest zu gehen. Zum Glück gelang uns auch dieser Weg, und wir langten vor 5 Tagen hier in Bp. an, wo wir uns noch gar nicht reingeordnet haben. Wir kennen uns hier noch in nichts sehr aus, sehr schwierig ist auch alles dadurch, daß ich kein Wort Ungarisch kann und das eine Sprache ist, die man nicht im Handumdrehen erlernen kann. Soviel wissen wir aber schon heute: Das ist hier ein schrecklich schwerer Boden und wiewohl wir doch in Prag - also unter den Deutschen - gelebt haben, so ist das hier auch für uns gar keine Kleinigkeit. Hier gibt es wieder Bewegung mit London, mit zionistischer Bewegung und Arbeit, ja - sogar Alijah. Wir haben hier erfahren, daß in der Sache von Njumans Zertifikat Therese Neumann, % Tibor Rosenberg, wahrscheinlich keines sein soll, wenn ich auch Hedwig Thierse heiße und Therese eigentlich erst mein zweiter Name ist. Ihr könnt Euch vorstellen - oder könnt es Euch vielleicht gar nicht vorstellen - wie glücklich wir wären und was es für uns bedeuten würde, wenn wir wirklich jetzt alieren könnten. Hoffentlich habet Ihr die Möglichkeit, uns dazu zu verhelfen und werdet Ihr dies auch nicht ungenutzt lassen.
Ich will auch gar nicht hier anfügen, daß Ihr hoffentlich alles unternehmen werdet, um Chawerim, die es uns vielleicht gelingen wird, aus Th. herauszubringen, zur Alijah zu verhelfen.
Bitte laßt unsere Nachrichten auch den Chawerim des Kibbuz meuchad, Techelet lawan, zukommen: Reben, Levitus, Boab, Dario, Lini, Franta Pick und all den anderen. Hoffentlich werden wir ihnen bald selbst die Hand drücken können.
Inzwischen grüßen wir Euch alle bestens und verbleiben Mit pbn
Hede Neumann= alias Ephraim