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Chronik und Quellen
1945
April 1945

Ungewissheit in Dachau

Edgar Kupfer-Koberwitz beschreibt vom 23. bis zum 26. April 1945 die Ungewissheit im Lager Dachau über den Abtransport jüdischer Häftlinge angesichts der sich nähernden Front:

23.4.45

Plötzlich mußten alle transportfähigen Juden antreten - Sie sollten abtransportiert werden - Ich sah hier einen, dessen magere Hände zitterten, jetzt wartet noch der Tod - ich schäme mich nicht, es zu sagen.

Auch unser Arzt hier, ein Spezialist als Kopfoperateur, konnte nicht reklamiert werden, auch vom Chefarzt nicht, trotzdem er auch Operationen an der SS im SS-Lazarett ausführen muß, nicht nur hier bei uns. - Der SS-Chefarzt zuckte die Achseln: „Was kann ich machen?“ - Aber er wurde doch gerettet für den Augenblick, er ist als nichttransportfähiger Kranker aufgenommen - Alarm - Tiefflieger, Maschinengewehrfeuer - Man sagt, daß die Alliierten über Donaueschingen, Sigmaringen gekommen sind und sich vor Augsburg befinden. - Das ist ? Klm von hier. -

Der Lagerkommandant Weiß fährt in einem weißen Auto mit großem roten Kreuz darauf und einer weißen Armbinde mit rotem Kreuz - Man sagt, das intern [ationale] rote Kreuz habe ihm das zur Verfügung gestellt. (?!)

Die Juden sind noch nicht fort - Ich bin froh, vielleicht zerschlägt es sich. - Man hat die Parole ausgestreut, sie sollen in die Schweiz gebracht werden und gegen SS ausgetauscht -Ich glaube das gar nicht, ich halte das für ein Beruhigungspulver - stinkend nach SS-Zynik. - Ich glaube, die Juden gehen in den Tod - Es ist so schrecklich, das zu denken -Der Lagerälteste und der Lagerspitzel sollen noch im Bunker leben, man hat sie scheinbar nur ins Krematorium gebracht, um sie mürbe zu machen, und sie dann wieder zurückgeführt - daher entstand die Parole von ihrem Tod - Der Lagerälteste möchte angeblich ins Revier, aber die SS läßt ihn nicht - der Spitzel soll von der SS halb tot geschlagen sein und will nicht ins Revier, weil er sich fürchtet, es könne ihm hier schlechtgehen -Heute abend plötzlich alle Geiseln aus dem Bunker, die Prominenten weggeholt, auch besondere Leute aus dem Lager, wie Prinz Xavier de Bourbon-Parma, der Prinz Luitpold von Preußen, der Bürgermeister von Wien Schmitz und viele andere - Es sollen auch 30 Frauen dabeisein - Über den Tod des Generals de Lestraint habe ich jetzt eine andere Variation gehört, die ich eher glaube: Er soll plötzlich entlassen worden sein -Als er zum Tor hinaus war, hieß es plötzlich: rechts gehen und man führte ihn ins Krematorium und eröffnete ihm, dass er erschossen werde - Er bat um zwei Minuten Zeit, kniete nieder, betete, stand dann auf und sagte: „Tut, was ihr müßt - ihr wißt selbst nicht, was ihr tut.“ - Erschossen wurde er angeblich, weil man auf der anderen Seite auch irgend jemanden erschossen hat.

24.4.45

Heute ist mein Geburtstag - Fliegeralarm - Schüsse - Man hat die Juden forttransportiert, etwa 1700 transportfähige - 15, etwa, die zu schwach waren, ließ man da -Was wird weiter werden? -

Entweder hat man vorhin das Krematorium gesprengt oder es waren zwei Artillerie-Einschüsse in der Nähe - Die Juden sind in D-Zugs-Wagen verladen worden, die auf den Gleisen des SS-Lagers stehen - Sie standen heute abend noch da. - Die Geiseln hatte man gestern wieder zurückgeschickt - Heute abend um 7-8 Uhr sind sie mit Lastautos fortgekommen, angeblich auch 30 Frauen, worunter etwa Frau v. Schuschnigg sein soll - Es kam heute auch ein Transport eines Außenkommandos an, das zum Lager Flossenbürg gehörte - 2000 Mann, zu Fuß. Es kamen 250 Tote mit, man brachte sie gleich ins Krematorium. - Ein Teil von ihnen bewegte sich noch - Es ist alles so grausig - Stuttgart soll jetzt erst gefallen sein, angeblich kampflos - Oh, wenn ich Hilda und mein Schwesterlein Wiedersehen könnte! - Ulm soll auch jetzt erst gefallen sein und Freiburg vor zwei Tagen - die Parolen waren also verfrüht. - Auch soll die Front in [,..] noch 68 Kilometer weit weg sein, nicht 38 Kilometer -Das Krematorium ist also noch nicht gesprengt -

25.4.45

Viel Nervosität im Lager - Heute nacht Bombardement, daß alle Baracken zitterten, die Fenster klirrten und aufsprangen - Man weiß noch nicht wo, ich denke sehr nahe, vielleicht Dachau - Oder es mußten Luftminen gewesen sein, war es weiter weg - Man faselte, daß Dachau als offene Stadt erklärt sei und die ganze Zone - Man sieht, es ist Geschwätz - Das Bombardement heute nacht war ernst - Die Waggons mit den Juden stehen noch hier im SS-Bereich des Lagers - Es sieht fast aus, als wolle man die Tiefflieger reizen, sie mit Bomben oder Bordwaffen zu beschießen - Dann hat man es selbst nicht getan - Denn ein Personenzug im SS-Lager stehend wird wohl nicht unbeschossen bleiben - es sei denn, man sei glänzend informiert - Angeblich soll heute abend das Lager evakuiert werden - deshalb ist große Nervosität - Wenn nicht alles schnell geht, wird es für uns immer gefährlicher, mit jeder Stunde - Man fürchtet, daß die SS doch noch etwas gegen uns unternehmen kann, im letzten Fanatismus - Die Truppen sollen sich zurückziehen, hinter ihnen die SS, die auf die Fliehenden schießt - Die neueste Nachricht, angeblich offiziell: Augsburg genommen - Das heißt also 60 klm von hier - Man hört jetzt bei offenem Fenster auch hier in der Baracke ab und zu die Kanonen der Front - Der Artillerie-Beschuß wird immer stärker, das heißt nicht der Beschuß, nur die Detonationen - Es heißt, unsere Prominenten, Prinzen und so weiter sind wieder zurückgekommen. Es waren nur 2 Autos voll, man hatte sie im Bunker gelassen, nur die Lagerprominenten weggefahren. Die Autos standen stundenlang auf den Landstraßen und kamen nicht durch - Heute abend wurden plötzlich alle Deutschen festgestellt, sie sollen angeblich heute nacht noch das Lager verlassen -Es heißt, eine Rote-Kreuz-Kommission, eine internationale, sei gekommen - Die Juden aus den Waggons seien ins Lager zurückgebracht worden. - Aber wir haben nichts davon gemerkt. - Der größte Teil der höheren Offiziere der SS würde das Lager verlassen -Man sagt, das Rote Kreuz werde vielleicht alles selbst übernehmen - Nach aller Nervosität viel Hoffnung plötzlich im Lager - Angeblich hat der Chefarzt des Reviers eigenhändig seine Visitenkarte von der Türe genommen, heute am späten Abend -

26.4.45

Man sagt, die Juden seien gar nicht ins Lager gekommen, die Eisenbahnwagen stünden noch im Lagerbereich - Jetzt heißt es plötzlich, alle Reichsdeutschen sollen weg (gestern geschah es nicht) - Und nun soll die Order von Himmler gekommen sein, das gesamte Lager zu evakuieren, und zwar mit Revier, was allein etwa 3000 Kranke hat - Wie das geschehen soll, ist ein Rätsel. - Wie alle die Schwachen, Schwerkranken, alle die Unterernährten transportieren? - Vielleicht, wer gehen kann, geht, wer nicht kann Es ist ½ 10 Uhr morgens, als die Order kam, jetzt vor 5 Minuten - Bis um ½ 12 oder 12 Uhr soll alles abmarschbereit sein - Wahnsinn! - Aber - - Frontnähe - Heute nacht wieder Angriff und Bombenwurf [...] in der Nacht hörte man ab und zu die Artillerie in der Ferne -Ruhig bleiben, Nerven behalten, abwarten - - In Buchenwald sollen die Häftlinge 3 Tage lang auf dem Appellplatz gestanden haben und doch nicht fortgekommen sein auf Abtransport.

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