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Chronik und Quellen
1945
April 1945

Buchenwald nach der Befreiung

Joseph W. Eaton schildert am 21. April 1945 die Situation der Häftlinge nach der Befreiung Buchenwalds und macht sich Gedanken über ihre Zukunft:

Die Juden, die im Konzentrationslager Buchenwald überlebt haben Für einige Stunden habe ich das Konzentrationslager von Buchenwald besucht. Ich werde mich nicht über die unvorstellbaren Gräuel auslassen, die nunmehr vorbei sind. Einen noch tieferen Eindruck hat bei mir der Geist dieser Menschen hinterlassen, die jahre- oder gar jahrzehntelang eingekerkert waren. Einige, nein, viele sind physisch und psychisch zerstört, vielleicht für den Rest ihres Lebens. Aber andere haben sich gut gehalten, wollen leben und diejenigen von uns ermuntern, die wir niemals gezwungen waren, das Leben so sehr zu lieben, wie sie es mussten, damit sie überleben konnten. Ich traf mich mit Mitgliedern des „Jüdischen Hilfsausschusses“, die ihr Büro im Block 50 haben. Hier hatten die SS-Ärzte ihre Menschenexperimente für ihre Forschungsarbeiten durchgeführt. Man berichtete mir, dass in Buchenwald etwa 4500 Juden überlebt haben, trotz der Tatsache, dass sie, mehr als jede andere Gruppe, zur Vernichtung bestimmt waren. Viele dieser Juden waren Kinder, eines erst vier Jahre alt. Der Junge hat drei Jahve seines Lebens im Konzentrationslager verbracht. Sein Vater hatte ihn in seinem Rucksack ins Lager geschmuggelt. Die Häftlinge versteckten ihn und fütterten ihn von ihren Hungerrationen durch und riskierten damit ihr eigenes Leben. Offenbar hatte man einige solcher jungen Leute im Lager versteckt, ein Zeugnis des starken menschlichen Drangs, sich selbst zu erhalten und die Kameradschaft unter den politischen Gefangenen zu bewahren, die zu ihrem eigenen Schutz zusammenarbeiteten. 1943 und 1944 hatte das Lager so viele Insassen, dass die SS nicht mehr in der Lage war, die Kontrolle über die einzelnen Baracken allein auszuüben, was viele der illegalen Aktivitäten möglich machte.

Nach Verlassen des Lagers wurde mir klar, dass ich kaum Fragen gestellt hatte. So habe ich nur wenig über das erfahren, was diese Juden erlebt haben. Sie hatten unbedingt über ihre Zukunft sprechen wollen. Sie hatten die Fragen gestellt.

Die meiste Zeit verbrachte ich mit drei der führenden jüdischen Insassen, Erich Markowitsch, der in Deutschland bleiben und zusammen mit deutschen Antifaschisten ans Aufräumen gehen will, Max Munk, ein Tscheche, dessen Familie in Palästina lebt, und Heinrich Ch. Tylor aus Frankfurt/Main. Die beiden Letztgenannten sind Zionisten und behaupten, dass es unter ihren Kameraden viele mit ähnlichen Ansichten gebe. Sie wollten da hingehen, wo sie gebraucht werden.

Da sie seit Jahren keinen Kontakt mit der Außenwelt und mit jüdischen Angelegenheiten gehabt haben, konnten sie keine konkreten Pläne für ihre Zukunft machen. Fast einhellig ist ihr Wunsch, nicht nach Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei, Deutschland oder ihren anderen Herkunftsländern zurückzukehren. Aber sie wissen nicht, wo sie hingehen, wo sie sich hinwenden sollen und wie es um ihre tatsächliche Chance steht, in Palästina aufgenommen zu werden.

Nach langen Gesprächen über ihre Probleme haben sie sich einige klar umrissene Schritte vorgenommen, die sie mit unglaublichem Tempo angehen. In der Anlage befinden sich drei Dokumente, die über ihre Pläne Auskunft geben. Mir gab man zu verstehen, dass sie dabei sind, Listen mit den Namen derer aufzustellen, die gewillt sind, sich der Jüdischen Brigade anzuschließen, als reguläre Einwanderer oder mit der Jugend-Alijah nach Palästina zu gehen. Sie werden diese Listen direkt den alliierten Behörden übergeben und der britischen Regierung zur Kenntnisnahme.

Wie allen Insassen von Buchenwald fehlt es den Juden an Kleidung. Seit ihrer Befreiung bekommen sie ausreichend Nahrung - „zu gute“, wie mir ein Mann erklärte: „Ich kann viele Sachen nicht essen, weil sie zu fett sind. Mein Magen, der seit 3 Jahren kein Fett mehr gewohnt ist, verträgt es noch nicht. “ Sie scheinen auch genügend Geld zu haben, und zwar in deutscher Mark. Eine beträchtliche Summe, die ich bei mir hatte, wiesen sie mit den Worten zurück: „Das ist die einzige Sache, die wir nicht brauchen können.“ Dennoch ist klar, dass die Jüdische Gemeinde in den USA ebenfalls Schritte unternehmen muss, um die Bemühungen dieser Menschen zu unterstützen, aber auch derjenigen Juden in anderen Konzentrationslagern, die man befreit hat und noch befreien wird. Folgende Schritte scheinen vordringlich:

1. Bei der UNRRA sind Vertreter der Jewish Agency zu akkreditieren, um diese Leute zu beraten und sich um ihre speziellen Bedürfnisse zu kümmern.

2. Eine Vereinbarung mit der zuständigen politischen Behörde über die Ausgabe von Bescheinigungen an alle jugendlichen Insassen von Konzentrationslagern und ähnlichen Stätten des Grauens.

3. Der Eintritt von gesunden jungen Lagerinsassen in die Jüdische Brigade ist zu erleichtern, oder aber man sollte ihnen die Chance geben, sich am Endkampf gegen Hitler und an der Ausrottung des Nazismus nach der deutschen militärischen Niederlage zu beteiligen.

4. Papiere, die zur Einreise nach Palästina berechtigen, an alle diejenigen auszugeben, die dort Verwandte haben oder dort hinzugehen wünschen.

5. Eine Agentur, um die Verwandten der befreiten Personen darüber zu informieren, dass diese am Leben sind. (Ich habe viele Briefe geschrieben, wann immer sich Insassen an die Adressen solcher Verwandten erinnern konnten.)

Ich hoffe, noch mehr von dem Buchenwald-Komitee zu erfahren, da sie versprochen haben, mich über ihre Aktivitäten auf dem Laufenden zu halten. Ich habe ihnen allerdings geraten, sich mit ihren Bemühungen - um rascher Beachtung willen - an die alliierten Stellen im Lager zu wenden, wie auch an die Vertreter der jüdischen Presse und die Repräsentanten des JDC und der Jewish Agency, sobald diese eintreffen. Alle anderen Staaten hatten schon wenige Tage nach der Befreiung des Lagers Vertreter vor Ort, die sich um die zügige Repatriierung und andere spezielle Bedürfnisse ihrer jeweiligen nationalen Gruppen gekümmert haben.

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