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Chronik und Quellen
1945
Februar 1945

Protest gegen Deportation gefordert

Der Stuttgarter Stadtpfarrer Rudolf Daur fordert seinen Landesbischof am 2. Februar 1945 auf, öffentlich gegen die Deportierung der in „Mischehe“ lebenden Juden zu protestieren:

Hochverehrter, lieber Herr Landesbischof!

Mit einer großen Not komme ich zu Ihnen, und ich weiß, daß ich nicht umsonst Sie bitte, zu tun, was in Ihren Kräften und Möglichkeiten steht, um ein Unheil und Unrecht zu verhindern. Sie haben sicher gehört, daß nun auch die in Mischehe lebenden Juden noch weggebracht werden. Eine nach meinem Eindruck sehr wackere, christlich getaufte und gesinnte Frau meiner Gemeinde hat wie viele andere Rassegenossen die Aufforderung bekommen, sich am Montag, 12.II., in einem Übergangslager einzufinden „zu einem auswärtigen Arbeitseinsatz“, mit Proviant für 5 Tage, doppelter Bettwäsche usw. Kinder unter 16 Jahren seien irgendwo unterzubringen. So werden nun Ehen einfach auseinandergerissen, Menschen, die in stiller Treue [in] ihren Familien gelebt haben, in eine ungewisse, ach, nur zu gewisse Zukunft hineingetrieben. In dem mir besonders am Herzen liegenden Fall handelt es sich um eine Frau, die seit 29 Jahren verheiratet ist. Der Mann ist zu 50 % kriegsbeschädigt vom 1. Weltkrieg. Er braucht die Fürsorge seiner Frau, die ihn kennt, versteht und mit der er in großer Liebe verbunden ist, dringend nötig. Die Leute leben, wie auch der Ortsgruppenleiter bestätigt, in aller Stille, im Frieden mit jedermann, sind hilfsbereit, fleißig und geordnet. Die Tochter, die seither in einem Anwaltsbüro tätig war, ist mit anderen „Mischlingen“ von heute auf morgen in einen Rüstungsbetrieb gesteckt worden, wo sie nun dauernd nur Nachtarbeit leisten sollen.

Müssen wir schweigend mitansehen, wie unsere Gemeindeglieder ausgerechnet jetzt, wo wir allen Grund hätten, uns auf die Forderung des Gottes zu besinnen, der seiner nicht spotten läßt, ohne Recht und Barmherzigkeit, vor allem ohne jeglichen ernsthaften Grund dem Untergang ausgeliefert, wie christliche Ehen zerrissen und die Menschen zur Verzweiflung getrieben werden? Ich fürchte, nicht wenige von ihnen werden lieber Hand an sich selbst legen, als daß sie sich oder ihre Gatten solch einem Schicksal überlassen. Eine 2. Frau meiner Gemeinde, die das inzwischen bereits tat, habe ich übermorgen zu bestatten. In einem 3. Haus, wo die Mutter einer früheren Konfirmandin von mir denselben Befehl bekam, war ich heute. Es ist ein Jammer! Ist jetzt nicht die Stunde da zu einem lauten gemeinsamen Protest: Das darf nicht sein, um Gottes willen und um unseres Volkes willen nicht! Ich weiß mir keinen ändern Rat, als mich mit dieser notvollen Frage und Bitte um Hilfe an Sie zu wenden, den Anwalt der Armen und Bedrängten. Gott segne, was Sie in dieser Sache unternehmen.

Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus Ihr dankbar ergebener

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