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Chronik und Quellen
1944
Juni 1944

Juni 1944

Am 4. Juni nahmen alliierte Truppen Rom ein, nachdem der deutsche Generalfeldmarschall Albert Kesselring die italienische Hauptstadt kurz zuvor zur „offenen Stadt“ erklärt und bis auf eine Nachhut alle Wehrmachtstruppen abgezogen hatte.

Zwei Tage später begann - weltweit lange erwartet – die alliierte Invasion in Frankreich an der Küste der Normandie, wodurch eine zweite Front im Westen entstand. Zwischen Cherbourg und Caen landeten etwa 6.000 Schiffe mit 150.000 Soldaten an, die von rund 14.000 alliierten Bombern unterstützt wurden. So gelang es, mehrere Brückenköpfe anzulegen, von denen sich die Truppen anschließend nach Osten bewegen konnten, wo am 26. Juni Cherbourg erobert wurde. Bis Ende des Monats hatten die Alliierten 850.000 Soldaten, 150.000 Fahrzeuge und 570.000 Tonnen Kriegsgerät auf den Kontinent geschafft.

Die deutsche Seite und insbesondere und der vielbeschworene „Atlantikwall“ zeigten sich diesem Ansturm nicht gewachsen. Aufgrund der absoluten Lufthoheit der Amerikaner und Briten waren die Wehrmachtseinheiten völlig chancenlos. Damit war neben der Ostfront und jener in Italien nun eine dritte große Einfallschneise ins Reichsgebiet weit geöffnet.

In Deutschland selbst herrschte unmittelbar nach dem 6. Juni zunächst Erleichterung, teilweise sogar Freude vor, glaubte man aufgrund der NS-Propaganda doch, den nun endlich greifbaren Gegner entscheidend schlagen zu können. Erst die Frontberichte der folgenden Tage ließen die Überlegenheit der Alliierten erahnen. Die Stimmung wandelte sich und Enttäuschung sowie Pessimismus machten sich breit. Auch Propagandaminister Goebbels reagierte auf die neue Lage. Man stehe, so führte er aus, „in der ernstesten und entscheidendsten Phase“ des Krieges. „Wir brauchen keine Furcht zu haben. Wir dürfen uns aber auch nicht in Selbstgefälligkeit wiegen. Der Krieg ist noch in keiner Weise entschieden.“ Man müsse nunmehr „die Zähne zusammenbeißen“.

Was darunter verstanden werden konnte, verdeutlichten SS-Truppen, die am 10. Juni das französische Dörfchen Oradour-sur-Glane als Vergeltung für die Entführung eines SS-Offiziers in einer mehrstündigen Aktion dem Erdboden gleich machten und mit 642 Menschen praktisch dessen gesamte Einwohnerschaft ermordeten. Obwohl die Soldaten am nächsten Tag versuchten, ihre Spuren zu verwischen, wurde das Massaker bekannt und schürte den Hass vieler Franzosen sowohl gegen die brutalen Besatzer als auch gegen die Kollaborateure noch weiter.

Am 22. Juni startete auch die Rote Armee im Raum Witebsk-Bobruis eine Großoffensive gegen die deutsche Heeresgruppe Mitte und drang bis zum Monatsende rund 300 Kilometer nach Westen vor. Einen Tag nach Beginn der Offensive wurden bei Witebsk etwa 35.000 deutsche Soldaten eingeschlossen und deren Verband nach einem Ausbruchsversuch am 27. Juni völlig vernichtet. In den folgenden Tagen folgten von Norden nach Süden gestaffelt immer neue sowjetische Vorstöße mit anschließender Kesselbildung zum Einschluss von Wehrmachtseinheiten. Am Ende dieser Offensive waren zum Monatsende 350.000 deutsche Soldaten umgekommen oder in Kriegsgefangenschaft geraten und ein weiteres Vordringen der Roten Armee nicht mehr aufzuhalten.

Am 12. Juni beschoss die deutsche Luftwaffe London erstmals mit einer der zuvor so geheimen und von der deutschen Bevölkerung so sehnlichst erwarteten „Wunderwaffen“, nämlich der „V-1“-Raketen. Bis zum 18. Juni waren bereits 500 dieser rückstoßgetriebenen Flugbomben abgeschossen worden. Obwohl sowohl der militärische als auch der psychologische Erfolg der Attacken eher gering ausfiel, wurde das Ereignis von der NS-Propaganda als durchschlagender Erfolg bewertet.

Mit ihren Luftangriffen auf das Reichsgebiet hielten sich die Westalliierten in diesem Monat zurück, weil sie ihre Kräfte zunächst auf die Sicherung der Lufthoheit im Landungsgebiet in der Normandie konzentrierte. Am 21. Juni bombardierte die US-Luftflotte dann aber mit etwa 2.500 Flugzeugen Ziele im Raum Berlin.

Trotz der dramatischen Ereignisse an sämtlichen Fronten versuchte man im Reichsgebiet nach wie vor ein Stück weit eine vorgebliche Normalität zu wahren. So wurde am 4. Juni in Magdeburg das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft im Feldhockey ausgetragen, und am 18. des Monats gewann der Dresdner SC vor rund 70.000 Zuschauern im Berliner Olympiastadion die deutsche Fußballmeisterschaft.

Normal war aber etwas völlig anderes: Am 28. Juni wurde im Reichsgebiet das Meldepflichtalter für den Arbeitseinsatz von Frauen von 45 auf 50 Jahre heraufgesetzt. Zugleich wurde auch der Handlungsspielraum der deutschen Justizbehörden noch stärker ausgeweitet und dabei zusehends willkürlicher. Am 27. Juni äußerte Justizministers Thierack, der nationalsozialistischen Justiz falle die „volkshygienische Aufgabe“ zu, den „gesunden Volkskörper“ vor der „Seuchengefahr, die von kriminellen und oppositionellen Bazillenträgern“ ausgeht, zu schützen. Damit barg abweichendes Verhalten ein stetig wachsendes, letztlich lebensbedrohliches Risiko.

 

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