Verurteilt wegen Fluchthilfe
Das Sondergericht Freiburg verurteilt am 22. März 1944 den Maler Franz Heckendorf und drei weitere Angeklagte wegen Fluchthilfe für Juden:
Im Namen des Deutschen Volkes! Urteil in der Strafsache gegen
1. den am 5.11.1888 in Berlin geborenen, zuletzt in Kitzbühel wohnhaften, geschiedenen Kunstmaler Franz Heckendorf,
2. den am 1.2.1915 in Altenburg geborenen, in Berlin, Küstriner Str. 23 wohnhaften, ledigen Koch Otto Altenburger,
3. den am 15.9.1896 in Aachen geborenen, in Berlin, Ansbacher Str. 10 wohnhaften, verheirateten Dekorateur, holländischer Staatsangehöriger Nikolaus Josef Lebens,
4. den am 12.4.1892 in Billafingen geborenen, in Altenburg (Landkreis Waldshut) wohnhaften, verheirateten Land- und Gastwirt Wilhelm Martin
wegen Verbrechens nach § 4 Volksschädlings-VO. in Verbindung] mit §§ 1, 5 Paßstraf-VO. §§ 47. 49. 73 StGB.
Das Sondergericht Freiburg i. Br. in Waldshut hat in der Sitzung vom 21./22. März 1944, an der teilgenommen haben:
Landgerichtspräsident Dr. Schmoll als Vorsitzer,
Landgerichtsdirektor Kloos,
Oberlandesgerichtsrat Dr. Müller als beisitzende Richter,
1. Staatsanwalt Prüfer
als Beamter der Staatsanwaltschaft,
Justizsekretär Nehlig
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
1. Die Angeklagten werden als Volksschädlinge verurteilt, weil sie gemeinschaftlich Juden geholfen haben, die Reichsgrenze unbefugt zu überschreiten, und zwar
a)
Franz Heckendorf, Kunstmaler, geb. am 5.11.1888 in Berlin, zuletzt wohnhaft in Kitzbühel, zur Zuchthausstrafe von 10 Jahren und Geldstrafe von 10 000 RM, im Un-beibringlichkeitsfalle 100 Tage Zuchthaus, verbüßt durch die Schutz- und Untersuchungshaft - unter Anrechnung von weiteren 8 Monaten Schutz- und Untersuchungshaft,
b)
Otto Altenburger, Koch, geboren am 1.2.1915 in Altenburg, wohnhaft in Berlin, zur Zuchthausstrafe von 6 Jahren und Geldstrafe von 10 000 RM, im Unbeibringlich-keitsfalle 100 Tage Zuchthaus, verbüßt durch die Schutz- und Untersuchungshaft -unter Anrechnung von weiteren 6 Monaten Schutz- und Untersuchungshaft,
c)
Nikolaus Josef Lebens, Dekorateur, geboren am 15.9.1896 in Aachen, holländischer Staatsangehöriger, wohnhaft in Berlin, zur Zuchthausstrafe von 6 Jahren und Geldstrafe von 10000 RM, im Unbeibringlichkeitsfalle 100 Tage Zuchthaus, verbüßt durch die Schutz- und Untersuchungshaft,
d)
Wilhelm Martin, Land- und Gastwirt, geboren am 12.4.1892 in Billafingen, wohnhaft in Altenburg, zur Zuchthausstrafe von 8 Jahren und 12 000 RM Geldstrafe, hilfsweise 120 Tage Zuchthaus, unter Anrechnung von einem Jahr Schutz- und Untersuchungshaft auf die Zuchthausstrafe.
2. Die Ehrenrechte werden aberkannt
a) Franz Heckendorf auf 10 Jahre
b) Otto Altenburger auf 5 Jahre
c) Nikolaus Josef Lebens auf 5 Jahre
d) Wilhelm Martin auf 5 Jahre
3. Die Angeklagten haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I
A. Die Angeklagten (…)
B. Die Straftaten
Als der Judenschaft im Reichsgebiet, insbesondere der Berliner, bekannt wurde, daß ihre Evakuierung geplant sei, ging ihr Streben, vor allem der Begüterten, dahin, sich mit allen Mitteln aus dem Machtbereich der deutschen Regierung zu entfernen und illegal vornehmlich in die Schweiz zu gelangen. Es galt, sich mit falschen Ausweisen ohne das „J“ oder mit falschen Ausreisesichtvermerken zu versehen, sich durch Verkauf oft wertvoller Habe die Geldmittel zu verschaffen und sich Personen, möglichst nicht jüdischer Herkunft, zu versichern, die gegebenenfalls im Stande waren, zur Überschreitung der Reichsgrenze zu verhelfen. Zu diesem Zweck muß eine geheime Organisation aufgezogen worden sein.
Dem Angeklagten Heckendorf, der mit jenen Kreisen immer noch Fühlung hatte und sympathisierte, wurden diese Absichten anfangs des Jahres 1942 zugetragen. So war es ihm nicht unwillkommen, als er im Frühjahr 1942 durch den Angeklagten Otto Altenburger, der ganz zufällig den Laden von Heckendorf in der Passauer Straße zwecks Kaufs eines Kacheltischs betreten hatte und dann mit Heckendorf in ein Gespräch verwickelt worden war, Einzelheiten über die Verhältnisse an der deutsch/schweizer Grenze bei Altenburg erfuhr. Heckendorf hatte nämlich noch einige jüdische Freunde, denen er sich gelegentlich gefällig erweisen zu können glaubte. Heckendorf entschloß sich darauf, nach Altenburg zu reisen, um an Ort und Stelle Erkundigungen über Grenzübertrittsmöglichkeiten einzuholen. Etwa im Mai 1942 kam er nach Jestetten zu dem Bruder des Angeklagten Otto Altenburger, Karl Altenburger, nachdem Otto Altenburger die Verbindung hergestellt hatte. Heckendorf malte damals einige Landschaften, eine davon im Auftrag des Karl Altenburger. In Gesprächen kam Heckendorf dem Karl Altenburger gegenüber darauf zu sprechen, ob es denn keine Möglichkeit gäbe, gute Freunde „hinüberzuschaffen“. Karl Altenburger lehnte schroff ab, zeigte aber dem Heckendorf auf mehreren Spaziergängen, bei denen gefischt wurde, den genauen Grenzverlauf, angeblich damit Heckendorf, wenn er sich allein in dem Grenzgebiet bewege, sich keiner Grenzverletzung schuldig mache.
Auf diese Weise bekam Heckendorf einen guten Einblick in den in jenem Gebiet sehr unübersichtlichen Verlauf der Reichsgrenze, der sogenannten grünen Grenze, die oft mitten durch nach außen einheitlich aussehende Felder zieht. Er konnte zugleich feststellen, daß die Grenze infolge Abzugs der Grenzbeamten zur Wehrmacht nur verhältnismäßig schwach bewacht war. Im Juni oder Juli 1942 besuchte Heckendorf erneut den Karl Altenburger in Jestetten, hielt sich einige Tage auf und malte. Hierbei oder schon bei seinem 1. Besuch lernte Heckendorf den Angeklagten Martin kennen. Karl Altenburger und Heckendorf waren nämlich auf einem Spaziergang in der Wirtschaft des Martin an dem Bahnhof Altenburg, der etwa 20 Minuten von dem Ort Altenburg und eine halbe Stunde von Jestetten entfernt liegt, eingekehrt und hatten kräftig gezecht. Die Wirtschaft des Martin liegt etwa 500 Meter von der Reichsgrenze entfernt, von ihr aus ist über ebenes Gelände mit geringem Baumbestand ein größerer Teil der Grenzstrecke gut einzusehen, insbesondere das Stück, das zwischen dem Zollgebäude und der Grenze liegt. - Heckendorf sprach bei seinem 2. Besuch weder mit Karl Altenburger noch Martin über die Möglichkeit, Personen über die Grenze zu schmuggeln. Von Altenburg aus fuhr der Angeklagte nach Kitzbühel zu Frau Kosmack. Als er von seinem Aufenthalt im Grenzgebiet erzählte, bekam eine Frau von Egmont, die Freundin des Juden Kurt Israel Bleichröder, davon Kenntnis. Sie wandte sich an Heckendorf und bat ihn, den Bleichröder über die Grenze in die Schweiz zu bringen. Da Heckendorf mit jenem Bleichröder ebenfalls befreundet war, sagte er zu. Zunächst verkaufte er aus dem wertvollen Besitz des Bleichröder, der ohne bare Mittel gewesen sein soll, in Berlin einige Gegenstände; es sind angeblich etwas über 1000 RM erlöst worden. Dann reisten Hek-kendorf und Bleichröder, dieser nach der Behauptung des Heckendorf mit einem gültigen Reisepaß, im September 1942 unbeanstandet von Berlin über Tuttlingen - Immendingen nach Grießen mit der Bahn, von Grießen nach Jestetten mit dem Postauto. Heckendorf suchte den Karl Altenburger auf, verschwieg ihm aber, daß er einen Mann mitgebracht hatte. Heckendorf hatte bei seinen vorhergehenden Besuchen den Eindruck gewonnen, daß er von Martin nicht abgewiesen werde, wenn er ihn ersuchte, jemanden illegal über die Grenze zu geleiten, wenn nur etwas für Martin dabei herausspringe. Er besprach sich mit ihm im Stall und drückte ihm 500 RM in die Hand. Martin sagte sogleich zu.
Er ging mit Heckendorf vor den Stall auf einen erhöhten Platz und zeigte ihm von dort aus den Verlauf der in etwa 500 m über ein offenes Feld laufenden Reichsgrenze. Martin waren die Grenzverhältnisse natürlich genau bekannt, wie er auch wußte, daß die Grenze infolge zahlreicher Einberufungen von Zollgrenzschutzbeamten zur Wehrmacht nicht zureichend bewacht war. Heckendorf fertigte sogleich eine Handskizze von der Örtlichkeit. Am Abend desselben Tages in der Dämmerung geleitete Martin den Bleichröder in die Nähe der Grenze, zuvor vergewisserte er sich, daß auf jener Strecke keine Zollgrenzposten standen. Bleichröder kam über die Grenze. Heckendorf war nicht dabei, als Martin dem Bleichröder half, eine Vergütung will er nicht erhalten haben. Einige Tage darauf kehrte er nach Berlin zurück. Von dem Vorgang sprach er sowohl zu Otto Altenburger wie Lebens. Der Berliner Judenschaft muß die geglückte Flucht des Bleichröder, der einen sehr bekannten Namen trug, bald zu Ohren gekommen sein; auf welche Weise war nicht zu ermitteln. Die Folge davon war, daß ein Jude namens Auerbach, der sich unter falschem Namen bei einer Familie Moll in Berlin verborgen hielt, offenbar ein Agent der jüdischen Organisation, die sich mit der illegalen Verbringung von Juden über die Reichsgrenze befaßte, den Heckendorf ab Oktober 1942 in seinem Berliner Ladengeschäft in Gegenwart des Lebens mehrfach aufsuchte und ihn gegen dessen ursprüngliche Absicht, nur Freunden aus Judenkreisen gelegentlich behilflich zu sein, mit Erfolg bestimmte, eine Anzahl Juden bei Altenburg über die Grenze zu bringen. Heckendorf zog den Otto Altenburger, der im Juli 1942 von seinem Bruder Karl von den Absichten Heckendorfs gewarnt worden war, als Gewährsmann bei, Lebens hatte zunächst die den Laden Heckendorfs aufsuchenden Juden davon in Kenntnis zu setzen, wo und wann dieser zu erreichen sei, wenn er auf seinen häufigen Reisen nach Kitzbühel von Berlin abwesend war. Die erste durch den Juden Auerbach vermittelte Zusammenkunft betraf das jüdische Ehepaar Kaiser (eigentlich Rechtsanwalt Dr. Cassierer). Heckendorf und Otto Altenburger suchten sie auf und besprachen mit ihnen den Reiseweg bis nach Altenburg. Heckendorf gab ihnen einen Zettel und 1000 RM in einem Umschlag für Martin mit. Eines Tages erschien das Ehepaar „Kaiser“, das auf den Namen Kaiser lautende Ausweise bei sich hatte, in Altenburg bei Martin, übergab den Zettel nebst 1000 RM, worauf sie Martin über die Grenze schaffte. Heckendorf erhielt durch eine Mittelsperson für sein und Otto Altenburgers Bemühungen RM 2000,-; 1000 RM gab er dem Altenburger. Auerbach führte sodann in Berlin Heckendorf und Otto Altenburger mit einem jüdischen Ehepaar, das sich Grüners nannte, zusammen. Beide besprachen mit diesem die Reiseroute, nannten ihnen den Martin in Altenburg als den Mann, der sie über die Grenze bringen werde. Heckendorf und Otto Altenburger erhielten 10 000 RM als Lohn, jeder 5000 RM. Heckendorf steckte RM 1000,- davon in einen Umschlag und legte in diesen einen Zettel für Martin mit dem Bemerken, Überbringer dieses seien gute Freunde, er sollte sich ihrer annehmen. Den Zettel will er mit dem vollen Namen: Heckendorf unterschrieben haben.
Das Ehepaar Grüners reiste darauf entsprechend den Weisungen von Heckendorf und Otto Altenburger nach Altenburg. Heckendorf geleitete sie bis Tuttlingen und fuhr dann nach Kitzbühel. Martin nahm sie in Altenburg in Empfang, erhielt den Umschlag mit dem Zettel und die RM 1000,- und geleitete die 2 Juden sicher illegal über die Reichsgrenze. Auerbach brachte sodann Heckendorf mit einem jüdischen Ehepaar, angeblich des Namens Fabisch, in einem Kaffee in Berlin zusammen. Heckendorf erklärte diesem, auf welchem Weg es über die Grenze gelange, kümmerte sich aber dann nicht mehr weiter um die Sache. Eines Tages erschien das Ehepaar Fabisch in Altenburg bei Martin und wollte über die Grenze gebracht werden. Martin hatte dazu angeblich keine Lust mehr. Die beiden Juden waren ihm aber so aufsässig, es wurde ihm sogar mit einer Anzeige gedroht, daß er sie schließlich über die Grenze brachte, wofür er 1000 RM bekam. Dieses Ehepaar Fabisch soll sehr reich gewesen sein, es hat dem Martin erbost erklärt, das Verbringen über die Grenze habe sie über 20 000 RM gekostet; um das Geld flüssig zu machen, hätten sie Einrichtungsgegenstände veräußern müssen. Die Orientteppiche hat Lebens in Kenntnis der Sachlage zu Geld gemacht. Wer an den 20 000 RM außer Martin im Einzelnen teilhatte, war nicht zu klären. Martin ärgerte sich darüber, daß er von den 20 000 RM nur 1000 RM erhalten hatte. Er schrieb deshalb an Heckendorf nach Berlin, Tiergartenstraße 8a, das Absteigequartier von Heckendorf, eigentlich die Wohnung von Frau Kosmack, er mache nicht mehr mit. Darauf erhielt er ein Schreiben von Otto Altenburger, er habe die Geldverteilung. Dem antwortete Martin, wenn er sein Geld nicht alles erhalte, dann habe die Sache für ihn keinen Wert mehr, er wünsche den Besuch von Altenburger, um die Sache zu besprechen, er sei um 1000 RM „beschissen“ worden. Es kam weder eine schriftliche Antwort noch ein Besuch von Altenburger. Aber von da ab wurden ihm für jeden über die Grenze geschmuggelten Juden nicht nur 500 RM wie bisher, sondern 1000 RM ausbezahlt. - Heckendorf war in jenen Monaten häufig auf Reisen, meist befand er sich dann in Kitzbühel bei Frau Kosmack. Suchten während dieser Wochen Juden, die das Reichsgebiet illegal verlassen wollten, den Laden des Heckendorf auf, dann wurden sie von Lebens an Otto Altenburger verwiesen. Bekam Otto Altenburger einen Anruf, dann führte er Ferngespräche mit Hek-kendorf nach Kitzbühel, um Heckendorf zu bestimmen, sofort nach Berlin zu reisen, weil weitere Juden über die Grenze zu bringen seien. Da Heckendorf in der Regel ablehnte, seinen Aufenthalt in Kitzbühel zu unterbrechen, nahm sich Otto Altenburger im Januar 1943 eines Juden namens Fischer an, wies ihm den Weg zu Martin nach Altenburg, legte für Martin in einem Umschlag einen Zettel und 1000 RM bei, er selbst bekam von Fischer RM 5000,-. Jener Fischer erschien dann auch bei Martin und wurde von ihm gegen die 1000 RM über die Grenze geschafft.
Im Januar 1943 kehrte Heckendorf von Kitzbühel nach Berlin zurück. Auf der Fahrt wurde ihm sein Reisepaß, weil abgelaufen, von der Polizei abgenommen. In Berlin erfuhr er von Lebens, daß ein in der Nähe des Ladens in der Passauer Straße wohnender Jude namens Singer ihm gegenüber den Wunsch geäußert habe, durch Heckendorf in die Schweiz gebracht zu werden, und forderte Heckendorf auf, zu Singer zu gehen. Heckendorf nahm mit Singer die Verbindung auf und vereinbarte mit ihm, ihn durch Martin über die Grenze bringen zu lassen. Er reiste mit Singer bis nach Ulm, von da wieder nach Kitzbühel. Singer hatte er den üblichen Zettel an Martin mitgegeben. Martin brachte den Singer dann schwarz über die Grenze. Er bekam dafür von Singer 2000 RM. Heckendorf erhielt von Singer eine Vergütung von 5000 RM und einen Teppich. 2500 RM und den Teppich gab er Lebens. - Da Heckendorf die Reise nicht ohne Ausweis unternehmen wollte, von der Polizei in Berlin mangels Unterlagen sogleich keine Kennkarte ausgestellt bekam, nahm er die Kennkarte seines Sohnes Günter, entfernte dessen Bild, klebte das seine hinein und änderte die Unterschrift: Günter Heckendorf in: Franz Heckendorf ab. Diese Verfälschung wurde aufgedeckt. In dem gegen ihn eingeleiteten Verfahren nannte er sich Prof. a. D. und behauptete, 5000 RM im Monat zu verdienen, gab die Verfälschung sofort zu, entschuldigte aber seine Handlungsweise damit, er habe dringend an den Bodensee fahren müssen, als Künstler sei ihm die Schwere der Verfehlung nicht so ins Bewußtsein getreten, er habe sich einen dummen Studentenstreich erlaubt. - Das Verfahren läuft z. Zt. bei dem Amtsgericht Berlin. - Im Februar 1943 lernte Heckendorf auf der Fahrt von Berlin nach München den Juden Israel Bab kennen. Im Verlauf der Unterhaltung äußerte Bab, daß er das Reichsgebiet verlassen wolle. Heckendorf verwies ihn an Martin und erläuterte Bab, wie er sich zu verhalten und welche Strecke er zu fahren habe. Bab sollte, wenn er im Grenzgebiet bei Jestetten und Altenburg angehalten werde, sagen, er suche Arbeit bei dem Fabrikanten Karl Altenburger in Jestetten, dem Martin solle er ausrichten, er sei von Heckendorf geschickt und ein guter Freund von ihm; Martin wisse dann schon, was er zu tun habe. Eine Vergütung bekam Heckendorf nicht. Bab, der einen SS-Ausweis als Filmberichterstatter besaß, suchte dann auch Martin auf und vereinbarte mit ihm, daß Martin ihn über die Grenze bringe. Martin erhielt als Vergütung einen Koffer des Bab mit Kleidern. Bab führte die Weisungen des Martin jedoch nicht richtig aus, er verlief sich und wurde von dem Grenzschutz am 18.2.43 festgenommen. Aus Anlaß dieser Festnahme erst kam das Verfahren gegen die 4 Angeklagten in Lauf. - Als Lebens von der Festnahme des Heckendorf in Kitzbühel erfuhr, verließ er Berlin fluchtartig und hielt sich unter Deckadressen in Marienbad versteckt.
Martin hatte von Mitte Januar 1943 ab bis zur Festnahme des Bab mindestens noch 6 weiteren Juden zum illegalen Grenzübertritt verholfen. Fast alle bezogen sich auf den „Professor“, also Heckendorf, oder eben Heckendorf, sie brachten diesmal maschinengeschriebene Zettel mit, unterschrieben mit „Franz“.
Jeder dieser Juden zahlte an Martin 1000 RM. Die Persönlichkeit dieser Juden ist nicht genau zu ermitteln gewesen. Es ist möglich, daß Martin außer den 6 Juden noch ein jüdisches Ehepaar namens Keller über die Grenze gebracht hat, so daß er bei 18 Personen tätig geworden ist. Gewiß ist dies aber nicht. - Diese 6 Juden hat Otto Altenburger zu Martin gesandt in den Wochen, da Heckendorf nicht in Berlin weilte, und damit den Namen des Heckendorf mißbraucht. Was Otto Altenburger dafür an Geld erhalten hat, steht nicht fest. Auf jeden Fall hat Otto Altenburger so viel „verdient“, daß er daranging, sich eine Wohnung einzurichten, und für sie von Lebens teure Orientteppiche kaufte; außerdem hat er seiner Freundin, der Tänzerin, über 1500 RM „geliehen“.
Heckendorf hat insgesamt von den Juden erhalten 7500 RM; dazu kommt noch sein nicht aufzuklärender Anteil an dem Erlös der Teppiche. Von den Judengeldern, zum Teil wohl auch aus dem Erlös aus dem Verkauf einiger seiner Bilder hat er Ende 1942/ Anfang 1943 von einem Fabrikanten Pleuß in Coburg einen 93 PS starken amerikanischen „Buick“-Personenkraftwagen, der nicht zugelassen war und wegen seines großen Zylinderinhalts (4 Liter) nie zugelassen worden wäre, zum Preis von 7000 RM erworben und beabsichtigte, ihn auf der Eisenbahn nach Kitzbühel verfrachten zu lassen. Martin hat seine Gesamteinnahmen von rund 11500 RM in der Scheuer seines Anwesens vergraben; das Geld wurde gefunden und ist beschlagnahmt. Otto Altenburger hat seine Einnahmen in Höhe von RM 12 000,- bis auf einen geringen Rest verbraucht. Was Lebens außer den 2500 RM und dem halben Anteil von dem Teppich im Fall Singer von dem „Judenschmuggel“ noch verdient hat, gelang nicht festzustellen.
Fast alle Juden hatten bei dem illegalen Grenzübertritt Gepäck bei sich, die Eheleute Fa-bisch waren mit Handkoffern und Taschen schwer beladen. Die 16 Juden haben insgesamt an Bargeld über 200 000 RM bei sich gehabt, die Wertsachen aus Edelmetall und Edelsteinen nicht gerechnet. Durch diese Juden sind in der Schweiz und im feindlichen Ausland für das großdeutsche Reich durchaus abträgliche Nachrichten verbreitet worden. Die Juden hatten ohne Ausnahme Ausweise bei sich, teils echte mit falschen Namen, teils gefälschte oder verfälschte. Keinem der Angeklagten war nachzuweisen, daß sie diese Ausweise den Juden beschafft hatten. - Den Eheleuten Fabisch ist es gelungen, eine Anzahl von Reisekoffern bei Singen am Hohentwiel durch eine nicht ermittelte Persönlichkeit mit einem gültigen Ausreisesichtvermerk nach der Schweiz zu verbringen.
Den ganzen Umfang der Gefahren für das Reich infolge dieses „Judenschmuggels“ haben die 4 Angeklagten nicht in allen Einzelheiten erkannt. Sie haben die Stellung des Reichs zur Judenfrage aber gekannt. Sie wußten, daß die Juden Feinde des Reichs sind, daß sie ihm im Innern Schaden zugefügt hatten und von außen weiter zufügen. Ihnen war bekannt, daß die Grenzen des Reichs wegen des Krieges grundsätzlich für den Zivilverkehr gesperrt sind und nur zuverlässige Personen über die Grenzen gelassen werden, als die gerade Juden nicht anzusehen sind. Sie waren sich also klar darüber, daß sie durch ihr Handeln der deutschen Volksgemeinschaft Nachteile zufügen dadurch, daß sie Juden helfen, das Reichsgebiet verbotenerweise zu verlassen zu einer Zeit, da sie wegen des Krieges im Machtbereich der deutschen Regierung gehalten werden sollten.
Dieser Sachverhalt ist festgestellt worden auf Grund der Aussagen der Angeklagten sowie der Zeugen Stadler, Henninger, Karl Altenburger und Kriminalsekretär König sowie der in der Hauptverhandlung verlesenen und den Angeklagten vorgehaltenen Akteninhalte und Urkunden.