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Chronik und Quellen
1944
März 1944

Bericht über Deportation

Lilli Jahn beschreibt ihren Kindern am 21. März 1944 während eines Zwischenhalts in Dresden die mehrtägige Deportation vom Arbeitserziehungslager Breitenau nach Auschwitz:

Meine innigstgeliebten Kinder alle.

Das ist eine lange und langweilige Reise; am 1. Tag sind wir über Halle bis Leipzig!! Wie gerne hätte ich Tante Lotte noch mal gesehen! Illekind, Leipzig sieht böse, böse aus, am Bahnhof, Augustus-Platz u. in der ganzen Innenstadt nur Trümmerhaufen. Am 2. Tag sind wir bis Dresden gekommen. Dort waren wir 3 Tage, u. von dort schrieb ich schon eine Karte, die hoffentlich bald in Eure Hände kommt. U. hoffentlich erhaltet Ihr auch diese Zeilen, das wäre mir eine solche Freude.

Wir sitzen nun schon seit 3 Uhr hier in Dresden am Bahnhof u. hören eben, daß der Zug erst um 10 Uhr heute abend weitergeht. Morgen abend werden wir dann in Auschwitz sein. Die Mitteilungen darüber, wie es dort sein soll, sind sehr widersprechend. Es kann sein, daß ich erst nach 4 oder sogar nach 8 Wochen schreiben darf, seid also bitte nicht in Sorge, wenn Ihr jetzt länger nichts hören solltet. Und wenn es gar so lange dauert, dann versucht doch mir zuerst zu schreiben, vielleicht bekomme ich’s doch. Wir müssen nur abwarten, wie alles wird. Ich werde weiter tapfer sein und fest die Zähne zusammenbeißen u. an Euch denken und durchhalten, wenn’s auch noch so schwer sein wird.

Solltet Ihr mir Pakete schicken dürfen, so denkt bitte immer mal wieder an Zahnpasta, Haarnadeln und Körper-Puder. Und seid bitte nicht so traurig, Ihr meine Kinder. Es ist mir eine solche Beruhigung zu wissen, daß Ihr Eure Ordnung u. Eure Pflege habt u. Euren Vati, der sich um Euch sorgt u. Euch sehr lieb hat. Vergeßt das nicht, wenn Ihr auch heute sein Verhalten nicht verstehen könnt. Der Vati wird Euch auch immer wieder die Wege weisen zu allem Schönen u. Guten u. Hohen - denn der Mensch lebt ja nicht nur vom Brot allein. -

Ich bedauere es auch sehr, daß Tante Lore sich doch nicht so um Euch kümmert, wie ich es gerne erwartet hätte. Tante Rita klagte mir auch, daß sie es so schwer habe mit Euch. Um Eures Vatis willen seid lieb u. folgsam, es geht dann alles leichter.

In den letzten Tagen habe ich die Familien beneidet, die alle zusammen damals fortgebracht wurden. Aber wenn ich’s recht bedenke, ist es mir trotz aller tiefen Sehnsucht u. allem Trennungs-Schmerz leichter, Euch in geregelten Verhältnissen zu wissen und Euch verschont zu sehen von all dem Widerwärtigen u. Häßlichen. Ich habe nur den einzigen heißen Wunsch, Euch alle gesund wiederzusehen.

Und nun sagt dem Vati nochmals liebe Grüße u. bestellt ihm folgendes: Er selbst u. niemand anders soll nochmals alles versuchen, u. wenn er sich bis an die höchsten Stellen nach Berlin wendet.

Jetzt auf dem Transport hab ich einen früheren Staatsanwalt u. Rechtsanwalt aus Freiburg kennengelernt, der Onkel Max gut kannte u. auch Onkel E[rnst] A[ugust] u. Tante Lotte. Auch Mischehe, Sohn in engl. Kriegsgefangenschaft. Von diesem Herrn hörte ich, daß alle einzelnen jüdischen Personen aus Mischehen, also wenn der andere Teil tot oder geschieden ist, fortkommen, aber nur dann, wenn die Kinder über 18 Jahre sind. Er war sehr überrascht, als ich von Euch erzählte, u. kann es gar nicht verstehen. So etwas sei noch nicht dagewesen bisher u. solle eigentlich auch nicht Vorkommen. Vati soll die Richtigkeit dieser Nachrichten nochmal nachprüfen und sie dann zur Grundlage seines Gesuchs machen. Er soll verlangen, daß ich freikomme, zumal er doch auch Wehrmachtsangehöriger ist.

Hoffentlich, hoffentlich erhaltet Ihr diesen Brief! Habt Ihr das Päckchen mit den Briefen, dem Löffel für m. Dorle u. den Kleinigkeiten erhalten? Und das Bücherpaket? Sonst fordert es an von Breitenau (die Bücher! Die Briefe hatte ich heimlich abgeschickt). Und nun lebt alle miteinander nochmals wohl - Gerhard-Junge, Ilsemaus, Hannelekind, Evalein und mein Dorle-Schatz! Gott behüte Euch! Wir bleiben unlöslich miteinander verbunden. Seid herzinniglich gegrüßt u. geküßt von Eurer treuen Mutti

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