Forderung zum Stopp der Verfolgung von „Mischlingen“
Am 29. Januar 1944 fordert der Erzbischof von Breslau Bertram Mitglieder der Reichsregierung auf, die Verfolgungsmaßnahmen gegen „Mischlinge“ zu stoppen:
Im Namen der katholischen Bischöfe Deutschlands erhebe ich in einer Angelegenheit, die für weite Kreise der von uns pflichtmäßig zu betreuenden Gläubigen bedrohlich ist, nachstehende Vorstellung:
Wie zuverlässig verlautet, sind seit einiger Zeit ernsthafte Bestrebungen im Gange, die gegen die Juden erlassenen Gesetze und Anordnungen nunmehr auch auf die Mischlinge auszudehnen:
So sind diese Mischlinge, die bekenntnismäßig durchweg Christen sind, für wehrun-würdig erklärt und vom Kriegswaffendienst ausgeschlossen worden. Sie dürfen keine höheren Schulen mehr besuchen. Sie werden im Erbrecht unter gewisse Sonderregelungen gestellt. Neuerdings hört man, daß sie aus ihrem bisherigen Arbeitsverhältnis herausgezogen und in besonderen Arbeitsformationen zusammengeschlossen der Organisation Todt unterstellt werden sollen, ohne in sie eingegliedert zu werden.
Alle diese Maßnahmen zielen deutlich auf eine Aussonderung hin, an deren Ende die Ausmerzung droht.
Ich halte mich deshalb verpflichtet, im Namen des deutschen Episkopats dagegen folgendes geltend zu machen:
1. Durch die Nürnberger Gesetze vom Jahre 1935 ist der Begriff „Jude“ rechtlich eindeutig festgelegt worden. Nach feierlicher Erklärung der maßgebenden Stellen ist diese Regelung eine endgültige. Eine Änderung und Verschärfung dieser Gesetze, jetzt nach bald 10 Jahren, müßte das Rechtsbewußtsein auf das stärkste erschüttern und alle Rechtssicherheit untergraben gerade auf einem Gebiete, das ohnehin bereits viel Unruhe und Erschütterung in unser Volk hineingetragen hat.
2. Durch die im Jahre 1935 für die Mischlinge getroffene gesetzliche Regelung wird anerkannt, daß sie weder ein Fremdkörper noch eine Gefahr für Volk und Reich sind, sondern dem deutschen Volke zugehören. Sie besitzen denn auch das Reichsbürgerrecht. Dementsprechend hat seit 1935 die gesamte Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung stets nur zwischen Juden und deutschen Volksgenossen unterschieden und nur für erstere gewisse Sonderregelungen getroffen. Diese Praxis, die gesetzlich festgelegt und durch zahllose Verordnungen und Anweisungen für das tägliche Leben (Lebensmittelbewirtschaftung, Steuergesetzgebung usw.) bestätigt ist, kann jetzt nicht zugunsten rücksichtsloser Bestrebungen geopfert werden, die von der erdrückenden Mehrheit des deutschen Volkes entschieden beklagt und abgelehnt werden müßten.
3. Tatsächlich sind diese Mischlinge seit ihrer Geburt in das deutsche Volkstum hineingewachsen. Sie sind längst im deutschen Lande und Geiste innerlich beheimatet. Sie haben dem deutschen Volke und Staate in den verschiedensten Ämtern und Stellungen treu gedient und vielfach Blut und Leben für ihr Vaterland im ersten Weltkrieg eingesetzt ebenso, wie dies jetzt ihre Kinder gegenwärtig wiederum tun. Es wäre nicht zu verstehen, wenn sie, die auch im nationalsozialistischen Staate unserem Volke gedient haben, dem sie entstammen, dessen Sprache sie sprechen, dessen Schicksal sie teilen, dem sie sich innerlich zugehörig fühlen, jetzt ausgeschieden und verfemt werden sollten.
4. Diese Mischlinge, die ihrem ganzen Fühlen, Denken und Wollen nach Deutsche sind, sind zugleich durchweg Christen. Gerade wegen ihrer Zugehörigkeit zum Christentum sind sie vom Judentum stets abgelehnt worden, so daß sie weder innere Bindungen noch äußere Verbindungen zum Judentum besitzen. Durch ihr Christentum sind sie aber in unsere christlichen Gemeinden hineingewachsen und in das christliche Volk eingegangen, dessen lebendige Glieder sie durch die Taufe geworden sind. Die deutschen Katholiken, ja zahlreiche Christen in Deutschland würden aufs schwerste getroffen werden, wenn diese ihre Mitchristen ein ähnliches Schicksal tragen müßten wie die Juden.
5. Wir machen pflichtgemäß darauf aufmerksam, daß solche Aussonderungsmaßnahmen gegen die Mischlinge auch weit über unser deutsches Vaterland hinaus die Christen aller Länder und Völker mit Schmerz und Entrüstung erfüllen würden.
6. Gerade in der gegenwärtigen Stunde, die die ganze Einigkeit und Geschlossenheit aller in unserem deutschen Volke verlangt, würden solche Maßnahmen Spannungen und Erschütterungen der inneren Front bedeuten, die unter allen Umständen vermieden werden müßten.
Diese Gründe verlangen gebieterisch, daß alle derartigen Versuche, die eine Aussonderung der Mischlinge zum Ziele haben, unterbunden werden.
Wir deutschen Bischöfe könnten es weder vor Gott noch vor unserem Gewissen, weder vor unserem Volke noch vor der Geschichte verantworten, solche Maßnahmen über einen Teil der uns anvertrauten Gläubigen stillschweigend ergehen zu lassen.
Wir bitten deshalb, von der Durchführung der geplanten Maßnahmen gegen Mischlinge mit dem Ziel ihrer Aussonderung aus dem Volksganzen abzusehen.