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Chronik und Quellen
1943
Oktober 1943

Bericht über Deportation untergetauchter Juden

Am 7. Oktober 1943 notiert Cäcilie Lewissohn in ihrem Tagebuch Folgendes über die Deportation untergetauchter Juden aus Berlin:

Heut an meinem 60. Geburtstage will ich anfangen, dieses Tagebuch zu führen, um für spätere Zeiten mein jetziges problematisches und immerhin sehr merkwürdiges Leben festzuhalten.

Habe diesen Tag sehr ruhig und fast ganz allein verbracht. Morgens aufgeräumt, gekocht und dann im Vorderzimmer, das sonst nicht bewohnt wird, gesaugt und Fenster geputzt, denn in diesem Zimmer will ich diejenigen von meinen Freunden am Sonntag empfangen, die mir nahestehen. Um Vi 4 kam Dän, und mit diesem trank ich zur Feier des Tages eine ganze Flasche franz. Rotwein aus, den mir meine jetzige abwesende Wirtin gestiftet hatte. Wir stießen mit immer demselben Wunsche an, daß dieser Wahnsinn nun bald ein Ende nehmen möge. Er berichtete mir, daß schon wieder Leidensgefährten von mir gefaßt worden sind und nach dem Osten abgeschoben worden sind. Und zwar bei einer Razzia in Restaurants im Westen haben jüd. Beamte in Diensten der Gestapo stehend sie gefaßt. Also ist das Essen in solchen Restaurants auch schon nicht mehr gefahrlos. Und trotzdem muß ich den eingeschlagenen Weg weitergehen, wenn ich zu meinem Ziele gelangen will, meine Lieben einmal wiederzusehen. -

Von Erich erhielt ich heut ganz pünktliche Gratulation und Mitteilung von Ludwig und seine Wünsche für meinen nächsten Geburtstage, ihn mit mir zusammen verleben zu können. Die größte Sorge ist die, dass man nicht von Lutz hört, trotz der vielen Nachrichten, die man ihm gesandt hat. Gott gebe es, daß er mit Frau u. Kindern gesund ist. -War gegen Abend im Kaufhaus, um für Susi, die am 12. 7 Jahre wird, ein Märchenbuch zu kaufen. Aber auch dieses war ein Trugschluß, nichts gibt es mehr. Trostlos sieht so ein Warenhaus aus, wo es nur noch Verlegenheitsartikel gibt, nur um überhaupt etwas zu führen. Dann sieht man erst, wo wir hingekommen sind. Und kein Ende abzusehen, aber nur nicht jammern, diesen Luxus darf ich mir nicht gestatten, meiner Sehnsucht nach meinen Lieben freien Lauf zu lassen. Also mit Radiomusik an meine Abendbeschäftigung, Buchhüllen nähen, das Stk. für 25 Pfg.

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