Vorwürfe wegen Emigration ohne Ehefrau
Siegfried Rosenfeld macht sich am 25. August 1943 im britischen Exil Vorwürfe, dass er ohne seine Frau Else emigriert ist:
1943
Heute sind es 4 Jahre, seit ich Dich, meine Liebe, verließ. Es war vielleicht doch die große Schuld meines Lebens, daß ich mich rettete und Dich zurückließ. Heute, wo ich die Nachrichten über den großen Luftangriff vor 2 Nächten auf Berlin lese, fällt es mir doppelt schwer aufs Herz. Wie, wo soll ich Dich mir vorstellen, nachdem noch vor 4 Tagen von Alice Nachricht kam. Ihr „schreibt zufrieden, arbeitet und hofft auf Wiedersehen im baldigen Frieden“. Du warst also noch mit den Heilmannschen Kindern im Juli in Berlin zusammen! Keine Phantasie reicht hin, um die Schrecken sich auszumalen in den Kellern unter riesenhohen Häusern, die sich in Riesenschutthaufen verwandeln können in jedem Augenblick.
Der Hauptangriff scheint der Siemensstadt gegolten zu haben, aber gewiß auch vielen anderen Zielen.
Ich sehe Dich, meine Liebe, auf dem Bahnhof stehend, mir entschwunden - für so viele Jahre nun, und ist Hoffnung, im besten Falle in einem Jahr Dich wiederzusehen!? Ich rechne auf Hertas Hilfe am ehesten, nachdem ich gehört habe, daß sie mitten in den ideellen und wahrscheinlich auch praktischen Wohlfahrtshilfevorbereitungen für das kriegsvernichtete Europa nach dem Kriegsende steht. Hedwig (Hertas Mutter) schrieb es in ihrem letzten Brief, und ich habe daraufhin an Herta vor wenigen Tagen geschrieben. Vielleicht wird Herta sogar selbst zur Mithilfe bei der Organisation nach Europa kommen, da sie doch schon von früheren Jahren Erfahrungen hier hat. Meine Gedanken schweifen weit ab von der Gegenwart, die zur Passivität verurteilt, der Zukunft voraus. Es ist die Flucht aus dem schrecklichen Unabänderlichen. - Vor 4 Jahren fuhr ich um diese Zeit durch die Nacht dem Rheine zu, der am Morgen sichtbar wurde, an dessen Ufern ich lange Stunden entlangfuhr. Ein Telegramm von Nymwegen nach der Grenze eine der letzten Nachrichten, die ich geben konnte.