Aufforderung zur Befolgung der Vorschriften
Benno Ostertag ermahnt im Namen der Stuttgarter Niederlassung der Reichsvereinigung die noch verbliebenen Juden am 22. Juli 1943 per Rundschreiben, die neuesten antijüdischen Bestimmungen strikt einzuhalten:
Rundschreiben Nr. 9
1. Die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland hat sich nicht in vollem Umfang aufgelöst. Sie besteht in beschränktem Maße fort. Die neue Anschrift ist: Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, Berlin N 65, Iranische Str. 2, Fernruf Nr. 46 4446. Leiter ist Dr. Walter Israel Lustig.
Dorthin sind auch die Karten, die für Theresienstadt bestimmt sind, zu richten.
In Stuttgart ist für die Reichsvereinigung für den Bezirk Württemberg und Hohenzollern Herr Alfred Israel Marx als Vertrauensmann bestellt; die Adresse ist nach wie vor Hospitalstr. 56.
Er bearbeitet alle geschäftlichen Angelegenheiten, welche die Reichsvereinigung betreffen.
Die in privilegierter Mischehe lebenden Juden nehmen den Verkehr mit ihm, soweit notwendig, durch mich auf. Direkten Anfragen an Herrn Marx ist Rückporto beizufügen.
2. Bei dieser Gelegenheit mache ich nochmals besonders darauf aufmerksam, daß Eingaben und Anträge an Behörden nur eingereicht werden dürfen, wenn die Reichsvereinigung die Zulässigkeit geprüft hat. Ausgenommen sind lediglich Anträge und Eingaben von Konsulenten usw. nach Maßgabe der Richtlinien.
Verstöße gegen diese Vorschriften werden geahndet.
Es besteht Veranlassung, darauf hinzuweisen, daß durch die Neu-Organisation der Reichsvereinigung keinerlei Änderung der von mir früher mitgeteilten Anordnungen eingetreten ist. Diese müssen nach wie vor in gleicher Weise peinlichst genau eingehalten werden.
Weiterhin wird auf den Kennkartenzwang und die Reichsmeldeordnung nochmals aufmerksam gemacht. Es ist bei allen Anfragen, Anträgen und Gesuchen an Behörden jeweils die Kennkarten-Nummer anzugeben und ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen, daß man Jude ist. Bei persönlichem Verkehr ist unaufgefordert die Kennkarte vorzuzeigen und auf die Eigenschaft als Jude hinzuweisen. Wenn von einem Juden ein Ausweis verlangt wird, muss er sich durch seine Kennkarte, die er stets bei sich zu tragen hat, und nicht durch andere Ausweise, z. B. Postausweis usw., ausweisen.
Das gleiche gilt für Anmeldungen in Hotels oder bei anderen Leuten, die Unterkunft gewähren. Die Anmeldung muß in diesen Fällen innerhalb 24 Stunden erfolgen. Es muß ein vorgeschriebener Meldezettel ausgefüllt werden. Auf dem Meldezettel ist der volle Name, Kennkarten-Nummer und Jude oder Jüdin anzugeben. Es genügt nicht, wenn nur der zusätzliche Vorname Sara oder Israel angegeben wird.
Reine Besuche müssen innerhalb drei Tagen polizeilich gemeldet werden. Auch hier ist die Innehaltung der obigen Vorschriften Zwang.
Wenn ein arischer Ehegatte mit dem jüdischen Eheteil reist, hat er, wenn er selbst die Meldezettel ausfüllt, die Vorschriften genau einzuhalten. Bei Verstößen wird nicht nur er, sondern auch der jüdische Teil zur Rechenschaft gezogen. Der jüdische Teil hat sich zu vergewissern, daß die Vorschriften genau eingehalten werden.
Das gleiche gilt natürlich auch für Eingaben, Anträge usw. Hier hat der arische Partner, wenn er für den jüdischen Eheteil auftritt, auf die Judeneigenschaff aufmerksam zu machen und die Kennkarten-Nummer anzugeben.
3. Es wird erneut darauf hingewiesen, daß die Verdunklungsvorschriften genau einzuhalten sind.
4. Durch die 13. Verordnung zum Reichsbürgergesetz, die dieser Tage erging, werden Straftaten von Juden nicht mehr durch die Gerichte, sondern durch die Polizei geahndet. Weiter führt die Verordnung aus, daß nach dem Tode eines Juden sein Vermögen dem Reich verfällt. Nichtjüdischen Erbberechtigten und Unterhaltsberechtigten kann ein Ausgleich für den Erb- oder Unterhaltsanspruch gewährt werden.
5. Ich bitte, die Sprechstunden recht häufig zu benützen. Ich habe nunmehr die speziell donnerstags eingerichteten Sprechstunden für Privilegierte aufgehoben und stehe Privilegierten die ganze Woche über, mit Ausnahme samstags, während der Bürostunden für Fragen, welche die Rundschreiben und die Mischehe-Eigenschaft betreffen, unentgeltlich zur Verfügung. Es ist aber erwünscht, daß vorher telefonisch mit meiner Kanzlei eine Zeit vereinbart wird.
Honorare werden nur für Rechtsangelegenheiten, die mit Vorstehendem nichts zu tun haben, erhoben.
6. Weisungsgemäß ersuche ich um Ausfüllung eines Fragebogens nach folgendem Schema:
a) Konfession
b) Erlernter Beruf
c) Ausgeübter Beruf
d) Zimmerzahl der Wohnung
e) Mietpreis
f) Name, Geburtstag und Geburtsort des arischen Ehegatten
g) Staatsangehörigkeit. Bei Ausländern sind hier auch die Personalien der Eltern anzugeben und bis wann die eigene Aufenthaltsbewilligung erteilt ist.
h) Zahl und Name etwaiger Untermieter.
Ich bitte, die Antwort womöglich auf einem Bogen in ungefähr halber Größe des vorstehenden Bogens doppelt zu geben und mir unverzüglich einzureichen.
Monierungen können nicht erfolgen. Weigerungen der Ausfüllung habe ich zu melden. Ich habe zwar schon einen großen Teil der Angaben, die mir zu machen sind, und könnte aus dem mir vorliegenden Material eine Reihe der Angaben selbst herausziehen. Sie ersparen mir aber viel Mühe, wenn Sie sämtliche Fragen ordnungsgemäß beantworten. Es fehlt mir die Zeit, alle Einzelfälle zu bearbeiten, während es für den einzelnen nur eine geringe Mühe macht.
7. Ich weise auch nochmals auf die Verpflichtung hin, daß alle Veränderungen im Familienstand, also z. B. Tod eines Ehegatten oder eines Kindes, mir unverzüglich zu melden sind, weiterhin Veränderungen im Arbeitseinsatz und hinsichtlich der Wohnung sowie Veränderungen der Staatsangehörigkeit.
Die ergangenen Vorschriften über den Besuch von heilklimatischen Kurorten und Bädern, die bei mir zu erfahren sind, sind streng einzuhalten.