Fluchtanweisungen
Herbert Strauss erhält im Juni 1943 von einem Fluchthelfer detaillierte Anweisungen, wie er bei Singen illegal die Grenze in die Schweiz überqueren kann:
Ein von sehr gut orientierter Seite empfohlener Plan, der ohne jede Hilfe ausgeführt werden kann:
Von Singen zu Fuß in etwa 3/4 Std. nach Rielasingen, welches heute fast so gut wie ein Vorort von Singen nach der Schweizer Grenze zu ist. Bewegt man sich auf der zur Schweizer Grenze führenden Landstraße, so steht man am Ausgang der Ortschaft Rielasingen, sozusagen an der Spitze eines Dreiecks, dessen rechter Schenkel durch einen Höhenzug, den Randegger Berg, und dessen linker Schenkel durch die nach der Schweiz führende Eisenbahnlinie und die parallel dazu verlaufende, ebenfalls nach der Schweiz gehende Landstraße gebildet wird. Die Schweizer Grenze ist als Basis dieses Dreiecks zu denken, deren Entfernung bis zur Spitze in gerader Linie etwa 3-4 km. beträgt. Dieses Dreieck schließt ein etwas morastiges freies Feld ohne Hindernisse ein, das intensiv bebaut wird. Bereits vom Ausgangspunkt der Ortschaft Rielasingen sieht man eine Reihe von etwa 150 Pappeln, die, etwa 50 mtr. von der Grenze entfernt, sich bereits auf Schweizer Boden befindet. Da auf dem beschriebenen freien Felde, das von dem gedachten Dreieck begrenzt wird, stets landwirtschaftliche Arbeiten ausgeführt werden, so würde ein Mann in Arbeitsanzug und mit Hacke oder Schaufel versehen, der sich von Rielasingen auf die Schweizer Grenze zu bewegt, nicht auffallen. Fehlgehen kann er nicht, da er dauernd die immer sichtbare, bereits auf Schweizer Boden sich befindliche Pappelreihe vor sich hat. Es ist anzuraten, nicht genau die Mitte des Feldes zu überqueren, sondern sich mehr nach rechts zu halten und als Zielpunkt den äußersten rechten Baum der bereits erwähnten Pappelreihe zu wählen. Der Gefahrenpunkt ist das deutsche Zollhaus, das sich direkt an der Grenze zwischen Landstraße und Eisenbahnlinie befindet. Da man von diesem Zollhaus das freie Feld nach allen Richtungen überblicken kann, befinden sich auf diesem keine Grenzwachen, was wiederum von entscheidender Bedeutung sein kann. Es ist kaum anzunehmen, daß vom Zollhaus aus Beamte abgeschickt werden, um den als Landarbeiter Verkleideten zu kontrollieren. Sollte das wider Erwarten doch geschehen, so ist der Wache zu sagen, dass man in Stellung bei Eugen Ruh, Sägerei- u. Mühlenbesitzer sowie Landwirt in Rielasingen, sei. Vielleicht wird dann die Wache den Betreffenden aushören wollen, ob er über die Verhältnisse seines Arbeitgebers einigermaßen orientiert ist. Eugen Ruh ist ein in Ramsen gebürtiger Schweizer, der nach Rielasingen sich verheiratet hat. Er besitzt zwei ledige Söhne, die in der Schweizer Armee dienen. Zur Betreibung seiner Geschäfte besitzt er zwei Pferde. Bei den Pappeln angekommen, wird der Betreffende vielleicht einen Grenzposten sehen, der aber ganz sicher ein Schweizer Beamter ist. Es ist noch darauf aufmerksam zu machen, dass der E. Ruh keine Ahnung davon hat, daß man seinen Namen braucht, alle Angaben stammen lediglich von jemandem, der die Verhältnisse in der Gegend auf das genaueste kennt und der auch so zuverlässig ist, daß man allen seinen Angaben unbedingt vertrauen kann. Selbstverständlich darf der Betreffende sich nicht einfach im Schnellschritt der Grenze zu bewegen, sondern er muß langsam gehen, ab und zu stehen bleiben, sich bücken, tun, als ob er arbeitet, u. s. w. Er darf nicht vergessen, daß er vom deutschen Zollamt aus beobachtet werden kann und daß er einem evtl. Beobachter gegenüber den landwirtschaftl. Arbeiter zu spielen hat. Man könnte auf den Gedanken kommen, daß es bei einer Kontrolle darauf ankommt, den einheimischen Dialekt zu sprechen, dies ist jedoch heut nicht mehr wichtig, da landwirtschaftl. Arbeiter aus allen Gegenden, selbst aus dem Ausland, dort beschäftigt sind. Immerhin kann ja St. den ähnlichen bayrischen Dialekt benutzen. Die Arbeiter brauchen natürl. keinen Ausweis mit sich zu führen, es genügt, wenn sie bei Befragen ihren Arbeitgeber nennen können u. mit dessen Verhältnissen einigermaßen Bescheid wissen.
Es ist jedoch zu bedenken, daß jeden Tag Änderungen in der geschilderten Situation eintreten können. Daß z.B. Stacheldraht der Grenze entlang gezogen wird. Darüber könnte man sich in Rielasingen aber wohl unauffällig informieren.
Von Singen nach Rielasingen zu Fuß (etwa 3/4 St.), von R[ielasingen] durch das freie Feld zwischen Höhenzug links Randegger Berg der Hauptstraße u. Bahnlinie der SBB rechts. Von R[ielasingen] aus bis zur Schweizer Grenze etwa 3-4 klm. erstreckt sich ein morastiges freies Feld ohne Hindernis, so daß man schon von R[ielasingen] aus eine Pappelreihe von etwa 150 Bäumen sieht, die parallel zur Schw. Grenze läuft und 50 mtr. davon sich bereits auf Schw. Boden befindet. Links, zwischen Straße u. Bahnlinie, befindet sich das Deutsche Zollamt, von dem aus natürl. das freie Feld beobachtet werden kann.
Diese Tatsache hat jedoch den Vorteil, daß eben dieser Beobachtungsmöglichkeit wegen keine Grenzwachen sich befinden. Da auf dem freien Felde, daß in Dreiecksform zwischen dem Höhenzug rechts u. der Bahnlinie links sich bis zur Schweizer Grenze erstreckt und dessen Spitze R[ielasingen] bildet, immer landwirtschaftl. Arbeiten ausgeführt werden, so würde ein Mann im Arbeitsanzug u. mit Hacke od. Schaufel versehen nicht auffallen, der sich v. R. über das freie Feld auf die Schw. Grenze zubewegt. Es ist anzuraten, nicht genau die Mitte des Feldes zu überqueren, sondern sich mehr nach rechts zu halten und als Zielpunkt den äußersten rechten Baum der bereits erwähnten Pappelreihe zu wählen. Dieses ist deshalb wichtig, weil man dadurch am schnellsten aus dem Blickfeld des D. Zollhauses kommt. Sollte man wider Erwarten angehalten werden, so muß man sagen, daß man in Stellung bei Eugen Ruh, Sägereibesitzer, steht, Mühlenbesitzer u. Landwirt. 2 Rosse, 2 Söhne, Schweizer aus Ramsen, geheiratet nach R. Söhne ledig, leisten Dienst b. Schw. Armee. Wenn er evtl. b. den Pappeln angekommen ist und einen Grenzposten sieht, so kann er ganz sicher sein, dass es ein Schw. Beamter ist.
Bezgl. des Schwimmplanes habe ich Gelegenheit gehabt, mich bei jemand zu informieren, der die Situation ebenso genau kennt wie der Dr. Schür. Die zurückzulegende Schwimmstrecke ist für einen guten Schwimmer in etwa V2 Std. zu absolvieren. Für jemand, der in diesem Sport excelliert, erscheint dieser Plan verhältnismäßig am gefahrlosesten, wenn es möglich ist, den für das Unternehmen günstigsten Augenblick abzuwarten. Diesen Augenblick abzupassen ist besonders dann am besten möglich, wenn man wenigstens für eine Nacht in W. eine Unterkunft findet. In diesem Falle kann man sich dann genau Rechenschaft davon abgeben, zu welchen Zeiten das Ufer bewacht ist und wann etwa die Ablösung der Posten vor sich geht. Es hängt alles davon ab, den richtigen Augenblick zum Abschwimmen zu benutzen. Nach meinem Gewährsmann besteht kaum die Gefahr einer Entdeckung, wenn man einmal eine kurze Strecke vom Ufer entfernt ist. Unbequem ist es, drüben nackt anzukommen, doch wird man wohl sehr bald von Schw. Posten mit Kleidern versorgt werden. Auch hier ist es wieder nötig, auf die unbedingte Lebensgefahr hinzuweisen, der man sich nur durch die Flucht entziehen konnte. Der Kanton Thurgau, in welchem man landet, ist allerdings Flüchtlingen gegenüber nicht so großzügig wie der Kant. Schaffhausen, doch werden Personen, die in absoluter Lebensgefahr waren, nicht zurückgeschickt. Der Kanton Schaffhausen ist allerdings auch nur einige Kilometer von der Landungsstelle entfernt und sollte es möglich sein, evtl. auch noch diesen zu erreichen. Die Entfernung zwischen W. und St. beträgt auf dem Landwege nur 6 klm. St. gehört bereits zum Kanton Schaffhausen.