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Chronik und Quellen
1943
Juni 1943

Psychischer Druck auf „Mischehen“-Partner

Am 16. Juni 1943 beschreibt Luise Solmitz aus Hamburg in ihrem Tagebuch den psychischen Druck, den die NS-Rassenpolitik auf ihre „Mischehe“ ausübt:

Mittwoch, 16.6.43

Alarm von ½ 2 bis 2.15 - Bochum wieder fürchterlich angegriffen, drüben Grimsby, wo wir 1930 zu fröhlichen Ferien eintrafen u. von wo wir England auch wieder verließen. Die Insel Lampedusa soll auch genommen sein.

Frauen werden jetzt auch bei der Feuerwehr eingestellt zu aktivem Dienst.

König Gustav V. von Schweden 85 Jahre alt. Ein ganz feiner Mensch, von allen verehrt. Was für ein Lebensabend! Sein kleines Land immer noch im Frieden, eingeklemmt zw. auf Leben und Tod, um Sein oder Nichtsein ringenden Obergewalten.

Der König v. England geht nach Afrika oder ist schon dort.

Der frühere Kronprinz v. Sachsen, Georg, ist beim Baden im Groß-Glienicker See einem Herzschlag erlegen! Geboren 15.1.1893, wie ich aus dem Buch seiner Mutter, der Luise von Toskana, sehe. Wie anders schien sein Schicksal sich gestalten zu sollen, als 101 Kanonenschläge das Volk der Sachsen aufjubeln ließen! König Friedrich August rief 1909 den jungen Sohn und Thronerben heran, als Fredy ihm den Feldfernsprecher zeigte und erklärte. „Gomm mal här“, rief der König, „hier gannste noch was lernen!“ -1912 Lt. [Leutnant], im Kriege Kampfabschnitt Verdun. Nach der Revolution - Theologe. Wie sein Onkel, Herzog Max. Ob der noch lebt? In den letzten Jahren war Kronprinz Georg für seinen Orden in Berlin seelsorgerisch tätig. Was mich nur wundert, ist, daß heute auch die kathol. Priester baden u. schwimmen. - Nie hat man wieder von Luise v. Toskana gehört. Ob sie noch lebt? Den Herzog Max, ihren Schwager, mochte ich natürlich am 6.4.1933 nicht nach ihr fragen. Seitdem sind 10 Jahre verflossen. Fürstliche Belange sind verstaubt, wer fragt noch nach ihnen?

Brachte Gis[ela] Kartoffeln zu Sch[...] Es geht mir, wie sonst den Menschen in Romanen, daß sie immer Quälendes u. gerade das hören, was sie erschüttert. Bei Windsucher neulich, wo Frau Windsucher u. die Kleffel mir so grausam u. taktlos erschienen - eine Wut hatte ich auf die beiden -, u. es doch gar nicht waren, die Schuld liegt in unserer neuen Gerechtigkeit von der Verschickung v. Nichtariern. - „Die Mischlinge auch?“ -„Das weiß ich nicht.“ Das anhören zu müssen! So freute ich mich, bei Sch. den immer übervollen Laden bis auf ein altes Weib leer zu finden. - „Jetzt werden die letzten Familien verschickt, 75, heißt es.“ - „Auch die mit einem christlichen Verheirateten?“ -„Nein, das wird endgültig geregelt, wenn diese letzten weg sind.“ - Ich hoffte immer, das widerwärtige alte Weib von der Art unserer A. würde den Laden verlassen, aber unerbittlich schlorrte sie hinter dem Verkäufer her. Und so blöde es ist, bei mir immer das Gefühl, als sei es drauf abgesehen, mich bis aufs Herz zu verletzen u. zu erschrecken. Woher wußte dies alte Weib das alles, u. was für ein Interesse hatte es daran? - Zehn Jahre Rassenpolitik, u. das kleine Volk kennt auch heute nur christlich u. jüdisch. - Ich kam erschüttert, aufgewühlt zu Hause an. - Daß es Millionen Menschen gibt, die das gar nichts angeht, die nichts zu scheuen, nichts zu fürchten brauchen. Diese glücklichen Menschen.

Ich sprach Frl. Stören, Marias Schwester. Jetzt nach 1 Jahr kann sie ihre ausgebrannte Wohnung wieder beziehen, aber Gas hat sie immer noch nicht, muß noch auswärts essen. - Die jüngste Schwester will jetzt, 37 J., heiraten, die war gerade geboren, als ich 1906 im Herbst ins Seminar eintrat u. Maria kennenlernte.

Gis[ela] Brot u. von gestern Kuchen gebracht, sie freute sich. - Frau Eckles.

Jahmüller gehässig wie immer, Luden wolle sich von ihr nur durchfüttern lassen, später würde er schleunigst nach Belgien zurückgehen. Was hört sie sich so etwas an von dem Kerl!

Immer die Angst, daß mir Fredy etwas verbirgt, es liegt mir das Grauen in den Gliedern ab dem Augenblick, da ich Karten, Geld, Brief auf meinem Schreibtisch liegen sah. Es war zu furchtbar. Und wenn er sagt, es würde für uns noch schlimmer kommen, so weiß ich das ja selbst, aber ich wittere sofort unmittelbare Gefahr. - Ob es Feldmanns, ob es Windsuchers sind, ob andere Freunde, immer ist die Schranke zw. uns, über die wir drei nicht hinwegkönnen.

Fredy sagte traurig, daß, als er neulich dem Liebertschen Jungen, der sich scheu von ihm zurückzog, die Hand vergebens hinstreckte, er sich vorgekommen sei, wie der gefährliche „böse Mann“, wie ein Mitnehmer, „Mitschnacker“, wie man hier sagt. Wir streiten uns erbittert, u. wir vertragen uns, immer bittet er: „Sei nicht so häßlich zu mir, sei immer gut zu mir“, u. hat nicht Selbsterkenntnis genug zu sehen, daß er mich bis aufs Blut reizt. Ich will ihn gewiß nicht kränken. Denn ich liebe ihn, das aber glaubt er nicht. Er fühlt sich gehaßt! Es kommt nicht darauf an, was ist, sondern was man glaubt. -Und so leide ich so oft, so sehr off - er ahnt das nicht - unter dem Gedanken „der andere aber geht u. weint“, denn ich will ihn nicht betrüben, gewiß nicht. - „O lieb, solang du leben kannst ,..“ In unseren Tagen, in unserer Lage doppelt berechtigte Mahnung. -Fredy wird langsam alt, müde. Kein Wunder.

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