Bitte um Rat zum Schutz der Familie
Am 12. Mai 1943 bittet Eitel-Fritz Proelß aus Breslau den Chef der Reichskanzlei, Lammers, um Rat, wie er seine jüdische Ehefrau und die gemeinsamen Kinder schützen kann:
Lieber Lammers!
Mein Anliegen schriftlich niederzulegen ist mir noch viel schwerer geworden, als ich es schon voraussah. Oft habe ich gestockt und einen Entwurf nach dem anderen verworfen. So hat sich dieser Brief länger verzögert, als ich es wollte.
Ich weiß nicht, ob Du Dich noch an mich erinnerst. Vielleicht hilft es Dir, wenn ich sage, daß ich näher mit Dir zusammenkam, als ich seinerzeit in meiner Eigenschaft als erster Chargierter unserer „Wratislavia“ an der Anknüpfung der Beziehungen zu den Miltenbergern mitarbeitete. Im Jahre 1934 habe ich dann eine Verabredung mit Dir auf dem Flugfeld Breslau-Gandau gehabt. Ich hatte einige Monate vorher aus der Verbindung ausscheiden müssen, weil meine Lebensgefährtin Nichtarierin (christlich) ist. Bei unserer Aussprache rietest Du mir damals in Gandau, ich solle abwarten; gleichzeitig gabst Du mir die Erlaubnis, mich notfalls noch einmal um Rat an Dich wenden zu dürfen. Ich habe mir diese Zusage als letzte Ausflucht aufgehoben und wollte nur dann an Dich herantreten, wenn die Lage verzweifelt werden würde. Eine solche Situation ist aber nunmehr eingetreten.
Es geht wirklich um mein Schicksal. In meiner Familie habe ich in allen Prüfungen und Widrigkeiten der äußeren Verhältnisse meinen Lebensinhalt gefunden; ich hänge mit ganzem Herzen an meiner Frau, meinem Jungen und meinem kleinen Mädel. Aber auch wenn das nicht der Fall wäre, würde ich es mit meiner Ehrauffassung schlechthin nicht vereinbaren können, die drei mir anvertrauten Menschen, die ohne mich schutzlos wären, im Stiche zu lassen. Nach Informationen, die ich erhielt und die ich für zuverlässig erachte, soll nun von den zuständigen Stellen (entgegen früheren Plänen) die baldige gesetzliche oder tatsächliche Auflösung der fraglichen Ehen ins Auge gefaßt sein. Sollte es wirklich hierzu kommen, so würde mir Ehre und Gewissen vorschreiben, meine Familie ihren Weg nicht allein gehen zu lassen. Aber der Gedanke an das, was dann geschehen würde, preßt mir das Herz zusammen, besonders wenn ich auf meine kleinen Kinder blicke. Ich zermartere mir unausgesetzt den Kopf, sehe jedoch aus eigenen Kräften keinen Ausweg mehr. Und so faßte ich den Entschluß, mich jetzt, in wirklich größter Not, rat- und hilfesuchend an Dich zu wenden.
Lieber Lammers! Gibt es aus dieser Lage einen Ausweg? Gibt es eine Lösung, die gleicherweise die Verantwortlichkeit für Frau und Kinder vereinbaren läßt mit dem immer in mir regen Gefühl für mein Vaterland? Denn dieses Zweite ist der andere wunde Punkt meines Herzens. 1940 bin ich Soldat geworden, aber ein knappes Jahr später meiner Ehe wegen wieder enüassen worden, kurz vor meinem Einsatz nach Libyen. Ich wäre glücklich, wenn ich wieder meine Pflicht als Soldat tun dürfte und dabei zugleich auch meine Familie daheim schützen könnte. Aber in meinen Grübeleien habe ich auch schon eine weitere Möglichkeit in Erwägung gezogen: die Trennung von meiner Familie. Dies Zweite jedoch nur dann, wenn Frau und Kinder vorher in körperlicher Sicherheit wären; hierzu hätte ich Gedanken und Vorschläge.
Vielleicht sind alle meine Erwägungen, wie ich sie eben schilderte, nur das Produkt meiner gequälten Phantasie. Und doch glaube ich wieder, daß eine rettende Lösung gar nicht so schwer zu finden sein könnte, wenn ein Mann mit Überblick einen guten Rat geben, ein gutes Wort sprechen würde.
Lieber Lammers, ich bitte Dich von ganzem Herzen, mir Deinen Rat und Deine Hilfe nicht zu versagen!
Ich hätte es nicht gewagt, mich an Dich zu wenden, wenn ich mir etwas Unwürdiges vorzuwerfen hätte. Wenn Du über meine Person und Haltung nähere Auskunft benötigst, dürfte ich Dir viele gemeinsame Bekannte benennen. Die alten Verbindungsbrüder haben mir die Treue gehalten und ich ihnen. Von Dir aber weiß ich, daß Deine Bereitschaft, einen Rat- und Hilfesuchenden anzuhören und ihm nach Möglichkeit beizustehen, nicht nur zu meiner Verbindungszeit in ungewöhnlichem Maße bewährt war, sondern daß sie es auch heute noch ist. Deswegen habe ich es jetzt gewagt, an Dich heranzutreten und Dich an die alte Bindung zu erinnern. Nun aber, wo ich Dich angerufen habe, bist Du meine letzte, wirklich letzte Hoffnung.
Laß mich zum Schluß wiederholen, was ich schon einmal schrieb: es erscheint mir unmöglich, Dir auf schriftlichem Wege die ganze Verzweiflung und Tragik meiner Lage zu schildern. Deswegen bitte ich Dich nochmals, wenn irgend möglich mir, oder wenigstens einem Fürsprecher für mich, eine mündliche Aussprache zu gewähren, und wäre es auch nur für ganz kurze Zeit. Eine solche Besprechung würde Klarheit geben, was ich zu erhoffen habe oder was ich erwarten muß.
Ich bin mit dankbaren Grüßen Dein Dir ergebener