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Chronik und Quellen
1934
Januar 1934

Bericht aus Nürnberg/Fürth

Am 29. Januar 1934 erstattet die Polizeidirektion Nürnberg Fürth folgenden Bericht über „Politische Nachrichten“:

''Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens''(CV)

Auf die außerordentliche interne Aktivität des CV wurde schon in den ''Politischen Nachrichten Nr. 6''1 hingewiesen. Diese Aktivität hat sich weiterhin fortgesetzt, wenn nicht gesteigert. Das Ziel ist klar: Rückgewinnung der durch die nationale Erhebung in Deutschland gestrichenen Vorrechte der Judenschaft.

Die Reichsgeschäftsstelle des CV, Berlin W. 15, Emserstraße 42 (Dr. Reichmann ) gibt soeben eine modern aufgemachte Werbebroschüre - ''Der CV, seine Aufgaben und seine Arbeit. Sein Zweck = Ihr Ziel'' - heraus, die von allen Landesverbänden und Ortsgruppen als Werbematerial übernommen werden soll. (1.000 St. = 162 RM) [...]

Jüdische Vereinigungen

Die ''Zionistische Vereinigung für Deutschland '' (ZVfD ), Berlin W. 15, Meinekestr. 10 erstrebt im Rahmen des internationalen Zionismus ''die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina .''

Das Organ der Zionistischen Bewegung in Deutschland ist ''Die jüdische Rundschau '', Berlin W. 15, Meinekestr. 10. Außerdem erscheint die Monatsschrift ''Alijah '' als Informationsorgan für Palästina-Auswanderer, herausgegeben vom Palästinaamt der Jewish Agency for Palestine, Berlin W. 15, Meinekestr. 10.

Die zentralen Finanzinstrumente des zionistischen Palästina-Aufbaues sind

1.) der Bodenfonds: ''Keren Kajemeth Lejisrael '' (KKL) (Vergl. Anlage)
2.) der Aufbaufonds: ''Keren Hajessod '' (KH).

Die Bankgeschäfte der ''Zionistischen Vereinigung'' besorgt die ''Volksbank Jwria e.G.m.B.H.''2 , Berlin C 25, Dircksenstr. 26/27 mit Schwesterinstituten in Charlottenburg, Leipzig, Chemnitz und Breslau.

Die Sammeltätigkeit der ''Zionistischen Vereinigung'' hat in Deutschland in den letzten Wochen äußerst beachtliche Ausmaße angenommen.

So wird z.Zt. in ganz Deutschland eine Büchsensammlung organisiert, die sich bis in die kleinsten Städte erstreckt. Im Laufe des Januar 1934 führten die Zionistischen Gruppen in ganz Deutschland für ''Keren Kajemeth Lejisrael'' eine ''Mifal Arlosoroff-Kampagne'' durch, benannt nach Mifal Arlosoroff3 , einem jüdischen Vorkämpfer für die Ansiedlung von Juden in Palästina. Bei dieser Kampagne wurde durch die zionistischen Jugendgruppen eine Haussammlung vorgenommen. Die beabsichtigte Aushebung der Sammlung in Nürnberg konnte nicht verwirklicht werden, da die Juden es vorzogen, am Tage vor der geplanten Veranstaltung die Polizei über die Zulässigkeit der Sammlung zu befragen; es mußte ihnen selbstverständlich eine verneinende Antwort gegeben werden.

Eine weitere Sammlung wird ab 15.1.34 durch die ''Werkleute '' im Benehmen mit Keren Hajessod und Keren Kajemeth Lejisrael durchgeführt. (Vergl. Anlage 2) Die näheren organisatorischen Anleitungen erteilt ein Dipl. Ing. Fritz Altmann aus Berlin als Vertreter der ''Werkleute''. Die Sammelkampagne der ''Werkleute'' bezweckt, innerhalb eines Zeitraumes von 3 Monaten in Deutschland einen Betrag von 260.000 RM für die Ansiedlung von Mitgliedern des Bundes in Palästina aufzubringen.

In einer Sitzung des Geschäftsführenden Ausschusses der ZVfD am 15.1.1934 in Berlin wurde die Stellungnahme gegenüber dem Reichsbund jüd. Frontsoldaten (RJF) wie folgt präcisiert [sic]:

''..... daß durch die Aufgabe der innerjüdischen Neutralität (des RJF) es jedem Zionisten und jedem, der die Erkenntnis der Judenfrage in sich aufgenommen hat und den Weg zu einem vollen lebenskräftigen Judentum sucht, unmöglich gemacht ist, in ihm zu verbleiben.''

In der gleichen Sitzung wurde der nachstehend zitierte Beschluß gefaßt:

Beschluß des G.A.:

''Der Geschäftsführende Ausschuß der Zionistischen Vereinigung für Deutschland hält es für erforderlich, daß in der zionistischen Propaganda und Presse und bei der repräsentativen Vertretung des deutschen Zionismus nach außen in richtiger Einschätzung der letzten Entwicklung im deutschen Judentum mehr als bisher eine deutlich erkennbare Abgrenzung gegenüber allen anderen Gruppen des deutschen Judentums erfolgt. Es soll klar werden, daß der deutsche Zionismus entschlossen ist, für seine Anschauungen mit aller Entschiedenheit einzutreten. Wenn die Kräfte des deutschen Zionismus nach den Bedürfnissen des Tages und der jüdischen Entwicklung in Deutschland nutzbar gemacht werden sollen, so darf bei der Arbeit in den für diese Zwecke gemeinsam mit anderen Gruppen betrauten Körperschaften kein Zweifel darüber gelassen werden, daß der deutsche Zionismus die Verwirklichung des Baseler Programms für die entscheidende und echte Antwort auf die Judenfrage hält. Nur ein von der zionistischen Bewegung beeinflußtes und von der zionistischen Idee beherrschtes deutsches Judentum wird fähig und imstande sein, den mit der Galuth -Existenz verknüpften Anforderungen gerecht zu werden.''

Jüdisches Emigrantentum

Aus hier vertraulich bekannt gewordener jüdischer Korrespondenz ist ersichtlich, daß die nach Palästina ausgewanderten Juden sich großenteils in ihren Erwartungen getäuscht sehen. So heißt es von einem Auswanderer: ''vollkommen entmutigt kommt er nach 5 monatlichem Suchen von Palästina zurück, in gleicher Weise ergeht es Unzähligen.''

Von Interesse ist auch, daß sich weibliche jüdische Auswanderer in Palästina die Staatsangehörigkeit erwerben können, wenn sie mit einem dortigen Staatsangehörigen eine Scheinehe eingehen. Diese Scheinehe kann nach einem halben Jahre wieder gelöst werden; während der Ehe kann die Frau ihren Mädchennamen weiterführen. Eine Jüdin aus Fürth hat sich vor kurzem auf diesem Wege die Staatsangehörigkeit in Palästina erworben. [...]

Anlage 1 (Abschrift)

Aufgaben und Tätigkeit der deutschen Sammelstelle des Jüdischen Nationalfonds e.V. Keren Kajemeth Lejisrael .

I. Der Keren Kajemeth wurde im Jahr 1901 gegründet, mit der Aufgabe, durch Sammlung von Spenden unter den Juden der ganzen Welt Mittel zu schaffen für Kolonisation von Palästina durch Juden. Nach dem Kriege wurde die Aufgabe der Keren Kajemeth beschränkt auf den Erwerb von Boden für mittellose Ansiedler. Dieser Boden bleibt im unveränderlichen Eigentum des jüdischen Volkes und wird den Ansiedlern nur in Erbpacht gegeben. Während ihrer Ausbildungszeit in Deutschland4 werden mittellose Auswanderer aus den Geldern des Fonds unterstützt.

II. Das Hauptbüro des Keren Kajemeth ist in Jerusalem. Die Spendensammlung in den einzelnen Ländern geschieht im Einvernehmen mit den zionistischen Organisationen dieser Länder. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf Ziffer 9 der in der Anlage überreichten Satzungen.5

III. In Berlin ist der Jüdische Nationalfonds e.V. Keren Kajemeth Lejisrael unter Nr. 167 VR 1957 Blatt 10 vom 17.1.1916 in das Vereinsregister des Amtsgerichts Berlin-Mitte eingetragen. Er ist ebenso wie die Sammelstellen in den übrigen Ländern ein reiner Sammelapparat, der Propaganda nur insoweit betreibt, als es für den Geldaufbringungszweck erforderlich ist.

IV. Die Zionistische Vereinigung für Deutschland , mit der im Einvernehmen die deutsche Sammelstelle des Keren Kajemeth arbeitet, (vergl. oben unter Ziffer II) führt ihre Tätigkeit im Einvernehmen mit den zuständigen Regierungsstellen aus. Genaue Auskünfte über den Jüdischen Nationalfonds für die Akten der Geheimen Staatspolizei wurden von uns am 30.8.33 erteilt und alles nötige Informationsmaterial übergeben. Die bearbeitende Stelle ist: Geh. Staatspolizei Abt. II F, Prinz Albrechtstr. 8, A 2, Flora 6821, Zimmer 21. Die Überweisung der gesammelten Gelder nach Palästina geschieht von Fall zu Fall auf Grund von Bewilligungen des Herrn Reichswirtschaftsministers. Ferner Genehmigungsbescheid des Herrn Präsidenten des Landesfinanzamtes Berlin vom 16. Sept. 1933. Gesch. P.J. 143911-I-6a/Fe.)

V. Der Zweck der Aufbringung von Geldern für Palästina erfordert es, daß die Propaganda für die Sammlung mit der Aufklärung über die Leistungen des jüdischen Aufbaus in Palästina betrieben wird, und zwar aus religiösen, national-kulturellen und bodenreformerischen Gesichtspunkten.

VI. Literatur über Zwecke und Tätigkeit des Keren Kajemeth:

1.) In der deutschen wissenschaftlichen Literatur ist die Kolonisationstätigkeit unseres Fonds mehrfach behandelt, z.B. in der Geschichte des Nationalökonomie von Adolf Damaschke II (Seite 344-355). Über die Fortschritte wird laufend berichtet im ''Jahrbuch für Bodenreform''.

2.) Die in Deutschland zu Aufklärungszwecken am meisten verbreitete grundsätzliche Schrift ist ''Keren Kajemeth Lejisrael, Jüdischer Nationalfonds'' von Adolf Böhm . Nachrichten erscheinen fortlaufend im Organ der Zionistischen Vereinigung in Deutschland, der ''Jüdischen Rundschau '' Berlin. Informations- und Flugblätter aus der Sammel- und Aufklärungstätigkeit unseres Fonds, die von Zeit zu Zeit herausgegeben werden, zeigen, daß die Propaganda mit einer Darstellung der Fortschritte des jüdischen Aufbauwerkes in Palästina betrieben wird.

 

Anlage 2

Abkommen Werkleute

Am 9.I.34

1. Ziel und Termin:

Die Kampagne der Werkleute setzt sich zur Aufgabe, 260.000 RM zu erzielen. Dieser Betrag soll in drei Monaten ab 5. Januar 1934 erreicht werden. Die Kampagne wird abgebrochen, wenn nicht ein Ergebnis von 100.000 RM in bar oder in schriftlichen Verpflichtungen nach den ersten beiden Monaten erzielt wird.

2. Spender:

a) Bearbeitet werden dürfen nur die Eltern und nahen Verwandten der Bundesmitglieder (Geschwister, Onkel, Tante, Großeltern, dagegen nicht Vettern).

Falls besondere Familienverhältnisse eine Überschreitung dieses Rahmens betr. Vettern (sch'lischi be sch'lischi) angebracht erscheinen lassen, soll im Einzelfall eine Verständigung mit dem KH herbeigeführt werden.

b) Ferner sollen 50 Adressen von KH freigegeben werden. Das Freigabeverfahren wird folgendermaßen geregelt: Die Werkleute werden diejenigen Personen bezeichnen, die sie wegen einer Spende aufsuchen wollen. Vor der Bearbeitung muß die Zustimmung des KH herbeigeführt werden, wobei klar ist, daß der KH grundsätzlich zustimmen wird, wenn es sich um Menschen handelt, die bisher von ihm noch nicht erfaßt worden sind, daß er aber grundsätzlich genehmigen wird, wenn es sich um KH-Zeichner handelt oder um solche, von denen der KH nachweisen kann, daß sie sich in aussichtsreicher Bearbeitung befinden.

 

3. Spendenhöhe

Bei den 50 Adressen Minimum des anzunehmenden Betrages von 3.000 RM. Sonst Minimum 200 RM.

4. Methode:

Die Kampagne muß im Prospekt deutlich als Verwandtenaktion bezeichnet werden, um jede Präzedenz für andere Gruppensammlungen zu vermeiden.

5. Verbindung:

Der Bund muß einen Vertrauensmann stellen, der im engsten Kontakt mit KH und KKL bleibt (mindestens 3 mal wöchentlich).

6. Mißerfolg:

Erreicht die Aktion ihr Ziel nicht, so soll über die Verwendung der aufgebrachten Gelder zwischen KH und KKL und Werkleute beschlossen werden, wobei Einvernehmen darüber herrscht, daß der erreichte Betrag dem Zweck des Bodenkaufes und der Ansiedlung der Werkleute zugute kommen muß.

KH Keren Hajessod
KKL Keren Kajemeth Lejisrael

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