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Chronik und Quellen
1942
Januar 1942

„Meldungen aus dem Reich“

Der Sicherheitsdienst der SS berichtet am 29. Januar 1942 Folgendes über das Thema „Die Juden im Rechtsverkehr“:

Je vollständiger sich die Ausschaltung der Juden aus dem gesamten Volksleben vollzieht, umso unwilliger wird nach zahlreichen Meldungen von Volksgenossen und Rechtswahrern die Notwendigkeit empfunden, daß deutsche Gerichte nach wie vor rein jüdische Angelegenheiten mit Kosten- und Zeitaufwand behandeln müssen.

So wird z.B. aus Würzburg gemeldet, daß ein Amtsgericht langwierige Ermittlungen nach den unbekannten Erben eines verstorbenen Juden habe anstellen müssen, dessen Nachlaß von wenigen hundert Mark nur wieder Juden zugute gekommen sei. In der gleichen Meldung wird auf Schwierigkeiten hingewiesen, die durch die zahllosen Eintragungen jüdischer Gläubiger, die meist verstorben oder mit unbekanntem Ziel ausgewandert sind, im Grundstücks- und Kreditverkehr entstünden. Es werde eine Gesamtbereinigung der Grundbücher von jüdischen Eintragungen (auch Zwangseintragungen) vorgeschlagen.

Nach anderen Meldungen haben deutsche Gerichte jüdische Vermögensinteressen vielfach bei Vormundschaften über jüdische Mündel und bei Pflegschaften, insbesondere Abwesenheitspflegschaften, zu wahren, wobei es sich oft um schwierige vermögensrechtliche Angelegenheiten handelt (München). Ebenso werde beanstandet, daß deutsche Gerichte nach nationalsozialistischem Eherecht eine jüdische Ehe (etwa wegen Verweigerung der Fortpflanzung) scheiden oder gar den deutschen Ehemann einer Jüdin zur Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft verurteilen müßten (Wien). Auch die derzeitige Regelung des Armenrechts für Juden wird nach den Meldungen immer wieder als völlig unbefriedigend bezeichnet (Würzburg, München, Hamburg usw.).

In den Meldungen kommt zum Ausdruck, daß die augenblickliche Regelung von Rechtsverhältnissen von Juden, soweit sie insbesondere deren Rechtsstellung im bürgerlichen Recht betrifft, noch sehr weitgehend nicht mit der politischen Stellung der Juden im nationalsozialistischen Deutschland übereinstimmt. Der Richter müsse deshalb häufig gegen seine politische Überzeugung entscheiden. Auf der einen Seite sei zwar anerkannt, daß das Recht in Einklang mit den politischen Notwendigkeiten stehen müsse. Auf der anderen Seite verlange man aber vom Richter, daß er sich bei seinen Entscheidungen ans Gesetz halte. Setze er sich aufgrund seiner politischen Überzeugung darüber hinweg, müsse er damit rechnen, daß seine Entscheidungen von den Instanzgerichten aufgehoben oder vom Gesetzgeber selbst nicht gebilligt würden. Dieser Umstand hemme ihn nicht nur in seiner Entscheidungsfreudigkeit, sondern setze ihn auch ständigen Mißdeutungen bei politischen Stellen und in der Bevölkerung aus; denn politisch denkende Volksgenossen könnten es sich heutzutage einfach nicht mehr erklären, daß Juden beispielsweise noch immer im Armenrecht klagen könnten, ja daß ihnen überhaupt noch nahezu der gleich Rechtsschutz gewährt werde wie deutschen Volksgenossen.

Es wird deshalb nach den Meldungen immer dringlicher eine möglichst baldige Anpassung der Rechtsstellung der Juden auch in bürgerlich-rechtlicher Hinsicht an die politischen Gegebenheiten gefordert. Auch im Hinblick auf die sich immer schwieriger gestaltenden Personalverhältnisse in der Justiz sei es nicht mehr zu verantworten, die deutsche Rechtspflege im bisherigen Umfange auch Juden zur Verfügung zu stellen. Hierin liege eine Vereinfachungsmöglichkeit, deren Ausnutzung gerade im gegenwärtigen Zeitpunkt in Fachkreisen und in der Bevölkerung lebhaft begrüßt werden würde.

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