Meldungen aus dem Reich
Am 25. April 1941 berichtet der SD über „Die Juden im Rechtsverkehr“:
Nach Meldungen ist die Rechtsstellung der Juden in verschiedener Hinsicht noch nicht immer in einer dem gesunden Volksempfinden entsprechenden Weise geregelt. Es werden Fälle gemeldet, in denen die bestehende Rechtspraxis von der Bevölkerung lebhaft kritisiert wird und in denen man gerade im Hinblick auf den Krieg eine baldige Änderung wünscht.
Breslau meldet, daß beim dortigen Landgericht umfangreiche und umständliche Arbeiten für die Ehescheidungsprozesse ausgewanderter Juden durchgeführt werden müßten, die dem Staat außerdem große Kosten verursachten. Nach § 606, Abs. 2 der Zivilprozeßordnung ist, wenn der Ehemann ein Deutscher ist und im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand hat, für Eheprozesse das Landgericht zuständig, in dessen Bezirk der Ehemann seinen letzten Wohnsitz hatte. Handele es sich nun bei einem ''Deutschen'' um einen ausgewanderten Juden, der aus irgendwelchen Gründen die deutsche Staatsangehörigkeit noch besitze, so führe diese Bestimmungen dazu, daß z.B. ein jüdisches Ehepaar, das irgendwohin in die Welt ausgewandert ist und bis zur Auswanderung in Breslau gewohnt hatte, seinen Ehescheidungsprozeß vor dem Landgericht in Breslau führen müsse. In Richterkreisen werde bereits vielfach nicht verstanden, daß deutsche Gerichte überhaupt noch in Sachen tätig werden müßten, in denen beide streitenden Parteien Juden sind und durch jüdische Konsulenten vertreten werden (so auch in Berlin). Noch größerem Unverständnis begegnen aber die Tatsache, daß das Deutsche Reich den Juden seine Gerichte sogar kostenlos zur Verfügung stelle, wenn die Voraussetzungen für die Bewilligung des Armenrechts gegeben seien. In solchen Fällen, die durchaus nicht selten seien, würden dann auch noch den jüdischen Konsulenten die staatlichen Armenanwaltsgebühren ausgezahlt. Außerdem würde aber eine Reihe anderer Behörden mit Arbeit belastet, so z.B. die deutschen Konsulate im Ausland, die Bescheinigungen über die finanzielle Lage der jüdischen Eheleute auszustellen hätten oder inländische Stellen, die wegen notwendig werdender Rückfragen Niederschriften aufnehmen müßten usw. Daß es sich hier nicht nur um Einzelfälle handle, beweise die Zahl jener Prozesse, die mit 30 im Jahre allein in Breslau nicht zu hoch angegeben sei.
Nach anderen Meldungen (z.B. Düsseldorf) werden nach wie vor Forderungen jüdischer Gläubiger gegen deutschblütige Schuldner vollstreckt. Danach gehen bei den Gerichtsvollziehern noch laufend Anträge ein von
1. jüdischen Gläubigern, denen die Forderungen auf Grund eines Rechtsgeschäfts mit deutschblütigen Schuldner zustehen;
2. jüdischen Gläubigern, die die Forderungen von anderen jüdischen Gläubigern, die teils ausgewandert sind, erworben haben;
3. von deutschblütigen Gläubigern, die die Außenstände jüdischer Unternehmungen käuflich erworben haben;
4. von deutschblütigen Gläubigern, die die Forderungen aus jüdischer Konkursmassen erworben haben;
5. von deutschblütigen Gläubigern, die jüdische Außenstände übernommen haben, um eigene Ansprüche gegen das betreffende jüdische Unternehmen zu decken;
6. von deutschen Inkassogemeinschaften oder Gesellschaften, die die Einziehung von Forderungen gewerbsmäßig betreiben und zwar teils im eigenen Namen auf Grund formeller Abtretungen, teils im Namen der jüdischen Gläubiger.
Es sei eine Ausnahme, wenn derartige Vollstreckungsanträge einmal abgelehnt würden. Im allgemeinen werde die Vollstreckung durchgeführt, weil die Gerichte bisher noch keine Handhabe hätten, sie zu verhindern.
Demgegenüber wird z.B. in einer Meldung aus Weimar darauf hingewiesen, daß bei der Geltendmachung von Forderungen deutschblütiger Gläubiger gegenüber jüdischen Schuldnern vielfach Härten aufgetreten sind, die bei den Betroffenen um so weniger Verständnis fänden, als im umgekehrten Falle die Vollstreckung wegen der besseren Vermögensverhältnisse der deutschblütigen Schuldner meist ohne weiteres möglich sei. Durch das Ausscheiden der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben sei es häufig vorgekommen, daß jüdische Schuldner behaupteten, zur Begleichung ihrer Geschäftschulden nicht mehr in der Lage zu sein. Es sei unbillig, den deutschblütigen Gläubigern in allen solchen Fällen entgegenzuhalten, sie seien an dem Forderungsausfall selbst schuld, weil sie mit Juden Geschäfte gemacht hätten. In zahlreichen Fällen sei es wegen der Monopolstellung der Juden im Handel gar nicht zu vermeiden gewesen, mit ihnen Handel zu treiben. Von mittleren oder kleinen Unternehmen werde daher immer wieder darüber geklagt, daß das Reich bisher noch keinen Ausgleich geschaffen habe. Man verstehe nicht, aus welchen Gründen das Judentum zum Schaden der deutschen Geschäftswelt durch das Einfrierenlassen der Judenschulden ein unverdientes Geschenk erhalte. Aus jenen Kreisen komme deshalb der Vorschlag, das Judentum in Deutschland in seiner Gesamtheit für den Ausfall seiner Geschäftsschäden haften zu lassen.
Dieser zur Zeit noch ungeklärte Rechtszustand werde, wie in anderen Meldungen (z.B. Berlin) angeführt wird, mit der zuvorkommenden Behandlung verglichen, die deutsche Gerichte Juden etwa bei der Frage angedeihen ließen, ob Pensionsverträge, die vormals jüdische Firmen mit ihren jüdischen Angestellten abgeschlossen hätten, von den arischen Nachfolgefirmen erfüllt werden müßten. Nur vereinzelt und gegen die Rechtssprechung des Reichsgerichts würden Klagen jüdischer Angestellter auf Erfüllung jener Verträge abgelehnt.