Menü
Chronik und Quellen
1938
Dezember 1938

SD-Bericht aus Breslau

Am 21. Januar 1939 erstattet der SD-Oberschnitt Süd-Ost (II 112) seinen „Bericht für 1938“:

Judentum

Entwicklung der gegnerischen Arbeit und ihre Abwehr

Allgemeine Entwicklung

Das Gesamtjudentum Schlesiens hatte im Jahre 1938 kein einheitliches Programm.

Die durch die einschneidenden Erlasse, Verordnungen und Maßnahmen bedingte Ausschaltung des Judentums aus dem gesamten öffentlichen Leben führte dazu, daß die Juden sich stärker um die Arbeit in ihren Gemeinden kümmerten. Die Folge hiervon war, daß die Assimilanten sich bemühten, alle dem Judentum noch verbliebenen Positionen auf den Lebensgebieten zu erhalten und die jüdischen Kultur- und Wohlfahrtseinrichtungen auszubauen. Bei Jahresschluß stand der weitaus größte Teil der älteren Juden in ihrem Lager.

Bis zur Judenaktion am 10.11.1938 versuchte die assimilatorisch eingestellte Judenschaft durch geschickte Anpassung an die gegebenen Verhältnisse ihr Verbleiben in Deutschland zu ermöglichen, durch Abwanderung in das Reichsinnere die Auswanderung zu umgehen und die restlose Lahmlegung des jüdischen Wirtschaftslebens zu verhindern. Nach den Vorgängen vom 10.11. wurde auch diesen Kreisen klar, daß ihre Zielsetzung unter den veränderten Umständen nicht mehr aufrechtzuerhalten war.

Anders lagen die Verhältnisse bei den Zionisten , die sich strikt an die von den Berliner Zentralstellen herausgegebenen und von den schlesischen Landesstellen übernommenen Richtlinien hielten. Zur Erreichung ihres Zieles - ''Verstärkte Auswanderung nach Palästina '' - warben sie vor allem mit großem Erfolg innerhalb der jüdischen Jugend, förderten die Berufsumschulung und trugen Sorge für die Auswanderung vorwiegend nach Palästina. Trotzdem hielt sich die jüdische Auswanderung bis zu dem Zeitpunkt der Judenaktion durchaus im normalen Rahmen. Die Judenaktion war für die Auswanderung entscheidend und brachte eine vollständige Wandlung der jüdischen Einstellung mit sich. Die Parole ''Auswanderung unter allen Umständen'' beherrschte nunmehr das Gesamtjudentum Schlesiens.

Neben dieser allgemeinen Auswanderung wurde von den zionistischen Organisationen eine Kinderverschickung nach dem Auslande vorbereitet. Für die Gebiete Nieder- und Mittelschlesien liefen in Breslau insgesamt 1.500 Meldungen ein. Von diesen 1.500 Kindern wurden bis Ende des Jahres 31 abberufen. Der Abruf erfolgte durch die Aufnahmeländer. Die bisherigen Transporte gingen in der Hauptsache nach England, Holland und Belgien.

Der jüdischen Auswanderung aus Schlesien stellten sich die gleichen Schwierigkeiten entgegen, wie sie aus dem übrigen Reich bekannt sind.

Aus dem Altreufonds floß gerade nach Schlesien eine sehr große Anzahl von Darlehen und brachte Auswanderern, die sich zu einem großen Teil aus den Reihen der Handwerker zusammensetzten, erheblichen Nutzen.

In der zweiten Hälfte des Mai 1938 erklärte die Reichsvertretung , daß der Fonds erschöpft sei. Die auf diesen, durch die Erschöpfung des Fonds abgeschlossenen Abschnitt folgende Periode (bis November 1938), war gekennzeichnet durch schwindende Auswanderungsmöglichkeiten und wachsende Schwierigkeiten zur Unterbringung in den Aufnahmeländern. Die Konferenz von Evian, die dem Mißverhältnis zwischen der Notwendigkeit des Auswanderns und den Möglichkeiten des Einwanderns abhelfen sollte, erzielte durch die Einführung verschärfter Sperrmaßnahmen das Gegenteil ihres Zweckes. Dies wirkte sich auch auf die schlesischen Verhältnisse lähmend aus. Assimilatorische Strömungen nutzten diesen Umstand aus, um einen Stillstand in der Auswanderungsfrage eintreten zu lassen. Sie beriefen sich darauf, daß auch die berufliche Gliederung des jüdischen Bevölkerungsteiles stark hinderlich sei. Eine große Zahl der Auswanderer sei zwar bereit, jede sich bietende körperliche Arbeit zu leisten, doch könne sie sich in den Einwanderungsländern damit nicht ernähren, da die eingesessene Bevölkerung genügend ungelernte Arbeiter habe und überdies so genügsam sei, daß ein in Europa aufgewachsener Mensch mit ihnen nicht konkurrieren könne.

In dieser Auffassung schufen die Ereignisse vom 10.11. und die nachfolgenden gesetzlichen Bestimmungen einen erheblichen Wandel. Der Mangel an Aufnahmeländern dauerte jedoch fort und erklärte den Zustrom nach einem bisher weniger beachteten Auswanderungsziel: China.

Die Wahl des neuen Wanderungszieles China erfolgte in Schlesien in vielen Fällen zwangsläufig, weil es sich um das einzige Land handelte, das ohne Einreisevisum und ohne Vorzeigegeld zu erreichen war.

Die staatlichen Maßnahmen, die in dieser letzten Zeit getroffen wurden, insbesondere die Beschränkung in der Verfügung über Wertpapiere und Wertobjekte erschwerten die Aufbringung der Gelder für die Auswanderer.

 

Reaktionen auf die innen- und außenpolitischen Ereignisse

Durch die Übernahme Österreichs und die damit in diesem Gebiet beginnende Bereinigung der Judenfrage , wandelte sich die vorher an den Tag gelegte zuversichtliche Stimmung der Juden in das Gegenteil. Die Folgerung, daß ihr Ziel nicht erreichbar sei, wurde in assimilatorischen Kreisen aus der Entwicklung nicht gezogen. Man rechnete mit weiteren außenpolitischen Verwicklungen, die eine Aktivierung der Auswanderung verhindern würden.

Dem Reichsparteitag sah das schlesische Judentum vorübergehend pessimistisch entgegen; es befürchtete antijüdische Maßnahmen. Das Ausbleiben dieser Maßnahmen sowie das Ansteigen der außenpolitischen Spannung ließ die Juden von der möglichen Verwicklung des Reiches in eine kriegerische Auseinandersetzung mit der CSR (gewaltsame Lösung der sudetendeutschen Frage und eines evtl. Mißerfolges) wieder eine Besserung ihrer Lage erhoffen. Dies drückte sich ganz deutlich in dem herausfordernden Benehmen der Juden aus. Das Münchener Abkommen und die dadurch erfolgte innen- und außenpolitische Machtverstärkung des Reiches zerschlug diese Hoffnungen. Die Juden traten in der Öffentlichkeit kaum noch in Erscheinung.

Das innenpolitische Ereignis, welches das Judentum am meisten berührte, die Sühnemaßnahmen für den an Gesandtschaftsrat vom Rath begangenen Mord, konnten - den Umständen entsprechend - vom Judentum selbst nicht kommentiert werden. Die Reaktion des Judentum äußerte sich in erster Linie in der nunmehr mit aller Kraft betriebenen Auswanderung und in der fast willenlosen Unterordnung unter alle vom Staat und von Behörden getroffenen Verfügungen. Daß jedoch das Judentum auch von dieser Aktion in seinem innersten Wesen nicht getroffen wurde, zeigten die unmittelbar nach Einstellung der Aktion vielfach erfolgten Ansprüche, Beschwerden und Anzeigen bei Orts- und Staatspolizeibehörden.

Da die Aktion auch für den weitaus größten Teil der Judenschaft völlig überraschend kam, konnten sich keine internen Widerstandszentren bilden, sodaß die im Anschluß an die Aktion einsetzende Liquidation des Judenproblems bis zum Ende des Jahres reibungslos vor sich ging.

In dem neugewonnenen Gebietsteil Mähren, setzte bereits nach Bekanntwerden des Münchener Abkommens eine plötzliche und heftige Reaktion innerhalb der Judenschaft ein. Noch vor der Besetzung verließen alle irgendwie bedeutenden Juden diesen Gebietsteil, zum Teil unter Zurücklassung erheblicher Besitz- und sonstiger Vermögenswerte. Es blieben fast ausschließlich ältere und gebrechliche Juden zurück. Da überdies im Zuge der Besetzung die provisorische Überleitung jüdischer Geschäfte in arischen Besitz durch sofortige Einsetzung von Treuhändern in die Wege geleitet wurde, wich die Durchführung der Sühneaktion in Mähren wesentlich von der im Altreich ab und vollzog sich hier weniger heftig.

 

Kampfmethoden zur Durchführung des Programms

Während die Assimilanten Gesamtschlesiens in der Berichtszeit im Vergleich zu den Zionisten propagandistisch nach außen hin wenig in Erscheinung traten, betätigten sich die zionistischen Vereine und Organisationen außerordentlich rege. In den durchweg gut besuchten Versammlungen wurden die Fragen der Auswanderung eingehend erörtert, unterstützt von vorgeführten Palästinafilmen und Bildstreifen. Es wurde fast ausnahmslos für die Auswanderung nach Palästina geworben.

In dieser Propaganda wurden die zionistischen Gruppen unterstützt durch aufklärende Aufsätze in der jüdischen Presse des Reiches, die zum Teil von schlesischen Gemeindeblättern übernommen wurden. Dieser offenen Propaganda der Zionisten konnten die Assimilanten nur eine versteckte Werbung für ihre Ziele entgegenstellen, die sich jedoch nur im Rahmen kultureller und sportlicher Veranstaltungen vollzog und sich mehr dahin auswirkte, den assimilatorischen Kreisen des schlesischen Judentums das Gefühl einer gewissen Sicherheit zu geben.

Während so eine jüdische Propaganda nur in verhältnismäßig engem Rahmen noch betrieben werden konnte, entfielen die Möglichkeiten zu größeren Kundgebungen infolge der durch den Staat erlassenen Bestimmungen. Das einzig größere Ereignis dieser Art war die im Frühjahr 1938 stattgefundene Arbeitstagung des Palästina-Amtes , die zur Unterstützung der schlesischen Juden nach Breslau verlegt worden war.

Dieser Umstand war zugleich ein Hinweis darauf, welchen Wert schlesische zionistische Kreise auf die Lösung des Auswandererproblems legten. Sie versuchten durch Förderung der Schulungsarbeit die Auswanderungsmöglichkeiten zu erhöhen.

Zur eigenen Schulung wurden die in Schlesien vorhandenen Umschulungslager Groß-Breesen, Ellguth b/Steinau und Silingthal b/Zobten für Zwecke der Auswanderung genutzt.

Die Lager waren durchweg überfüllt, sodaß häufig Zurückstellungen von Umschulungswilligen vorgenommen werden mußten. Um demgegenüber eine Entlastung zu schaffen, fanden Auswanderungswillige Umschulungsmöglichkeiten bei verschiedenen jüdischen Landwirten. Auf Grund der in Auswanderungsfragen gemachten Erfahrungen ging das schlesische Judentum dazu über, nicht nur landwirtschaftliche Umschulungen vorzunehmen, sondern auch die handwerklichen Berufe einzubeziehen. Zu diesem Zwecke wurde von der Synagogengemeinde Breslau neben theoretischen Handwerkerkursen eine Lehrwerkstätte für Mechanik eingerichtet. Auch bei jüdischen Geschäftsleuten verschiedener Branchen wurden Umschulungswillige aufgenommen und beschäftigt.

Die größeren Synagogengemeinden richteten Sprachkurse in Englisch, Spanisch und Hebräisch ein. Auch Privatsprachschulen wurden stark in Anspruch genommen.

Eine gegnerische Schulung gegen den Nationalsozialismus war infolge der intensiven Überwachung durch Staatsbehörden usw. nicht spürbar.

In der Schulungsarbeit spielte auch die jüdische Presse eine gewisse Rolle, da in den Zeitungsaufsätzen immer wieder die Auswanderungsfrage behandelt wurde. Eine eigene jüdische Presse stand den schlesischen Juden hierfür nur in geringem Umfange zur Verfügung.

Der Umfang der eigenen jüdischen Presse in Schlesien war nicht erheblich. Sie beschränkte sich auf einzelne Gemeindeblätter und Vereinsrundbriefe. Das jüdische Gemeindeblatt Breslau als Organ der größten Synagogengemeinde Schlesiens hatte beispielsweise nur eine Auflagenziffer von 5.000 bei einer Zahl von 18.000 in Breslau ansässigen Juden.

Inhaltlich waren die Presseerzeugnisse auf die Reichspresse abgestimmt. Sie enthielten neben Artikeln über Auswanderungsangelegenheiten überwiegend Berichte über eigene jüdischen Angelegenheiten und Versammlungsanzeigen. Sie blieben ohne planmäßigen Einsatz zu bestimmten Zeiten oder Ereignissen und enthielten sich jeglicher Stellungnahme zu politischen Geschehnissen.

 

Finanzierung der Gegnerarbeit

Die Finanzierung der vom Judentum sich selbst gestellten Aufgaben erfolgte vorwiegend durch Erhebung von Gemeindesteuern und bis zu einem gewissen Umfang durch sonstige Zwangsabgaben sowie durch Beitragserhebung und Spenden innerhalb der jüdischen Organisationen.

So erhob z.B. die jüdische Großgemeinde Beuthen O/S von ihren Mitgliedern eine ''Gemeindesteuer'' in Höhe von 38% der Reichseinkommenssteuer, desgleichen ein Verwaltungsgeld in Höhe des einfachen Satzes der Bürgersteuer. Der Voranschlag dieser jüdischen Gemeinde für 1938 betrug 98.000 RM, das tatsächliche Einkommen-Soll 65.000 RM. Das Defizit sollte durch Grundstücksverkäufe gedeckt werden. Über den privaten Haus- und Grundbesitz und den Vermögensstand der schlesischen Juden lagen bis zum Ende des Jahres 1938 nur vereinzelte Statistiken vor. Die Größe des Ende 1938 in jüdischen Händen befindlichen Landbesitzes in Schlesien betrug ca. 22.000 ha.

Das Vermögen von 4.000 Breslauer Juden z.B. beläuft sich auf 185.000.000 RM. […]

Das jüdische Winterhilfswerk und der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten leisteten fortlaufende Unterstützung mit der Durchführung von Speisungen und durch Ausgabe von Sachspenden. Im Rahmen des jüdischen Winterhilfswerks in Breslau wurden im letzten Vierteljahr 1938 folgende Spenden aufgebracht:

Eintopfspenden (23.11. und 18.12.38)                              6.756,10 RM
Spenden aus sonst. Sammlungen (z.B. Pfundspende)     4.797,35 RM
Einzelspenden (Pflichtabzüge an Lohn und Gehalt)       31.134,30 RM
                                                                                                  42.687,75 RM

Hiervon wurden betreut im:

Monat Oktober         2.662 Personen,
Monat November   3.259 Personen,
Monat Dezember     3.427 Personen.

Die erhebliche Steigerung der Zahl der Unterstützungsbedürftigen war vermutlich mit darauf zurückzuführen, daß allein aus Breslau rund 2.000 im erwerbsfähigen Alter stehende Juden nach der Aktion in das KZ Buchenwald überführt wurden.

In den Provinzstädten wurde das WHW weniger in Anspruch genommen, da die ärmeren Juden dort z.T. von den vermögenderen persönlich unterstützt wurden.

Darüberhinaus versuchten die schlesischen Juden in Angleichung an die Verhältnisse im Reich durch direkte und indirekte Sammlungen und sonstige Zuwendungen eine Unterstützung minderbemittelter Juden zu erreichen. So bestand in Breslau im Rahmen der Synagogengemeinde ein Stipendienfonds für studierende Juden, der jedoch im Jahre 1938 nahezu erschöpft war und nur noch in ganz geringem Umfang in Anspruch genommen werden konnte.

Zur Durchführung ihrer Aufgaben erhielt eine Anzahl jüdischer Verbände Zuschüsse von Reichsorganisationen. Der ''Provinzialverband für jüdische Wohlfahrtspflege in Oberschlesien'' erhielt von der ''Reichsvertretung der Juden in Deutschland '' monatlich den Betrag von 625 RM und vom ''Synagogengemeindeverband Oberschlesien'' einen monatlichen Zuschuß von 500 RM. Das Palästina-Amt Zweigstelle Beuthen O/S, wurde durch Zuschüsse der Berliner Zentrale, des Synagogengemeindeverbandes Oberschlesien und der Synagogengemeinde Beuthen O/S mit 200 RM monatlich unterstützt. Dagegen wurde die Auswandererberatungsstelle des ''Hilfsvereins der Juden in Deutschland '' allein unterhalten. Im Regierungsbezirk Liegnitz wurden für die Zwecke der Berufsausbildung jüdischer Jugendlicher sowie für Ausreisekosten Zuschüsse von Berliner und Breslauer Zentralstellen gezahlt, wenn die Heimatgemeinden nicht in der Lage waren, die Gesamtkosten allein zu tragen. Zuschüsse von anderer Seite wurden nicht gewährt.

Dem Sekretariat Breslau des jüdischen Nationalfonds vom 1.1. bis 30.11. 1938 Spenden in Höhe von 19.644,48 RM zu.

 

Zersetzungsarbeit des Gegners

Da eine aktive Zersetzung durch Juden von staatlichen oder Parteiorganisationen infolge der Einschränkungen nicht möglich war, zeigte sich die zersetzende Tätigkeit vorwiegend in der Sabotage der NS-Wirtschafts- und Finanzgebarung.

Neben mehrfach vorgekommenen Verstößen gegen die Verordnung zur Anmeldung des Vermögens von Juden und die Preisstopp-Verordnung kamen im Regierungsbezirk Liegnitz mehrere Verstöße gegen das Spinnstoff-Gesetz vor, die in zwölf Fällen zur Verhängung von Geldstrafen in Höhe von insgesamt 43.700 RM und in neun Fällen zur Schließung der Geschäfte führten.

Verstöße gegen die Devisenbestimmungen nahmen nach Ansicht der Behörden einen breiteren Raum ein, als im Vorjahr. Die Methoden zur Umgehung der Bestimmungen wurden raffinierter.

Weitere Verstöße erfolgten gegen das Schächt-Verbot, die Arisierungsbestimmungen und gegen die polizeilichen Bestimmungen für die Nahrungs- und Genußmittelbranche. Letztere führten zur Schließung einer Reihe von Destillen in Oberschlesien.

Während zu Beginn des Jahres die Verurteilungen von jüdischen Rasseschändern noch erheblich waren, ließen sie in der zweiten Hälfte des Jahres stark nach, was auf die verschärften Strafmaßnahmen zurückzuführen war. Dagegen nahmen die Verurteilungen von Ariern wegen Rassenschande mit Jüdinnen zu.

Während in dieser Beziehung auch nach dem 10.11. kein erheblicher Rückgang einsetzte, wurde der zersetzende Einfluß auf den Lebensgebieten, insbesondere in der Wirtschaft und im Gesundheits- und Rechtswesen (VO vom 30.9.38) schlagartig beseitigt.

Der jüdische Einfluß in der Wirtschaft war bis zur Judenaktion erheblich. Das Judentum hatte sich vorwiegend auf die Textil- und Bekleidungsindustrie konzentriert, sodaß diese Zweige als Domäne des Judentums gelten konnten. Zwar wurden schon vor dem November Arisierungsbestrebungen eingeleitet, die jedoch nicht mit dem nötigen Nachdruck durchgeführt werden. Ähnlich verhielt es sich mit einigen Zweigen des Großhandels, insbesondere im Nahrungs- und Genußmittel, Holz-, Häute- und Fellhandel. Wie stark der jüdische Einfluß gerade im Handel war, geht einmal aus einem Auszug aus der Statistik über den Arisierungsprozeß in Schlesien und zum anderen aus der Statistik über die Verteilung jüdischer Erwerbstätiger auf die verschiedenen Berufszweige hervor. […]

Die dominierende Stellung der Juden im Handel und hier insbesondere im Nahrungs- und Genußmittel, Textil- und Holzwarenhandel lag einerseits an der höheren Kontingentierung der jüdischen Geschäfte, zum anderen an dem Verhalten der Bevölkerung - besonders der Landbevölkerung -, die bis in die letzte Zeit geschäftliche Beziehungen mit Juden unterhielt. Noch vor der allgemeinen Schließung der jüdischen Geschäfte deckten viele Kleinhandelsbetriebe ihren Bedarf bei jüdischen Grossisten. Aber auch große Pflegeanstalten anderer Provinzen zählten zur Kundschaft der schlesischen Juden.

Auch die jüdischen Ärzte, Heilpraktiker und Rechtsanwälte stellten noch einen großen Anteil innerhalb dieser Berufsgruppen. Allein in Breslau waren vor dem 30.9.38 die 202 jüdische Ärzte tätig, im Regierungsbezirk Liegnitz 22 und im Regierungsbezirk Oppeln 51.

Das gesamte wirtschaftliche und kulturelle Leben in dem neu gewonnenen Gebiet Mähren stand vor der Besetzung weit mehr unter jüdischem Einfluß als das im übrigen Schlesien. Die fast restlose Auswanderung des jüdischen Elementes aus Mähren (Ende 1938 waren im Regierungsbezirk Troppau kaum noch mehr als 100 Juden ansässig) und die mit der Besetzung einsetzenden Sofortmaßnahmen gegen das Judentum zerstörten den vorher vorhandenen Einfluß restlos.

Die verhältnismäßig starke Position der Juden auf den Lebensgebieten wirkte sich entsprechend auf das Verhältnis zwischen Judentum und anderen Gegnergruppen aus. Nicht nur bis zur Judenaktion, sondern auch darüber hinaus bestanden lebhafte Beziehungen zwischen dem Judentum und der Reaktion, der Freimaurerei und den politischen Kirchen .

Während der Jude als Hausarzt und Rechtsberater noch vielfach in reaktionären Kreisen auftauchte, sorgten kirchliche Persönlichkeiten, besonders auch nach der Judenaktion, für die nötige moralische Unterstützung der Juden. Ein evangelischer Pfarrer in Beuthen z.B. suchte am Tage nach der Judenaktion einen Juden auf, um ihm sein Beileid auszudrücken. Die Prälaten Ulitzka und Kubis schlossen ''das verfolgte Judentum'' in ihre Gebete ein.

Welche Verwirrungen durch die Haltung der Kirche angerichtet wurden, bewies ein Vorfall aus dem Regierungsbezirk Liegnitz, nach welchem Konfirmanden einer Gemeinde sich weigerten, den Konfirmanden-Unterricht weiterhin zu besuchen, weil die Ausführungen des Geistlichen zum Judentum den Darlegungen im Schulunterricht derartig widersprächen, daß sich die Kinder nur auf diese Weise dem projüdischen kirchlichen Einfluß entziehen zu können glaubten.

Nach Aussagen des Vorsitzenden des Oberschlesischen Rabbiner-Verbandes war das Verhältnis zwischen Rabbinern und der Geistlichkeit beider Konfessionen denkbar gut. Aus den Ausführungen des Sekretärs des zionistischen Gruppenverbandes Oberschlesiens ging hervor, daß die getauften jüdischen Auswanderer durch beide Kirchen besonders unterstützt wurden.

 

Abwehr der Gegnerarbeit

Um auch den letzten Einfluß des Judentums zu brechen, wurden im Verlaufe des Jahres 1938 eine Anzahl von Gegenmaßnahmen durchgeführt, die schon vor der Judenaktion im November teilweise nicht unerhebliche Erfolge zeitigten.

Der zu Beginn des Jahres 1938 noch verhältnismäßig starke Besuch der Bäder und Kurorte durch Juden ließ in der Folgezeit erheblich nach. Die entsprechenden Verordnungen hierzu wurden von der Bevölkerung freudig begrüßt, während dies bei den Fremdenheimbesitzern nicht überall der Fall war. Wirtschaftliche Nachteile waren verschiedentlich nicht zu melden. Aber auch diese Volksgenossen fanden sich in der Zwischenzeit mit dem Fernbleiben der Juden ab. Juden fanden nur noch in jüdischen Häusern Aufnahme; die Benutzung der öffentlichen Kur- und sonstigen Einrichtungen wurde ihnen untersagt.

Der Entzug der Gewerbelegitimationskarten wurde in Schlesien restlos durchgeführt, sodaß der jüdische Hausierer auch auf dem Lande völlig verschwand. Auch diese Maßnahme löste in der Bevölkerung größte Genugtuung aus.

Mit der Verordnung vom 30.9.38 - Ausschaltung jüdischer Kassenärzte - verringerte sich die Zahl der jüdischen Ärzte in Schlesien von 275 auf 55.

Die zum gleichen Zeitpunkt herausgekommene Verordnung über die Ausschaltung jüdischer Rechts- und Patentanwälte brachte dem schlesischen Judentum einen starken Verlust an Rechtsanwälten . Zur Beratung von Juden wurden nur noch eine beschränkte Anzahl jüdischer Konsulenten zugelassen.

Die von der Regierung getroffenen Maßnahmen gegen Juden ausländischer Staatsangehörigkeit und Staatenlose führte zur Entfernung von sechs staatenlosen Juden aus den Vorständen jüdischer Organisationen sowie anläßlich der Großaktion zur Ausweisung von 560 polnischen Juden aus Schlesien. 6.000 polnische Juden aus dem Reichsgebiet wurden bei dieser Gelegenheit ebenfalls über die schlesische Grenze nach Polen abgeschoben.

Die Zurückdrängung des wirtschaftlichen Einflusses wurde mit den Arisierungen des Jahres 1938 bereits begonnen und fand einen gewissen Höhepunkt durch die Kennzeichnung sämtlicher jüdischer Geschäfte Breslaus anläßlich des Deutschen Turn- und Sportfestes.

Einen wirklichen Auftrieb erhielten diese Bemühungen jedoch erst durch die Judenaktion mit der Schließung einer großen Anzahl jüdischer Geschäfte in Schlesien bezw. deren Arisierung oder Liquidierung. Insgesamt wurden an Handelsfirmen 151 liquidiert, 71 arisiert und 29 standen Ende des Jahres noch in Arisierung. Dieser Gesamtzahl von 251 ausgeschalteten jüdischen Handelsfirmen standen Ende des Jahres allerdings noch 183 jüdische Firmen gegenüber.

Eine Sonderregelung erfuhr die Behandlung dieses Problems in Mähren, wo die seitens der Staatspolizei beschlagnahmten jüdischen Grundstücke, Häuser, Barvermögen usw. dem Stillhaltekommissar für das sudetendeutsche Gebiet überwiesen werden.

Die wirtschaftlichen Einschränkungen sowie die sonstigen Maßnahmen gegen die Juden erhöhten die Zahl der Auswanderer aus Schlesien (außer Mähren) erheblich und steigerten sich auf durchschnittlich 200 monatlich.

 

Organisatorische Entwicklung des Gegners

Ähnlich wie in der inneren Entwicklung blieben die Zionisten auch in der organisatorischen Entwicklung verhältnismäßig konstant. Von zionistischen Organisationen kam lediglich der Zionistische Ortsverband Waldenburg zur Auflösung.

Im assimilatorischen Lager dagegen kam das Schwinden seines Einflusses auch im Zusammenbrechen der Organisationen zum Ausdruck. Im Berichtsjahr kamen 19 Gemeinden und Vereinigungen, die vorwiegend assimilatorisch ausgerichtet waren, zum Erliegen. In Liquidation traten fünf jüdische Gemeinden. Gegen Ende des Jahres folgten sämtliche Jugendorganisationen und der Landesausschuß der jüdischen Jugendbünde in Oberschlesien diesem Beispiel.

In gleichem Maße nahmen die Möglichkeiten einer Einflußnahme auf den Lebensgebieten ab. Der Auflösungsprozeß, der durch die verstärkte Auswanderung bereits vor der Judenaktion begonnen hatte, wurde durch diese erheblich beschleunigt. Einen Überblick über die Erfolge der systematisch betriebenen Auswanderungspolitik ergibt folgende Statistik:

Im Laufe des Jahres 1938 wanderten aus Breslau beispielsweise 1.726 Juden aus. (608 Juden wanderten aus der Provinz zu).

Auf die einzelnen Abschnitte des Jahres verteilten sich die Aus- und Zuwanderungszahlen wie folgt:

Auswanderungen:  

1. Vierteljahr     440 Personen
2. Vierteljahr     226       ''
3. Vierteljahr     515       ''
4. Vierteljahr     545       ''
zus.                   1.726 Personen

Zuwanderungen (Vorwiegend aus der Provinz):

1. Vierteljahr     248 Personen
2. Vierteljahr   129       ''
3. Vierteljahr     187       ''
4. Vierteljahr       44       ''
                            608 Personen

 

Stand der Gegnerarbeit und ihrer Abwehr im Vergleich zum Vorjahr

Im Vergleich zum Vorjahr änderte sich die Lage des schlesischen Judentums grundsätzlich.

Neben dem starken Zurückgehen der jüdischen Organisationen ergab sich eine erhebliche Einschrumpfung der Führergewalt im Gesamtjudentum Schlesiens. So gab beispielsweise die Führung der Juden in Oberschlesien offen zu, daß sie nicht in der Lage sei, eine einheitliche Organisation zu schaffen. Hierzu trug die stark vorwärtsgetriebene Ab- und Auswanderung bei, die einen raschen Mitgliederschwund mit sich brachte und damit mehr und mehr zu einem Schwinden des Zusammenhaltes innerhalb der jüdischen Gemeinden führte.

Von einem Einfluß auf den Lebensgebieten konnte daher zu Ende des Jahres nicht mehr gesprochen werden. Das Judentum stellt in seinen Organisationen keinen Machtfaktor mehr dar. Diese Lage bestimmte das Verhältnis des Gegners zu Partei und Staat.

Die großen politischen Erfolge des Führers und die damit verbundene Festigung von Partei und Staat ließen die Juden die Aussichtlosigkeit ihrer Lage erkennen und die Auswanderung zum Ziel ihrer gesamten Arbeit werden.

Diese am Jahresende eingenommene Haltung des Judentums wurde von ihm damit begründet, daß es in der deutschen Gesetzgebung keine Lücke für Tätigkeitsverlagerung mehr gäbe.

Die Zionisten vertraten die Ansicht, daß von staatswegen das gesamte jüdische Vermögen beschlagnahmt werden müsse, um die Finanzierung der Auswanderung mittelloser Juden und eine finanzielle Sicherung der Juden zu ermöglichen, die wegen zu hohen Alters nicht mehr auswandern könnten und als Zurückbleibende nicht der öffentlichen Wohlfahrt zur Last fallen sollten. Die gleichen jüdischen Kreise brachten zum Ausdruck, die Auswanderung könne durch ein etwas ''großzügigeres'' Verfahren bei den halbamtlichen Auswanderer-Beratungsstellen erleichtert werden.

Der Staat war in der Lage seine Judenpolitik planmäßig zu steuern. Innenpolitische Gegnergruppen konnten ihm in dieser Hinsicht keine Schwierigkeiten bereiten.

Die weltanschauliche Schulung der Partei und ihrer Gliederungen reichte allerdings zur wirksamen Bekämpfung des Judentums vielfach nicht aus. Dies bewiesen die anläßlich der Judenaktion in jüdischen Geschäften aufgefundenen Kundenlisten, die eine ganze Anzahl von Parteigenossen enthielten.

So waren z.B. von sieben Parteigenossen, die als ständige Kunden einer jüdischen Druckerei ermittelt wurden, fünf Politische Leiter, einer Propagandawart, ein weiterer zweiter Beigeordneter (Stadt- und Kreisauschuß-Mitglied):

In einem anderen Fall wurde anläßlich der Judenaktion ein getaufter Jude verhaftet, der als Gefolgschaftsmitglied eines großen Betriebes bisher nicht gemeldet war. Von der DAF dieserhalb zur Rede gestellt, erklärte der Direktor - Parteigenosse seit 1931 - daß es ihm stets leid getan habe, den Juden zu entlassen, da dieser doch gar nicht jüdisch aussähe und im übrigen seine Eltern ja evangelisch geworden seien.

In dem Gebiet Mähren setzte sich z.B. ein SdP-Abgeordneter für die Herausgabe der beschlagnahmten Sachwerte eines geflüchteten Juden ein.

Das Landratsamt Troppau erteilte einem anderen Juden die Genehmigung, sein Lebensmittelgeschäft erneut zu eröffnen.

Diese Tatsachen lösten unter der Bevölkerung starke Verbitterung aus.

An diesen Beispielen zeigte sich, daß liberalistische Tendenzen auch innerhalb der Partei noch in solchem Umfange wirksam waren, daß die Lösung der Judenfrage in der Praxis aus weltanschaulicher Überzeugung heraus allein nicht möglich war. Die Lösung der Judenfrage auf gesetzlichem Wege erwies sich in jeder Hinsicht als zweckmäßiger und erfolgreicher.

Baum wird geladen...