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Chronik und Quellen
1938
Dezember 1938

SD-Bericht aus Methethen (Ostpreußen)

Am 20. Januar 1939 erstattet der SD-Oberschnitt Nord-Ost (II 112) seinen „Bericht für 1938“:

Das Jahr 1938 brachte auf dem Gebiet Judentum die Entscheidung. Partei und Staat hatten diesem grundsätzlichen Gegner unserer Weltanschauung seit dem Jahre 1933 den Kampf auf einer Basis geliefert, die bewies, daß der Nationalsozialismus gewillt ist, ihn in Deutschland unter allen Umständen unschädlich zu machen. Doch war die Verankerung des Judentum gerade im Wirtschaftsleben so stark, daß dieser Kampf bisher keinen Enderfolg gebracht hatte. Im Jahre 1938 aber wurden die bereits bestehenden Gesetze und Verfügungen zu einem lückenlosen Ring geschlossen, die dem Judentum keinen Ausweg mehr boten und zeigten, daß die äußere und innere Kraft des nationalsozialistischen Staates groß genug ist, um gegebenenfalls auch Konsequenzen in Kauf zu nehmen. Und dieses wurde auch von den ostpreußischen Juden verstanden.

Mit Beginn des Jahres 1938 wurde der Gegner Judentum in einer Stellung übernommen, die in den vorhergehenden Jahren zwar erheblich geschwächt, aber für die Juden noch nicht völlig hoffnungslos war. Bei der überwiegend assimilatorischen Einstellung der ostpreußischen Juden und der Zähigkeit und Geschicklichkeit, mit der sie ihre Position verteidigten, war vorauszusehen, daß der Angriff zwar weiter vorgetragen, aber der Endsieg keineswegs errungen werden würde. Die Stellung des Judentums im ostpreußischen Wirtschaftsleben war noch so stark, daß man in einzelnen Zweigen immer noch von einer Verjudung sprechen konnte. Es waren dies vor allem der Getreide- Holz- und Viehhandel . Dieses wurde bewirkt durch die Beziehungen der Juden nach dem Ausland und durch die zum Teil konservative Einstellung der Käuferkreise. Aber auch im Einzelhandel und im Vertretergewerbe spielte der Jude, gemessen an der geringen Kopfzahl, immer noch eine bedeutende Rolle. Vor allem existierten zu Anfang des Jahres eine ganze Anzahl jüdischer Großbetriebe, die die zurückliegende Krisenzeit glatt überwunden hatten.

Die rund 5.300 Glaubensjuden Ostpreußens waren durchweg organisatorisch zusammengefaßt. Die jüdischen Vereinigungen hatten zwar im allgemeinen keine große Bedeutung mehr, aber sie waren noch da und versuchten ihren Aufgaben unter teilweiser Umstellung so gut wie möglich nachzukommen.

Im Verlauf des Jahres 1938 wurden eine ganze Reihe von Verordnungen und Gesetzen erlassen, die den Juden nicht nur so gut wie jede freie Betätigung zum Zwecke des Erwerbs untersagten, sondern darüberhinaus eine große moralische Wirkung auf diejenigen Nichtarier ausübten, die durch Vermögensbesitz wirtschaftlich unabhängig waren und der Entwicklung der Dinge sonst in Ruhe hätten zusehen können. Vor allem hat hier der Anmeldezwang des jüdischen Vermögens gewirkt. Sofort entstanden Gerüchte, daß eine Beschlagnahme aller jüdischen Vermögenswerte beabsichtigt sei und die Juden reagierten darauf durch eine beträchtlich gestiegene Auswanderungslust. Ebenso wurde gerade durch diese Maßnahme eine merkliche Förderung der Arisierungsbestrebungen erzielt. Noch vor dem gesetzlichen Entzug der Legitimationskarten und Wandergewerbescheine wurden in Ostpreußen im Verlaufe des I. Halbjahres die Tätigkeit der Juden im Vertreter- und Händlergewerbe dadurch weitgehendst eingeschränkt, daß Anträgen auf Verlängerung der Handelsgenehmigung nicht mehr stattgegeben wurde. Die vielfach eingelegten Einsprüche blieben diesmal, im Gegensatz zum Vorjahre, durchweg ohne Erfolg. Naturgemäß versuchten die Juden immer wieder, sich gerade auf diesen Gebieten mittels zahlreicher Schliche weiter zu betätigen, z.B. durch Zusammenarbeit mit solchen Rassegenossen, die noch im Besitz einer Handelserlaubnis waren (die übrigens größtenteils aus dem Reich stammten). Größere Schwierigkeiten bot die Aufgabe, die Juden aus dem Einzelhandel zu entfernen. Trotzdem wurde hier durch gründlichste Ausnutzung aller gesetzlichen Möglichkeiten erreicht, daß die jüdischen Betriebe in immer schnellerem Tempo in deutsche Hände übergingen. Als wesentlicher Beschleunigungsfaktor bei den Arisierungen müssen aber auch die außenpolitischen Erfolge des Führers angeführt werden. Gerade diese nahmen den Juden die Hoffnung, daß sich ihr Schicksal durch eine Zerschlagung des Nationalsozialismus von außen her vielleicht ändern könnte. Alle diese Umstände machten die Juden im Verlaufe des Jahres bereit, ihren Betrieb zu verkaufen. Wenn sich die Verkaufsverhandlungen häufig recht lange hinzogen, so war dieses einmal auf die Schwierigkeiten der Juden bei der Vorbereitung ihrer Auswanderung zurückzuführen. Sie wollten, bevor sie den Verkauf abschlossen, die Gewißheit haben, daß sie im Anschluß daran sofort abreisen können. Ferner scheiterten die Verhandlungen häufig daran, daß die beiden Parteien sich über den Verkaufswert nicht einigen konnten. Bisweilen wollte der jüdische Inhaber eines Betriebes diesen nur zusammen mit dem Geschäftsgrundstück abgeben, während der Interessent für das Haus nicht die nötigen Mittel aufbringen konnte. - Im ersten Teil der Berichtszeit mußte allerdings öfter die Beobachtung gemacht werden, daß die Juden ihre Hausgrundstücke, sofern diese ihnen eine auskömmliche Rente abwarfen, lieber im eigenen Besitz behielten. Sie betonten, daß der Teil ihres Vermögens, den sie bei Auswanderung mitnehmen dürften, so klein sei, daß die Neugründung einer Existenz im Ausland nicht den Erfolg verspräche als wenn sie trotz aller Widerstände in Deutschland verblieben und von den Zinsen ihres Gesamtkapitals lebten. - Im allgemeinen erreichten die gezahlten Preise 50-70% des Wertes. Trotzdem waren die Interessenten nicht immer in der Lage, das erforderliche Kapital aufzubringen, so daß bisweilen jüdische Geschäfte längere Zeit zum Verkauf standen, ohne daß sich ein Käufer finden ließ. Die NSDAP hat hier aus ihren Fonds manchem Parteigenossen durch Hergabe von Krediten zu einer gesicherten Existenz verholfen. Gelegentlich machte die mangelnde fachliche Vorbildung der Interessenten Schwierigkeiten. So konnte noch nach der Aktion im November ein jüdischer Betrieb in Elbing nicht verkauft werden, da sich bisher kein Fachmann finden ließ.

Die wirtschaftliche Lage der ostpreußischen Juden war örtlich sehr verschieden. In Königsberg mußten fast 40% aller dort ansässigen Juden ein Vermögen von 20.5 Millionen RM anmelden, im Regierungsbezirk Allenstein waren es etwa 35%. Die Bezirke Gumbinnen und Marienwerder fielen dagegen stark ab (17 und 12%). Im Regierungsbezirk Marienwerder wurden denn auch bereits im Sommer jüdische Arbeitslose in größerer Zahl gemeldet. Sie wurden soweit als möglich geschlossen eingesetzt und bei Straßen- und Wiesenkulturarbeiten verwandt. Die allgemeine Notlage unter den Juden dieses Bezirks geht auch daraus hervor, daß noch während des Winters 1937/38 die dortigen Synagogengemeinden fast durchweg erklären mußten, daß ihre Wohlfahrtsfonds vollständig erschöpft seinen und daß auch im kommenden Winter keinerlei Unterstützungen gewährt werden könnten. Die Anforderungen, die an die Jüdische Winterhilfe gestellt wurden, waren beträchtlich: es wurden im gesamten Ostpreußen bereits im vergangenen Winter 20.5% aller Juden unterstützt. Auch die Wohlfahrtseinrichtungen der Städte wurden fast überall in Anspruch genommen. Jedoch wurden Unterstützungen nur an wirklich arbeitsunfähige und mittellose Juden gegeben.

Unter diesen Umständen war vorauszusehen, daß die Abwanderung der Juden aus Ostpreußen nicht unbeträchtlich sein würde. Jedoch wurde diese noch durch die verschiedenen außen- und innenpolitischen Ereignisse bedeutend gefördert und die Auswanderungsziffern graphisch dargestellt, lassen dieses auch deutlich erkennen. Im Verlaufe des Jahre 1937 hatten 941 Juden Ostpreußen verlassen. Dieser Abwanderung stand ein Zuzug von 286 gegenüber. Diese Zahlen decken sich ungefähr mit denen des Jahres 1936. Im Jahre 1938 waren in den ersten sechs Monaten bereits 609 Personen ausgewandert und die Zahl für das ganze Jahr dürfte 1.300 ausmachen. Darüberhinaus liegen bei den zuständigen Stellen zahlreiche Anträge vor.

Die Förderung, die die Auswanderung von seiten der jüdischen Organisationen erfuhr, ist gering zu bewerten. Es wurden zwar in vielen Versammlungen Vorträge über die Lebensbedingungen in anderen Ländern gehalten, aber darüberhinaus wurde wenig getan. Die einzige Möglichkeit, in Ostpreußen auf einen anderen Beruf umzuschulen, bot das Gut Lobitten im Samland. Hier waren bis Oktober 1938 161 Personen in landwirtschaftlichen Berufen ausgebildet worden. Der Leiter des Umschulungslagers und Besitzer des Gutes steht zur Zeit in Verkaufsverhandlungen, da er das Gut aufgeben will. Die noch in der Ausbildung befindlichen Praktikanten sollen auf andere Umschulungsgüter im Reich verteilt werden, während ein Transport von 15 Mann in Kürze Deutschland verlassen wird.

Die einzige jüdische Stelle, die die Auswanderung praktisch gelenkt hat, war die Auswandererberatungsstelle des Hilfsvereins der Juden in Deutschland. Die einzige ostpreußische Zweigstelle befindet sich in Königsberg. Sie erfaßt durchschnittlich 90% aller Auswandernden. Die Beratung erstreckt sich auf die Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen des Auswanderungslandes und auf die Arbeitsmöglichkeiten, ferner auf die Mithilfe im Schriftverkehr mit Konsulaten und Auswanderungsbehörden, bei der Beschaffung von Urkunden im Ausland u.ä.. Die Mittel, die zur Unterstützung von Auswanderungswilligen ausgeworfen werden, stammten bis dahin von den weniger dazu leistungsfähigen Synagogengemeinden und den Zuschüssen der Zentrale des Hilfsvereins.

Der Auswanderungsabsicht standen eine Reihe von Schwierigkeiten entgegen. Abgesehen davon, daß die Zahl der Länder, die heute noch Juden ohne Vorbehalt aufnehmen, sehr klein ist, bildet vor allem die Regelung der Finanzfrage einen wichtigen Verzögerungsgrund. Dann aber sind in den letzten Jahren vor allem diejenigen Juden ausgewandert, die infolge ihrer großen Lebenskraft die sichere Aussicht hatten, sich im Ausland eine neue Existenz aufzubauen. Die Zurückgebliebenen sind nun zum Teil dadurch gehindert, daß ihr Gesundheitszustand oder ihr Lebensalter den konsularärztlichen Anforderungen widerspricht oder weil jede berufliche Eignung fehlt oder keinerlei auswertbare verwandtschaftliche Beziehungen vorhanden sind.

Verhältnismäßig leicht läßt sich Ostpreußen von den Juden ausländischer Staatsangehörigkeit bereinigen. Ihre Zahl ist mit rund 300 nie groß gewesen, so daß es zu Zusammenschlüssen landsmannschaftlichen Charakters nie gekommen ist. Der Einfluß dieser Juden auf jüdischem Gebiet wurde durch ihre Entfernung aus einflußreichen Ämtern innerhalb der jüdischen Organisationen ausgeschaltet. Immerhin befinden sich auch heute noch einige wirtschaftliche Betriebe in ihren Händen.

Der Kampf gegen das Judentum wurde durch örtliche Maßnahmen und Anordnungen wirksam unterstützt. Da eine Reichsregelung betreffend Kennzeichnung der jüdischen Geschäfte bisher nicht erfolgt war, die besonderen Umstände es in Ostpreußen aber dringend erforderten, wurde diese in einzelnen Gebieten durch Verfügung der zuständigen Partei- und Staatspolizeistellen vorgenommen. So mußten die Inhaber der jüdischen Betriebe in Tilsit ihre Schaufenster mit einem Schild ''Jüdisches Geschäft'' versehen, da ein großer Teil der Käufer der Tilsiter Geschäfte aus dem angrenzenden Memelgebiet stammte und nicht immer über die Rassezugehörigkeit des Firmeninhabers orientiert war. Ein großer Erfolg war die Schließung der Allensteiner jüdischen Geschäfte durch die Stapostelle Allenstein wegen des vermutlichen Beitrages der Allensteiner Juden zur Greuelpropaganda .

Diese Maßnahme wurde durch die Arbeit der Partei im Regierungsbezirk Allenstein so wirksam unterstützt, daß hier die Zahl der jüdischen Geschäfte im September nur noch neun betrug. Auch im Regierungsbezirk Marienwerder wurden die Juden teilweise veranlaßt, ihre Betriebe als jüdisch zu kennzeichnen. Organisierte Boykottmaßnahmen sowie die Räumung der von Juden bewohnten Wohnungen trugen dazu bei, daß gerade in diesem Teil der Provinz der jüdische Einfluß noch vor der Aktion gegen die Juden im November weitgehendst eingedämmt war.

Es muß betont werden, daß die Arbeit der Partei vielfach unter der Instinktlosigkeit der Bevölkerung, insbesondere in den ländlichen Kreisen, erschwert wurde. So mußten noch in der ersten Hälfte des Jahres jüdische Betriebe festgestellt werden, deren Umsätze sich gegenüber denen vor der Machtübernahme nicht verringert hatten. Auch die jüdischen Viehhändler erzielten noch beachtliche Umsätze.

Trotzdem der größte Teil der ostpreußischen Judenschaft die Lage allmählich als hoffnungslos ansah, gab es doch immer wieder treibende Kräfte, die in rein assimilatorischem Sinne wirkten. So wurde immer wieder vor einer Zersplitterung der Kräfte gewarnt. Gerade in dem engen Zusammenhalt der Juden und in der Vertiefung in die Glaubenslehren der Väter erblickte man die Faktoren, die geeignet waren, das Judentum möglichst stark zu erhalten und die Widerstände möglichst wenig fühlbar und wirksam werden zu lassen. Der Provinzialverband der Synagogengemeinden sorgte durch Zusammenlegung derjenigen Gemeinden, die ihre Kultstätte verkaufen mußten, dafür, daß kein Jude ohne seelsorgerische Betreuung blieb. Die althergebrachte Form des Gottesdienstes wurde, solange es die Mittel irgend erlaubten, erhalten und der uralte Streit zwischen der orthodoxen und liberalen Gemeinde in Königsberg wurde zu Beginn des Jahres beigelegt. Auch der Jüdische Kulturbund hat viel zur Förderung des Zusammenhalts unter den Juden beigetragen. Da die Nichtarier praktisch von jeder deutschen Kulturveranstaltung ausgeschlossen waren, fanden die Veranstaltungen dieser Organisation stets großen Anklang. Der Jüdische Kulturbund war zahlenmäßig die stärkste jüdische Organisation und scheute keine Mühe, um seinen Mitgliederkreis auch weiterhin zu vergrößern. Bei jeder Gelegenheit wurde zum Ausdruck gebracht, wie sehr eine Entspannung von den Sorgen des Alltags den Menschen kräftigen könne und wie wichtig dieses gerade für den jüdischen Menschen sei. Um die Kosten für die Veranstaltungen möglichst herabzusetzen, fand ein Teil der Konzerte in der Synagoge stat. So war es möglich, daß die Mitglieder neben ihrem regelmäßigen Monatsbeitrag beim Besuch der Kulturabende keinerlei Unkosten hatten.

Neben dieser geistigen Förderung wurde auch die materielle Seite des Lebens nicht vergessen. Durch die Jüdische Winterhilfe, durch die Hilfsfonds der Gemeinden, durch Volksküchen und Schülerspeisung wurde soweit als möglich versucht, die Not zu lindern. Für die Sicherung des jüdischen Besitzes sorgte der CV , der regelmäßige Sprechstunden eingerichtet hatte, in denen unentgeltlich Rat erteilt wurde.

Besondere Anstrengungen machte das Judentum auf dem Gebiet der Jugendpflege. Gerade von dieser Seite her drohte ihm eine besondere Gefahr, denn es hatte sich gezeigt, daß die Juden Ostpreußens infolge des bedeutenden Geburtenunterschusses und durch Abwanderung der jüngeren Jahrgänge der Vergreisung ausgesetzt war. So wurden die Kinder der minderbemittelten Eltern in den Sommermonaten täglich versammelt und damit dem ewigen Einerlei der häuslichen Umgebung und dem Mangel an Spielgelegenheit entzogen. Den Zentralpunkt der Erziehung bildete die Jüdische Schule in Königsberg. Sie umfaßte im vergangenen Jahre durchschnittlich 170 Schulkinder und sechs Lehrkräfte. Die Schüler durchliefen in acht Schuljahren fünf Klassen. Für die Erhaltung der Schule haben die Synagogengemeinden bedeutende Beträge ausgesetzt. Außerdem war zu diesem Zweck ein Schulverein gegründet worden. Soweit als möglich wurden die jüdischen Schüler der deutschen Schulen diesem Schulinstitut überwiesen. Um den Schülern aus der Provinz den Besuch zu ermöglichen, wurden kostenlose oder im Preis ermäßigte Schülerspeisungen durchgeführt. Durch einen regelmäßigen Sportbetrieb im Sommer und Winter wurde versucht, die Kinder gesundheitlich zu kräftigen. Die Jugendorganisationen , soweit sie körperliche Ertüchtigung ihrer Mitglieder bevorzugten, waren die einzigen, die ihren Betrieb uneingeschränkt aufrechterhielten. Allgemein wurde von ihnen betont, daß sie ihre Aufgabe darin sähen, ihre Mitglieder für die schweren Aufgaben, die ihnen in der Fremde bevorständen, zu kräftigen und widerstandsfähig zu machen. Trotzdem wurden Auswanderungsfragen selbst bei den zionistischen Gruppen nicht erwähnt. Den Sportorganisationen in Königsberg stand ein eigener Sportplatz zur Verfügung, der viel benutzt wurde. Durch Wettkämpfe mit auswärtigen Sportvereinigungen (Danzig) wurde für die Abwechslung gesorgt. Um den vielseitigen Veranlagungen Rechnung zu tragen, waren die Vereine in Bezug auf die Sportarten weitgehend ausgebaut. Sogar Schachabteilungen waren ihnen angeschlossen. Ebenso bestand ein selbständiger Ruderklub. Die Werbung unter den Nichtmitgliedern wurde intensiv betrieben.

So wurde versucht, den Juden durch Ablenkung, Hilfsmaßnahmen und Erziehung in jüdischer Umgebung das Leben im Rahmen des gesetzlich Erlaubten und der zur Verfügung stehenden Mittel erträglich zu gestalten. Daß diese Bestrebungen nicht ausreichten, war letzten Endes nicht Schuld der Leiter dieser Einrichtungen.

Trotz scharfer gesetzlicher Ahndung derartiger Verbrechen haben im Berichtsjahr Juden mehrfach gewagt, gegen die Gesetzgebung zu verstoßen. So wurden gegen Ende des Jahres in Elbing vier Juden verhaftet, weil sie in ihrer Wohnung zusammen mit ehemaligen Kommunisten den Moskauer Sender abgehört haben. Vergehen gegen das Blutschutzgesetz kamen in neun Fällen zur Aburteilung. Eine ganze Anzahl von Straftaten dieser Art wurden im Zusammenhang mit der Vergeltungsaktion gegen die Juden im November entdeckt.

Bereits im Laufe des Jahres konnte der Eindruck gewonnen werden, daß die Bestrebungen zur restlosen Ausschaltung des jüdischen Einflusses in Ostpreußen in absehbarer Zeit den Enderfolg bringen müßten. Die Maßnahmen gegen die Juden im November haben diese Bestrebungen naturgemäß beschleunigt. Sie waren andererseits aber auch notwendig, denn erst durch sie wurde dem Judentum der organisatorische Rückhalt genommen. Seit dieser Zeit bestehen in Ostpreußen nur noch die größeren Synagogengemeinden, die sich in ihrer Tätigkeit auf die Wohlfahrtspflege beschränken. So übernahm die Gemeinde in Königsberg die gesamte Betreuung der bis dahin vom Wohlfahrtsamt unterstützten Juden. Infolgedessen hat Königsberg einen recht starken Zuzug von Juden zu verzeichnen, die aus den Landgemeinden zuziehen, um sich die Bittgänge zu den öffentlichen Dienststellen ihrer Heimatorte zu ersparen. Ferner ist die Jüdische Schule wieder eröffnet, um alle die jüdischen Schüler, die bisher deutsche Schulen besucht haben, aufzufangen. Von großer Bedeutung ist gerade jetzt die Tätigkeit der Auswanderungsberatungsstelle des Hilfsvereins der Juden, die in ihrer Arbeit von den maßgeblichen Stellen weitgehend unterstützt wird. Der Andrang zur Auswanderung ist zur Zeit sehr groß, doch sind auch die Schwierigkeiten gewachsen, so daß die Zahl der tatsächlich Abgewanderten noch nicht im richtigen Verhältnis zum Auswanderungswillen steht.

Die jüdischen Betriebe, soweit sie sich im Besitz von Juden mit deutscher Staatsangehörigkeit befanden, sind seit November restlos liquidiert oder arisiert bezw. unter Verwaltung von Treuhändern. Eine Reihe von Verkaufsverträgen konnte bisher noch nicht genehmigt werden, da die Ausführungsbestimmungen zu der Verordnung vom 3.12.38 noch fehlen. Daher mußten verschiedene Juden, die sich der Staatspolizei gegenüber zur Einhaltung eines ihnen gestellten Auswanderungstermines verpflichtet hatten, um Fristverlängerung einkommen.

Das Fazit des Jahres zeigt eine deutliche Trennung im Gang der Ereignisse:

Die Monate Januar bis Oktober brachten unter der intensiven Arbeit aller beteiligten Stellen ein langsames, aber zielsicheres Zurückdrängen des jüdischen Einflusses, sie zeigten aber auch, daß die Juden nicht gewillt waren, ohne jede Gegenwehr zu weichen. Die Novemberaktion brachte dann die schlagartige Lähmung der jüdischen Kraft und die Bereinigung des letzten Einflußbereiches der Juden, der Wirtschaft.

 

Danzig

Im Verlaufe des Jahres 1938 hat die Entwicklung der Judenfrage in Danzig mit der Einführung der Nürnberger Gesetze eine entscheidende Wendung genommen. Damit steht nunmehr das Judentum in Danzig unter den gleichen Lebensbedingungen wie in Deutschland. Gemäß der besonderen staatsrechtlichen Stellung des Freistaates mußte die Entwicklung bis zu diesem Wendepunkt eine langsamere sein als im Reich. Es steht aber außer Frage, daß dieser Erfolg nur möglich war durch den ungeheuren Prestigegewinn des Deutschen Reiches, den die außenpolitischen Taten des Führers im Jahre 1938 brachten.

Nachdem der Nationalsozialismus im Jahre 1937 die Einheitsfront aller Deutschen in Danzig durch Zerschlagung der gegnerischen Parteien geschaffen hatte, wurde als nächstes innerpolitisches Ziel die Lösung der Judenfrage durch den Gauleiter angekündigt und alsbald energisch in Angriff genommen. Die in diesem Zusammenhang stattgefundenen antisemitischen Demonstrationen schreckten das Judentum aus seiner abwartenden und lethargischen Ruhe auf. Bisher hatten die Führer der Danziger Judenschaft die innere Kraft des Nationalsozialismus bedeutend unterschätzt. Außerdem hatten sie immer gehofft, daß im Falle der Gefahr die Garantiemächte des Danzig-Statutes und der Völkerbund sich für sie einsetzen würden. So richtete in jenen kritischen Tagen das Executiv-Komitee des Jüdischen Weltkongresses ein Protesttelegramm an den Völkerbund in Genf mit dem Ersuchen, das Dreierkomitee des Danzig-Statutes zur Prüfung der Judenverfolgungen in Danzig einzuberufen. Die westlichen Mächte hatten aber zu diesem Zeitpunkt bereits so viele eigene Sorgen, daß sie sich um das Schicksal der 12.000 Danziger Juden nicht im geringsten kümmern konnten oder wollten. Aus der Erkenntnis heraus, daß von dieser Seite keine Hilfe zu erwarten sei, begann das Danziger Judentum seine organisatorische Gestaltung auf den sich ankündigenden Kampf abzustellen. Als Träger der gesamtjüdischen Verantwortung kristallisiert sich mit Beginn des Jahres 1938 in immer stärkerem Maße die Synagogengemeinde und ihr Vorstand heraus. Das Gefühl für das gemeinsame Schicksal beendigte wenigstens nach außen hin Zwietracht und Rivalität zwischen den einzelnen jüdisch-politischen Gruppen. Dieses offenbarte am eindringlichsten der einmütige Entschluß, bei den Wahlen zu den Gemeindevertretungen der Synagogen in Danzig und Zoppot im Frühjahr 1938 Einheitslisten aufzustellen.

Die Nervosität der Juden zu Beginn des Jahres 1938 verlor ihre Grundlage, als die bereits zum 30. Januar erwartete Einführung der Nürnberger Gesetze nicht bekanntgegeben wurde. Auch aus der Führerrede vom 20.2., in der das gute Verhältnis des Reiches zu Polen und die Stabilität der Danziger Verhältnisse erwähnt wurde, versuchten die Juden eine Garantie für den bisherigen Zustand herauszuhören. Es ist bezeichnend, daß in dieser Zeit von seiten der Vertretung des jüdischen Kleinhandels und Gewerbes der Versuch gemacht wurde, Polen für den Schutz des jüdischen Handels, der sich in Danzig zu einem großen Teil in den Händen polnischer Juden befand, einzuspannen. Verschiedentlich haben diese Bemühungen auch zu Teilerfolgen geführt, indem die Diplomatische Vertretung der Republik Polen einzelne ihrer Staatsangehörigen in ihren Schutz nahm. Zu allgemeinen diplomatischen Vorstellungen kam es jedoch nicht.

Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich und das Schicksal der Juden in der Ostmark ließen das Interesse des Weltjudentums an den Vorgängen in Danzig, das bis dahin sehr rege war, zunächst in den Hintergrund treten. In den jüdischen Kreisen Danzigs wurden die Ereignisse jedoch als warnendes Vorzeichen angesehen.

Bei der Zusammenballung der Danziger Judenschaft in den beiden Groß-Siedlungen Danzig und Zoppot war es selbstverständlich, daß sich die Danziger Synagogengemeinde zur Spitzenorganisation aller jüdischen Vereinigungen und darüberhinaus zur rechtlichen und tatsächlichen Vertretung aller im Danziger Freistaatgebiet lebenden Glaubensjuden entwickelte. Ihre Funktion entspricht für Danzig etwa der der Reichsvertretung der Juden in Deutschland . Dieser äußeren Einheitsfront steht ein vielfältig gegliedertes jüdisch-politisches Leben gegenüber. Aber auch die kulturellen Unterschiede im Danziger Judentum waren und sind grundlegend und bestimmten von vorneherein die gesamte Arbeit der Gemeindevertretung. Zwei Gruppen, die zahlenmäßig lange Zeit hindurch gleich stark waren, stehen sich in dieser Hinsicht gegenüber. Die erste Gruppe ist das in Danzig alt-eingesessene Judentum, das in seiner Lebensform dem Kulturkreis der Juden in Deutschland angehört. Seine Vertreter in Danzig sind die jüdische Akademiker, Angehörige des Kaufmannstandes und des Mittelstandes. In jüdisch-politischer Hinsicht standen diese Juden auf dem Boden der Assimilation . Ihre Führer haben von jeher in der Synagogengemeinde und ihren Ausschüssen eine führende Rolle gespielt und sich erst gegen Ende des Berichtsjahres aus dieser Position verdrängen lassen. Die zweite Gruppe ist die Schicht des in den letzten Jahren aus Polen nach Danzig zugewanderten Ostjudentums . Diese setzt sich in der Hauptsache aus Händlern, kleinen Gewerbetreibenden und Angestellten sowie einer Oberschicht von Großhändlern, die eng mit dem polnischen Außenhandel verquickt sind, zusammen. Das Vorhandensein dieser ostjüdischen Gruppe, deren Kriminalität stets besonders hoch war und die sogar ein eigenes Proletariat bildete, stellte daher für die Leitung der Synagogengemeinde ein sehr ernstes Problem dar. Aus einer gewissen Kurzsichtigkeit heraus glaubten die Führer des Danziger Judentums die Maßnahmen von Partei und Senat gegen die jüdische Gemeinschaft lediglich auf diese unbequemen Elemente zurückführen zu müssen. Die Bereinigung der Gemeinde von diesen sie belastenden Rassegenossen wurde dann auch als vordringlich angesehen, als sich der ehemalige Senatsrat Berent zusammen mit anderen prominenten Mitgliedern der Gemeindevertretung nach Paris und London begab, um bei den Zentralstellen der jüdischen Hilfsorganisationen wegen finanzieller Unterstützung der Danziger Juden vorstellig zu werden. Bei diesen Verhandlungen wurde erreicht, daß 1) fortan die jüdischen Emigranten aus Danzig genau so bevorzugt behandelt wurden wie diese aus dem Reich und 2) daß das Weltjudentum durch seine Hilfsorganisationen der Danziger Gemeinde laufend größere Geldbeträge zur Förderung der Auswanderung zur Verfügung stellt. Mit Hilfe dieser Gelder begann man nun die Ostjuden abzuschieben, ohne der Frage einer allgemeinen Auswanderung und ihrer Förderung zunächst näherzutreten. Der Rücktransport der polnischen Juden erfolgte in der Form, daß den dazu bereiten Juden eine Anweisung in Höhe von 3-5.000 Zloty (je nach Größe der Familie) an die jüdischen Hilfsorganisationen ausgehändigt wurden, die jenen die Gründung einer Existenz ermöglichen sollte.

Die Frage der Übersee-Wanderung überließ die Synagogengemeinde dagegen völlig dem Hilfsverein für jüdische Emigranten. Diese einseitige Förderung der Auswanderung löste vielfach Widerstand aus. Besonders aus den Kreisen der Zionistischen Organisation wurde die Forderung nach einer geschlossenen Gruppensiedlung der Danziger Juden in Palästina erhoben. Als der Vertreter der Neuzionistischen Organisation , Segal, im März 1938 mit einem derartigen Plan an die Synagogengemeinde herantrat und Verhandlungsvollmacht mit den einschlägigen staatlichen Stellen, zu denen er gute Beziehungen hergestellt hatte, forderte, wurde ihm dieses mit der Begründung verweigert, daß die Gemeinde sich nicht mit der Verantwortung für das Schicksal einer solchen Gruppensiedlung belasten könne. In Wirklichkeit aber kam hier lediglich die assimilatorische Einstellung des Gemeindevorstandes zum Ausdruck. Aus seiner Grundhaltung heraus entschloß sich der Gemeindevorstand, alles zu tun, was die wirtschaftliche Position des Danziger Judentums stützen konnte. So wurde im Februar 1938 eine besondere Kommission für Wirtschaftshilfe gegründet, die aus Geldern der Gemeinde und den Beihilfen des internationalen Judentums eine Stützungsaktion des jüdischen Kleinhandels und Gewerbes durchführen sollte. Diese Unterstützungsaktion wurde in enger Zusammenarbeit mit dem ''Verband selbständiger jüdischer Gewerbetreibender und Handwerker in der Freien Stadt Danzig'' durchgeführt. Bis zu ihrer Liquidation im Mai 1938 übernahm dabei die ''Jewish Public-Bank'' die bankmäßige Abwicklung dieser Kreditgeschäfte. An ihre Stelle trat dann die jüdische Leihkasse ''Gmilas Chesed'', die dem Verband der jüdischen Gewerbetreibenden angeschlossen ist. Eine weitere Ausgestaltung der zentralen Stellung der Synagogengemeinde bedeutete die Gründung eines Schiedsgerichtes bei der Synagogengemeinde im Mai 1938. Nach dem Vorbild der mittelalterlichen Rabbinergerichte sollten Streitigkeiten zwischen Juden nicht mehr vor den staatlichen Gerichten beigelegt werden, sondern durch Urteilsspruch dieses Schiedsgerichtes ihre Erledigung finden.

So war nach Ansicht der führenden Juden in Danzig alles geschehen, um der jüdischen Gemeinschaft den Rückhalt für ein weiteres Ausharren zu geben. Die Nürnberger Gesetze waren bis Mitte 1938 immer noch nicht eingeführt, aber hin und wieder, vor allem in den Zeiten der außenpolitischen Hochspannung, tauchte das Gerücht von bevorstehenden neuen judenfeindlichen Maßnahmen des Danziger Senats in den Kreisen des Danziger Judentums und in der Auslandspresse auf. Die dadurch entstehende Unsicherheit des jüdischen Schicksals in Danzig und das Vorgehen von Partei- und Staatsstellen, die durch Ausschluß des Judentums aus dem öffentlichen Leben und einer immer wirksamer werdenden Boykottbewegung gegen den jüdischen Handel an den Lebensnerv des Danziger Judentums griffen, führte zu einer langsamen aber stetigen Abwanderung des wohlhabenden jüdischen Bevölkerungsanteils. Damit wurden naturgemäß auch die Einnahmen der Synagogengemeinde aus dem Aufkommen der Synagogensteuer von Monat zu Monat geringer und auch die großen freiwilligen Spenden blieben mit der Zeit ganz aus. Die Stimmung innerhalb der Danziger Judenschaft sank daher von Monat zu Monat immer tiefer. Das Gefühl der allgemeinen Deprimierung ergriff allmählich auch die unentwegten Verfechter der assimilatorischen Idee und so verließ ein prominenter Jude nach dem anderen Danzig. Fast alle Leiter der jüdischen Organisationen einschließlich der leitenden Funktionäre der Synagogengemeinde ließen in den Sommer- und Herbstmonaten ihre Ämter im Stich und emigrierten. Der Ausfall der mit den jüdischen Verhältnissen langjährig vertrauten Führerschicht, wirkte naturgemäß auf die Arbeit der Organisationen äußerst lähmend. Nach der üblichen Sommerpause hat keiner der früher so zahlreichen jüdischen Verbände seine Arbeit im gewohnten Umfange wieder aufgenommen. Die einzige Frage, die in diesen Monaten im Danziger Judentum zur Diskussion stand, war das Problem der Auswanderung, ohne daß infolge des Versagens und der bewußten Obstruktion der Synagogengemeinde für die breiten Schichten des besitzlosen Danziger Judentums ein Ausweg sichtbar wurde. Die Hoffnung, die gerade in diesen Kreisen auf die Ergebnisse der Flüchtlingskonferenz von Evian im August 1938 gesetzt wurde, ging ebenfalls nicht in Erfüllung. Im Gegenteil sperrten im September und Oktober eine große Anzahl europäischer und überseeischer Staaten ihre Grenzen gegenüber den jüdischen Emigranten oder setzten die Einwanderungsquoten herab. Die Zeiten der europäischen Spannung im September und Oktober 1938 erfüllten das Judentum mit neuer Hoffnung und starker Erwartung. Man hoffte auch in den Kreisen des Danziger Judentums, daß die Achsenmächte eine diplomatische Niederlage erleiden würden und daß dadurch das Schicksal der deutschen und italienischen Judenheit eine Wendung erfahren könnte. Die Möglichkeit eines europäischen Krieges wurde von den Danziger Juden, die geschäftliche und persönliche Verbindungen nach London und Paris besitzen, im allgemeinen zurückgewiesen. Im Falle eines europäischen Konfliktes war man in diesen Kreisen aber überzeugt, daß die Vereinigten Staaten von Nordamerika sofort auf die Seite der westlichen Demokratien treten würden. Das Ergebnis der Münchener Besprechungen war eine umso größere Enttäuschung für das Judentum.

Wenn auch die in Danzig wohnenden polnischen Juden von der Ausweisungsaktion der deutschen Regierung nicht betroffen wurden, da der Senat sich dem Vorgehen des Reiches aufgrund der besonderen Danziger Verhältnisse nicht anschloß, machten diese Vorgänge doch einen tiefen Eindruck auf das Danziger Judentum. Die polnische diplomatische Vertretung in Danzig war dagegen dazu übergegangen, einzelne Juden, die ihr lästig waren oder sich der Wehrpflicht entzogen hatten, die Pässe abzunehmen. In immer stärkerem Maße hatte sich das Gefühl der Gleichstellung mit den Juden im Reich bei den Danziger Juden durchgesetzt und die Stimmen, die noch zu Beginn des Jahres 1938 von einer Sonderstellung des Judentums in Danzig im Herrschaftsbereich des Nationalsozialismus sprachen, sind längst verstummt.

Der jüdische Mord an dem Gesandtschaftsrat vom Rath in Paris und die daraufhin im Reich einsetzenden Vergeltungsaktionen brachten auch in Danzig eine Klarstellung des Verhältnisses der Juden zum Danziger Staat. Die Vergeltungsaktionen setzten bedauerlicherweise erst später als im Reich ein. Als im Reich schon alle Maßnahmen abgeschlossen waren, begannen in der Zeit vom 11.-14.11.38 einzelne Ausschreitungen, die infolge ihrer Planlosigkeit nur zu wirtschaftlichen Schädigungen einzelner Juden und, zum Teil, wirtschaftlicher Belange des Danziger Staates führten, ohne das Judentum in seiner Gesamtheit zu treffen. Lediglich die Synagoge in Zoppot wurde durch Brand vernichtet, während alle übrigen jüdischen Versammlungsräume und die Büros der Organisationen unangetastet blieben. Die wirtschaftlichen Bestimmungen, die im Reichsgebiet die Ausschaltung des jüdischen Einflusses aus der Wirtschaft bezwecken, wurden für Danzig nicht übernommen, dagegen am 23.11. die Nürnberger Gesetze verkündet. Es ist hierbei zu erwähnen, daß schon im September/Oktober die Danziger Polizei durch Verhängung von Schutzhaft gegen jüdische Rasseschänder vorgegangen war. Um eine Massenflucht des jüdischen Kapitals aus Danzig infolge dieser Gesetze zu verhindern, wurde am 29.11.38 die Sperrung aller jüdischer Bankkonten im Rahmen der Danziger Devisengesetzgebung verfügt. Der Einführung der Nürnberger Gesetze war die Verankerung des Arierprinzips im Danziger Beamtengesetz durch Verordnung vom 2.11. vorausgegangen, während eine Verordnung über den Verlust der Danziger Staatsangehörigkeit vom 11.11. die Möglichkeit der Ausbürgerung jüdischer Emigranten gibt. Hervorzuheben ist, daß die Danziger Fassung der Blutschutzgesetze sich auch auf die im Gebiet der Freien Stadt wohnenden Polen bezieht.

Die Wirkung der Judenaktion und der Erlaß der Nürnberger Gesetze waren von durchschlagendem Eindruck auf das Danziger Judentum. Nachdem bereits im Oktober der bisherige Vorsitzende der Synagogengemeinde, Berent, Danzig verlassen hatte und nach London gegangen war, trat nun auch sein Nachfolger, Rechtsanwalt Rosenbaum, von seinem Amt zurück und der Vorstand der Synagogengemeinde wurde von Juden gebildet, die entschlossen sind, durch schnelle und planmäßige Auswanderung in Form einer geschlossenen Gruppensiedlung in Palästina die jüdische Gemeinschaft in Danzig zu liquidieren. An die Spitze des Gemeindevorstandes traten zwei Zionisten: der Rechtsanwalt Lewy als Vertreter der ZO und Dr. med. Itzig als Vertreter der NZO. Itzig selbst ist nur das Werkzeug in der Hand des einfluß- und verbindungsreichen Juden Segal. In einer Massenkundgebung in der großen Synagoge am 17.12.38, die von ca. 1.500 Personen besucht war, wurde der einstimmige Beschluß gefaßt, durch geschlossene und möglichst schnelle Auswanderung das jüdische Problem in Danzig zu lösen. Segal, Itzig und Lewy haben sich im Anschluß an diese Resolution nach London und Palästina begeben, um durch Verhandlungen mit der englischen Regierung und den Zionistischen Weltorganisationen die Frage der Unterbringung der Einwanderer und der Finanzierung des Transportes zu lösen. In einem Artikel vom 27.12.38 nahm die ''Times'' zu diesem Emigrationsplan der Danziger Juden Stellung und betonte, daß die englische Regierung bisher offiziell noch keine Kenntnis von diesem Projekt habe und es unwahrscheinlich sei, daß die Danziger Juden in einer Gesamtzahl von etwa 5.000 Personen die Einwanderungserlaubnis nach Palästina erhalten werden. Trotzdem haben Segal und seine Beauftragten an diesem Plan festgehalten und sind entschlossen, notfalls die Einwanderer mit illegalen Mitteln nach Palästina hineinzubringen. Zur Aufbringung der notwendigen Mittel für die Passage hat sich die Gemeinde entschlossen, ihren kulturhistorisch außerordentlich wertvollen Synagogenschatz ins Ausland zu verkaufen. Zur Durchführung dieses großen Auswanderungsplanes ersuchte der Synagogenvorstand die Danziger Regierung die diesen Plan billigt, um Einstellung bezw. Aussetzung aller antijüdischen Maßnahmen auf wirtschaftlichem Gebiet, die den Juden die Abwicklung ihres Besitzes unnötig erschweren.

Die tatsächlich Durchführung des Segalschen Projektes würde einen wesentlichen Schritt zur Lösung der Judenfrage in Danzig bedeuten, obgleich immer noch etwa 2.000 Juden in Danzig verbleiben werden, deren Aufenthalt aus wirtschaftlichen Gründen nicht zu vermeiden sein wird.

Die zahlenmäßige Entwicklung des Danziger Judentums läßt sich infolge der Tatsache, daß Danzig häufig als Durchgangsstation für jüdische Auswanderer benutzt wird, nur ungenau verfolgen. Die Angaben der Synagogengemeinde müssen als bewußt zu niedrig gehalten angesehen werden. Am 1.12.37 waren in Danzig allein 8.087 Juden fremder Staatsangehörigkeit gemeldet, sodaß die Zahl von 9-10.000 Juden in Danzig, mit der die Gemeinde immer operiert, unmöglich zutreffen kann. Man kann vielmehr mit etwa 12.000 Juden zu Beginn des Jahres 1938 rechnen. Die Statistik des Hilfsvereins für jüdische Emigranten für die Zeit vom 1. Januar bis 1. Dezember 1938 gibt die Zahl von 1.778 Auswanderern an. Diese Angaben stützen sich auf die listenmäßig erfaßten Fälle des Vereins und die Angaben der Synagogengemeinde. Von diesen 1.778 Auswanderern gingen 1.215 nach Polen zurück, während 14 Juden in das Gebiet des Deutschen Reiches zurückkehrten. Die Monate der größten Auswanderungszahlen waren Februar mit 193, März mit 179 und November mit 403 Personen. Nimmt man für Dezember etwa die gleiche Zahl wie für November an, so kommt man auf etwa 2.000-2.200 Personen, die von den jüdischen Organisationen registriert sind. In Wirklichkeit wird die Zahl aber etwa bei 3.000 Emigranten liegen, da viele von ihnen wirtschaftlich so unabhängig waren, daß sie eine Beratung oder Förderung von seiten der Hilfsorganisationen nicht benötigten. Der Zuzug aus Polen, Sudetendeutschland und Österreich hat aber während des ganzen Jahres nicht aufgehört, wenngleich die Zahl dieser Einwanderer 500 nicht überschreiten dürfte. Die vorliegenden Auswanderungszahlen werden ergänzt durch die Tatsache, daß am 10.12.38 noch 5.754 Juden ausländischer Staatsangehörigkeit gemeldet waren. Somit ist eine Verminderung von 2.333 Juden fremder Staatsangehörigkeit in Danzig eingetreten. Die vorliegenden Zahlen ergeben als kein völlig klares Bild über den Stand der jüdischen Bevölkerung am Ende des Jahres 1938.

Die Förderung der jüdischen Auswanderung aus Danzig lag wie bereits erwähnt mit Ausnahme der Rückwanderung nach Polen, die von der Synagogengemeinde organisiert wurde, in den Händen des ''Hilfsvereins für jüdische Emigranten''. Dieser Verein, der eine Unterorganisation der Emigrantenzentrale ''Hicem '' in Paris ist, hat außer Fürsorge für die Auswanderer aus Danzig noch die Betreuung der Juden, die über Gdingen aus Polen auswandern, zur Aufgabe. Als nach den ersten judenfeindlichen Ausschreitungen im Oktober 1938 die Auswanderungsfrage in Danzig mit einem Schlage brennend wurde, zeigte sich der Hilfsverein dem plötzlich einsetzenden Ansturm nicht gewachsen. Aus diesem Grunde entsandte der ''Hicem'' für mehrere Monate einen besonderen Auswanderungsberater nach Danzig. Wie stark der Andrang der Juden beim Hilfsverein war, zeigen deutlich die folgenden Zahlen: von April bis Oktober 1938 ließen sich 132 Auswanderungswillige registrieren, November/Dezember 1938 waren es 565, im Januar 38 meldeten sich 515, während im Februar und März die Zahlen auf 1.972 [sic] bezw. 194 absanken. In den folgenden Monaten hielten sie sich durchschnittlich auf der Höhe der zuletzt genannten Zahlen. Die bevorzugten Auswanderungsländer der Danziger Juden waren die USA und südamerikanische Staaten. Die meisten Auswanderer nach den USA blieben in den Oststaaten sitzen, so vor allen Dingen in der Stadt New York. Die Danziger Juden, die in New York Aufnahme gefunden hatten, beschlossen im Oktober 1938 die Gründung einer Danzig-amerikanischen jüdischen Gesellschaft, die unter der Leitung des früheren Syndikus der Vereinigung jüdischer Arbeitnehmer in Danzig Dr. Lepehn steht. Die südamerikanische Auswanderung wurde besonders von den assimilatorischen Verbänden betrieben. So entsandte der Centralverein der Juden Erich Broh nach Brasilien, der eine Reihe von jüngeren Juden in geeignete Arbeitsplätze vermittelte. Die Auswanderung nach Palästina war in dem abgelaufenen Jahr fast ohne Bedeutung, da auf Grund der politischen Verhältnisse und der Beschränkung der Einwanderungsquote nur in seltenen Fällen eine Übersiedlung möglich war.

Das organisatorische Leben des Danziger Judentums stand restlos unter dem Eindruck des politischen und wirtschaftlichen Geschehens. Während zu Beginn des Jahres 1938 noch eine rege und vielseitige Vereinstätigkeit herrschte, hat dieses Ende 1938 mit Ausnahme der Organisationen, die sich mit der Vorbereitung der Auswanderung beschäftigen, aufgehört. Als Träger der Lebensinteressen der Danziger Juden wirkten außer der Synagogengemeinde und dem Hilfsverein, deren Tätigkeit ausführlich aufgezeigt wurde, besonders der Verband jüdischer Gewerbetreibender und die Vereinigung jüdischer Arbeitnehmer in Danzig. Der Verband jüdischer Gewerbetreibender umfaßte zu Beginn des Jahres 1938 in seinen drei Abteilungen, der Gruppe A Vereinigung Danziger jüdischer Gewerbetreibender und Handwerker, Gruppe B Verein der Kaufleute und Industrieller polnischer Juden und Gruppe C Vereinigung der Handwerker und Gewerbetreibender polnischer Juden etwa 600 Mitglieder. Die Mitgliederzahl sank im Laufe des Berichtjahres um etwa die Hälfte. Die Haupttätigkeit des Verbandes beschränkte sich auf die Vermittlungen von Darlehen an seine Mitglieder, die mit Unterstützung der Synagogengemeinde von der Leihkasse Gmilas Chesed der Vereinigung ausgegeben wurden und den Zweck hatten, den jüdischen Einzelhandel zu schützen. Verschiedentlich wurde die Vereinigung im Interesse ihrer Mitglieder bei der Wirtschaftsabteilung des Danziger Senats vorstellig, um eine Aufhebung der Boykottmaßnahmen der NSDAP zu erwirken. Auch die polnisch-diplomatische Vertretung wurde mehrfach zum Schutze der angeblich bedrohten polnisch-jüdischen Wirtschaftsinteressen herangezogen, allerdings ohne grundlegenden Erfolg. Die Vereinigung jüdischer Arbeitnehmer war mit 750 Mitgliedern zu Beginn des Jahres 1938 die größte jüdische Organisation. Ihr Zweck war die Weiterbildung ihrer Mitglieder im Hinblick auf eine mögliche Auswanderung. Aus diesem Grund wurden Ausbildungskurse in Radiotechnik, Tischlerei, Handelskorrespondenz, Buchhaltung, Plakatzeichnen usw. eingerichtet und daneben Sprachkurse abgehalten. Die Vereinigung vertrat daneben die Interessen ihrer Mitglieder bei Arbeitsgerichtsverhandlungen und bei der Arisierung jüdischer Firmen. Außerdem wurde ein Stellennachweis für Auslandsstellen eingerichtet. Die Umschulungskurse der Vereinigung wurden von über 200 Teilnehmern besucht. Für die politische Einstellung der Mitglieder der Vereinigung jüdischer Arbeitnehmer ist bezeichnend, daß Danziger Juden, die der Vereinigung angehört haben, ohne Aufnahmegebühr und sonstige Formalitäten in die amerikanischen Gewerkschaftsorganisationen übernommen werden. Einen besonderen Auftrieb nahm die Tätigkeit der Vereinigung unter der Leitung des reichsdeutschen Emigranten Dr. Lepehne, der allerdings Danzig im August 1938 wieder verlassen hat.

Die jüdischen Geselligkeitsvereine, vor allem die Borussia Loge des UOBB und der jüdische Club, bildeten den Mittelpunkt des geselligen Lebens der Danziger Judenschaft. Ihre Bedeutung wurde um so stärker, je mehr die Juden von der deutschen Volksgemeinschaft durch Lokalverbot usw. abgesondert wurden. Trotzdem hat sich der jüdische Geselligkeitsverein in Zoppot im Juli 1938 und die Loge des UOBB am 23. November 1938 aufgelöst. Mit der Liquidation der Borussia-Loge war die Arbeit einer der einflußreichsten jüdischen Organisationen in Danzig beendet, denn von dieser Plattform aus war jahrzehntelang das innerjüdische Leben der Danziger Judenschaft geleitet worden. Nach der Auflösung des UOBB in Deutschland im Jahre 1937 hatte sich die Borussia-Loge als Einzelmitglied der Weltorganisation in Washington angeschlossen. Auch der ostjüdische Verein in Zoppot hat seine Auflösung zu Ende des Jahres 1938 beschlossen. In den übrigen kleinen Geselligkeitsvereinen und Zirkeln herrscht nach den letzten Ereignissen kein nennenswertes Leben mehr.

In den jüdisch-politischen Vereinigungen der Assimilation war jedes Leben schon zu Beginn der Berichtszeit erstorben. Durch den Weggang des langjährigen Leiters des Centralvereins Danziger Staatsbürger jüdischen Glaubens, Dr. Hermann, hat jede Aktivität aufgehört. Die Jugendgruppe des CV, der ''Ring'', Bund jüdischer Jugend , hat im Dezember 1938 seine Auflösung vollzogen. Der ''Reichsbund jüdischer Frontsoldaten '' und seine Sportgruppe, der ''Schild '', sind nur zu Beginn des Jahres einige Male mit Veranstaltungen hervorgetreten. Da der ''Schild'' infolge seiner wenigen Mitglieder nicht in der Lage war, einen eigenen Sportbetrieb zu unterhalten, ist er mit dem zionistischen Sportverein ''Bar Kochba '' eine Trainingsgemeinschaft eingegangen. Die ''Vereinigung für das religiös-liberale Judentum '', dessen Leitung in Danzig sich in den Händen des Gemeinderabbiners Dr. Grün befindet, versuchte im April 1938 ihre Arbeit zu aktivieren. Ein Erfolg ist diesem Versuch jedoch nicht beschieden gewesen. Dr. Grün, auf dessen Veranlassung die Danziger Gruppe im Jahre 1938 der World Union for Progressive Judaism in London beitrat, ist im Mai 1938 in den engeren Vorstand der Weltunion gewählt worden.

Die jüdische Orthodoxie war in Danzig niemals von besonderer zahlenmäßiger Stärke. Durch die Auflösung des chassidischen Bethauses im November 1938 ist ihr ein weiterer Stützpunkt verloren gegangen. Nur noch in der Synagoge Mattenbuden versammeln sich um den Rabbiner Golinkin ein kleiner Kreis gesetzestreuer Juden, die der ''Agudas Jisroel '' angeschlossen sind.

Im Gegensatz dazu sind die beiden zionistischen Organisationen während des vergangenen Jahres sehr aktiv gewesen. Obgleich die alt-zionistische Organisation in ihrer Arbeit durch die unsichere Lage in Palästina und die Ungewißheit des Schicksals dieses Landes stark gehindert war, versuchte sie mit allen Mitteln ihre Anhängerschaft zu halten und zu vermehren. Dies ist ihr auch in vollem Umfange gelungen. Die Hauptarbeit konzentrierte sich besonders in den Sommermonaten auf die Vorbereitung und Durchführung der ''Jugend-Alija '', da eine Propagierung der Erwachsenenauswanderung durch die herrschende Einwanderungssperre sinnlos gewesen wäre. In den zionistischen Jugendbünden und dem Sportklub ''Bar Kochba'' herrschte ein reges Leben. Die Umschulungsarbeit des ''Hechaluz '' war besonders auf Ausbildung von Juden in Fischerei und Seefahrt gerichtet. Das Umschulungslager befand sich in dem benachbarten Gdingen. Die landwirtschaftliche Umschulung wurde durchweg in Holland, Dänemark und Polen durchgeführt.

Die Neu-zionistische Organisation hat es verstanden, eine große Anzahl der Danziger Juden in ihre Bewegung hereinzuziehen, besonders in den Kreisen des ostjüdischen Proletariats hat sie fest entschlossene und begeisterte Anhänger gefunden. Die Veranstaltungen der NZO in Danzig waren durchweg überfüllt, zumal es die eingesetzten Redner verstanden, die Massen mitzureißen. Der ''Neu-Zionistische Jugendbund ''Betar '' und der Wehrbund ''Brit Hachajal '' führten regelmäßig ihre militärische Instruktionskurse und Übungsstunden durch. Die Ausbildung für die ''Hagana'', den Wehrdienst wurde dabei von ausgebildeten jüdischen Soldaten der polnischen Armee geleitet. Auf den Kongressen der NZO in Prag und des ''Betar'' im November 1938 in Warschau waren Vertreter der Danziger Gruppe anwesend. Unter dem Hinweis auf den gemeinsamen Existenzkampf in Palästina ist in der letzten Zeit eine weitgehende Annäherung der beiden zionistischen Organisationen, die sich sonst bis aufs Messer bekämpften, erfolgt. Nach langen Jahren eines gemeinsamen Oppositionskampfes gegen die Synagogengemeinde und ihre verantwortlichen Persönlichkeiten ist es der zionistischen Bewegung im November 1938 gelungen, die Vorherrschaft in der Synagogengemeinde an sich zu nehmen. Aus diesem Grunde hat die geplante Abwanderung der Juden aus Danzig eine eindeutige Palästinaorientierung erhalten.

Das jüdisch-kulturelle Leben wurde zu Beginn des Jahres 38 vom jiddischen Theater und dem Kulturbund der Juden in Danzig bestimmt. Die Vorstellungen des jiddischen Theaters waren gut besucht und erfreuten sich im Ostjudentum einer steigenden Beliebtheit. Für 1938/39 war eine Spielzeit vorgesehen, die aber in Anbetracht der letzten politischen Ereignisse noch nicht begonnen hat. Der jüdische Kulturbund versuchte in seiner vergangenen Spielzeit besonders das deutschsprechende Danziger Judentum zu betreuen und zur Mitarbeit an seiner Organisation heranzuziehen. Durch Gastspiele bekannter jüdischer Künstler wie Alexander Kipnis, der Hamburger Kleinkunstbühne usw. wurden diese Bestrebungen erfolgreich gefördert. Durch Verhandlungen mit der Landeskulturkammer wurde der Kulturverband im September neu organisiert und als einzige kulturelle Organisation zur Betreuung der Danziger Juden vom Staate anerkannt. Die Spielzeit des Kulturbundes hat jedoch ebenfalls im Winter 1938 noch nicht eingesetzt.

Das jüdische Schulwesen in Danzig umfaßte in der Berichtszeit eine Volksschule und eine Höhere Privatschule. Durch Schaffung der jüdischen Volksschule im Jahre 1938 hatte die Schulverwaltung des Senats der Danziger Volksschulen von jüdischen Kindern gesäubert. Die Zahl der Schüler der jüdischen Volksschule ging naturgemäß mit der Auswanderung der Eltern zurück. Die jüdische Höhere Privatschule war als Auffangschule für die aus den öffentlichen Höheren Lehranstalten ausscheidenden Schüler bestimmt. Diese Funktion schien sie auch zuerst zu erfüllen, bis durch Abwanderung und das Bestreben der wohlhabenden Juden, ihre Kinder auf ausländische Schulen zu schicken, die Schülerzahl immer mehr zurückging. Die Höhere Schule wird daher im Frühjahr 1939 geschlossen werden. Die Lehrkräfte haben die Absicht, in Frankreich ein Internat für jüdische Kinder zu eröffnen.

Die wirtschaftliche Betätigung der Juden in Danzig war die schwierigste Frage, die die nationalsozialistische Staatsführung zu lösen hatte. Bei der engen Verflechtung Danziger mit polnischen Wirtschaftsinteressen und dem Überwiegen von Juden im polnischen Handel war diese Aufgabe nur mit großer Vorsicht anzufassen. Es kann jedoch festgestellt werden, daß es der Wirtschaftsabteilung des Senats gelungen ist, unter Berücksichtigung aller dieser Faktoren die Ausschaltung der Juden aus dem Danziger Handel zielbewußt vorwärtszutreiben. Besonders im Einzelhandel steht der Arisierungsprozeß am Ende des Jahres 1938 kurz vor dem Abschluß. Zur Erreichung dieses Zieles arbeitete der Staat vielfach mit den Steuer- und Devisenbehörden zusammen, die durch Vermögensbeschlagnahme die einzelnen Juden zwangen, ihren Besitz in deutsche Hände zu führen und auszuwandern. Dabei wurden durch besondere Unterstützungsmaßnahmen vielfach vorgebildete Parteigenossen in den Besitz einer selbständigen Existenz gebracht. Auch das letzte große jüdische Warenhaus , Gebr. Freymann, dessen Kapital sich im Besitz eines ausländischen Juden befand, konnte mit Hilfe eines Steuerstrafverfahrens in deutschen Besitz gebracht werden. Auf dem Gebiete des Außenhandels ist als wichtigstes Ergebnis die Überführung der jüdischen Getreideweltfirma S. Anker in den Besitz eines halbstaatlichen Konsortiums zu nennen. Dagegen wurde im Interesse der Deviseneinbringung und des deutschen Vierjahresplanes eine Reihe von jüdischen Firmen der Holz-, Pelz- und Getreidebranche, sowie eine Reihe von jüdischen Heringshändlern von irgendwelchen Zwangsmaßnahmen ausgenommen und gewissermaßen als privilegierte Juden zugelassen. Die Sonderbehandlung dieser Juden erfolgt im Einverständnis mit den zuständigen Stellen des Reiches. Eine erhebliche Erschwerung des jüdisch-polnischen Handels bildete die am 20.4.38 erfolgte Sichtvermerksperre für Juden durch das Deutsche Generalkonsulat für Reisen durch Deutschland, da damit die zuständigen Geschäftsreisen polnischer Juden nach Paris, London und Amsterdam unterbunden wurden. Bei der Ausschaltung der Juden aus dem Einzelhandel hat sich als ausgezeichnete Maßnahme die Kennzeichnung der deutschen Geschäfte durch das Abzeichen der Deutschen Arbeitsfront erwiesen, die zu Anfang des Jahres 1938 einheitlich in Danzig durchgeführt wurde. Darüberhinaus gingen fast alle deutschen Geschäfte und Gaststätten dazu über, den Juden das Betreten ihrer Geschäftsräume zu verbieten. Als Gegenaktion versuchten im Mai 1938 eine Anzahl polnischer Tuchjuden aus Lodz einen Lieferungsboykott Danziger Firmen durchzuführen. Dieser freche Boykottversuch ist aber nach kurzer Zeit an der einmütigen Haltung der deutschen Firmen gescheitert.

Die Ausschaltung der Juden aus dem Gemeinschaftsleben in Danzig ist im Jahre 1938 durch die NSDAP zielbewußt durchgeführt worden. Das Ostseebad Zoppot, das in den vergangenen Jahren eine Hochburg der Juden während der Badesaison war, hat in diesem Jahr den Juden den Aufenthalt fast unmöglich gemacht. Besonders abschreckend wirkte die Einrichtung eines eingezäunten besonderen Badeplatzes für Juden. Der dadurch entstehende Ausfall an Badegästen wurde durch KdF -Gäste und Reisende aus dem Reich wettgemacht. Aufgrund der bekannten Verordnung des Reiches über das Erlöschen der Approbationen der jüdischen Ärzte verloren alle bis dahin in Danzig noch tätigen jüdischen Ärzte die Berechtigung zur Ausübung ihrer Praxis. Um die ärztliche Versorgung der Danziger Juden zu gewährleisten wurden durch Senatsverordnung zwei Juden widerruflich zur weiteren Ausübung ihres ärztlichen Berufes zugelassen. Die Verordnung über das Ausscheiden der jüdischen Rechtsanwälte ist bis jetzt noch nicht für Danzig übernommen worden, jedoch sind nur noch sieben jüdische Anwälte und Notare in Danzig tätig. Dem Beispiel der reichsdeutschen Kinotheater die Juden vom Besuch auszuschließen, sind auch die Danziger Lichtspielhäuser gefolgt.

Die aufgezeigten Maßnahmen von Partei und Staat gegen das Judentum in Danzig haben in der Bevölkerung eine günstige Aufnahme gefunden. Die Aufklärungsarbeit der Partei hat zeitweilig, so besonders im September, gute Erfolge gehabt. Denn noch ehe man im Reich an eine Verschärfung der antijüdischen Politik ging, setzte im September/Oktober eine verstärkte Boykottaktion gegen die jüdischen Geschäfte in Danzig ein. Nur in den Kreisen der Danziger Wirtschaft und des Bürgertums wurden besonders nach der Judenaktion im November Stimmen laut, die eine Schädigung ihrer privatkapitalistischen Interessen durch ein allzu scharfes Vorgehen gegen die Juden befürchteten.

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