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Chronik und Quellen
1938
Dezember 1938

SD-Bericht aus Stettin

Am 20. Januar 1939 erstattet der SD-Oberschnitt Nord (II 112) seinen „Jahresbericht 1938“:

Im Berichtsjahr erfolgte eine vollkommene geistige Umstellung der Juden in Deutschland. Denn die Entwicklung dieses Jahres brachte selbst den hartnäckigsten Assimilanten die Erkenntnis, daß in Zukunft für die Juden kein Platz mehr in Deutschland ist. Noch am Ende des Vorjahres schienen die Verhältnisse den Juden Recht zu geben, die hofften, auch im nationalsozialistischen Deutschland eine gesicherte Existenz zu haben.

Begünstigt wurde diese Ansicht durch die verschiedenen Hindernisse, die eine restlose Lösung der Judenfrage in Deutschland unmöglich zu machen schien. Schon die Zusammensetzung des noch in Deutschland verbliebenen Judentums behinderte die Auswanderung , denn der größte Teil der für eine Umsiedlung geeigneten hatte bereits Deutschland in den Vorjahren verlassen. Zurückgeblieben waren im wesentlichen nur noch die Juden, die infolge ihres Alters, ihres Körperzustandes oder ihrer materiellen Lage nicht den strengen Bestimmungen der meisten Einwanderungsländer entsprachen. Ein weiterer Teil, die Assimilanten, waren aufgrund ihrer geistigen Haltung nicht ausgewandert. Ferner blieben noch die Kinder, die wegen ihrer Jugend für die Auswanderung noch nicht in Frage kamen.

Es verschärften alle Länder, die für die Umsiedlung in Frage kamen, in der letzten Zeit immer mehr ihre Einwanderungsbestimmungen. Die Ansprüche an körperliche Eignung, Geldmittel und Beruf wurden immer höher geschraubt. Da oft bestimmte Berufe von der Einwanderung ausgeschlossen wurden, mußten in Deutschland erst die Möglichkeiten für eine Umschulung geschaffen werden.

Das größte Hindernis war aber wohl die deutsche Devisengesetzgebung und die deutsche Devisenlage. Es konnten in vielen Fällen nicht, die als Vorzeigegeld erforderlichen Devisen zur Verfügung gestellt werden. Teilweise nahm die Bereitstellung der Mittel eine verhältnismäßig lange Zeit in Anspruch, sodaß die Auswanderung stark verzögert wurde.

Den größten Anreiz, in Deutschland zu bleiben, brachte aber die für die Juden günstige Entwicklung der wirtschaftlichen Lage. Der Kampf gegen das Judentum schien einzuschlafen, staatliche Maßnahmen erschwerten kaum das jüdische Leben. Im Gegenteil gewisse Maßnahmen des Staates - Kontingentierung - förderten ungewollt sogar die jüdische Wirtschaft.

Dieses änderte sich nun alles im Laufe des Berichtsjahres. Das Judenproblem trat wieder in den Vordergrund des allgemeinen Interesses. Die verschiedenen staatlichen Maßnahmen - Anmeldung der jüdischen Vermögen, Entzug der Wandergewerbescheine, Entzug der ärztlichen Approbation, Auflösung des jüdischen Rechtsanwaltstandes und Kennzeichnung der jüdischen Geschäfte - stoppten in diesem Jahr den Aufschwung, den die Juden im Wirtschaftsleben genommen hatten und veranlaßten sie, sich wieder energisch mit der Frage der Auswanderung zu beschäftigen. In dem Maße, in dem die Lebensmöglichkeiten für die Juden schwanden, drang die zionistische Richtung innerhalb des Judentums vor. Andererseits beschäftigten sich aber auch die Vertreter der assimilatorischen Richtung - CV und RjF - in steigendem Maße mit der Vorbereitung der Auswanderung auch der letzten Juden. Den stärksten Antrieb zu dieser Entwicklung brachte dann die Judenaktion und die sich daran anschließenden Gesetze anläßlich der Ermordung des Botschaftsrates vom Rath. Diese Bestimmungen nahmen den Juden auch die letzten Lebensmöglichkeiten und zwangen sie zur Auswanderung um jeden Preis.

Der jüdische Bevölkerungsanteil war im Bereich nur gering und ist im Laufe des Jahres weiter zurückgegangen. Der Hauptteil, etwa 50%, lebt in Stettin. Besonders stark ist der Rückgang in Mecklenburg gewesen.

Wie in den meisten Gegenden Deutschlands ist auch im Gebiet des Oberabschnittes Nord das Judentum stark überaltert. So leben z.B. in Mecklenburg kaum noch Juden, die jünger als 30 Jahre sind. Dies erklärt sich auch aus der Tatsache, daß der jüngere und aktivere Teil schon in den früheren Jahren Deutschland verlassen hat.

Die immer stärker werdende Auswanderung bedingte tief einschneidende Veränderung in der Struktur der jüdischen Gemeinden . Eine große Zahl von Gemeinden war infolge des Mitgliederschwundes nicht mehr lebensfähig. Dies führte zum Zusammenschluß der Gemeinden zu sogenannten Bezirksgemeinden. Da mit wenigen Ausnahmen nur die ärmeren Juden noch in Deutschland geblieben waren, wurde die wirtschaftliche Lage der meisten Gemeinden immer schwieriger, zumal die Wohlfahrtspflege innerhalb der Gemeinden immer größere Beträge erforderte. Dazu kam noch, daß die Gemeinden teilweise den ärmeren ihrer Mitglieder die Auswanderung ermöglichen mußten. Allerdings wurde durch den Druck dieser Verhältnisse das Zusammengehörigkeitsgefühl in nie gekannter Weise gestärkt.

Die Mehrzahl der vielen jüdischen Wohltätigkeitsvereine löste sich im Laufe des Jahres wegen des Mitgliederschwundes auf. Ihre Aufgaben übernahmen die Gemeinden und die jüdische Winterhilfe.

Das Kernproblem des jüdischen Lebens war und wird vorläufig die Frage der Auswanderung bleiben. Mit ihr beschäftigten sich sämtliche jüdische Organisationen, besonders der Hilfsverein der Juden in Deutschland . Er förderte vor allen Dingen die Auswanderung der ärmeren Juden. Besonderen Wert legten die zionistischen Verbände auf die Umschulung der Auswanderer, bevorzugt wurde dabei die Umschulung zum Siedler und Landwirt.

Entsprechend der Lage war die Stimmung zu Anfang des Jahres sehr optimistisch. Auch noch nach den ersten Maßnahmen des Staates gegen das Judentum glaubten die Juden trotz anfänglicher Nervosität nicht an den Ernst der Lage. Wohl nahm der Verkauf von jüdischen Geschäften etwas zu, aber der größte Teil wollte erst die weitere Entwicklung abwarten. Größere Unruhe rief dann die Kennzeichnung der jüdischen Geschäfte in Pommern und in der Grenzmark hervor. Während der Krisenzeit des Herbstes kamen dann wieder Hoffnungen auf, doch noch ein ruhiges Leben in Deutschland führen zu können. Umso krasser war dann der Stimmungsumschwung nach der Judenaktion. Jetzt wurde es selbst den hartnäckigsten Juden klar, daß sie in Deutschland unerwünscht seien.

Die Einstellung zur Judenfrage ließ auch in diesem Jahre bei weiten Kreisen der Bevölkerung noch viel zu wünschen übrig. Selbst wenn von denen abgesehen wird, die aus weltanschaulicher Gegnerschaft den Kampf gegen die Juden ablehnen, blieben immer noch weite Kreise, die sich im Kampf des deutschen Volkes gegen den Juden lau und gleichgültig erwiesen. Besonders die Landarbeiter kauften noch sehr viel in den jüdischen Geschäften. Da sie aber im übrigen nicht Gegner des Nationalsozialismus sind, lag hier ein Mangel an der nötigen Aufklärung vor. Selbst in der Partei und in den übrigen Organisationen scheint es teilweise an der nötigen Schulung in dieser Frage gefehlt zu haben, denn bei der Überholung jüdischer Geschäfte wurden Mitglieder aller Formationen und Organisationen als Käufer festgestellt. Unter dem Eindruck der staatlichen Maßnahmen gewann das Judenproblem im Laufe des Jahres wieder das allgemeine Interesse. Die Gesetze wurden mit großem Beifall aufgenommen. Verschiedenartig war dann die Stellung zur Judenaktion. Selbst Kreise der Partei stellten sich nicht einhellig hinter die Aktion. Man begrüßte wohl die durchgreifende Lösung der Fragen durch die auf die Aktion folgenden Gesetze, lehnt aber aus wirtschaftlichen Gründen die Zerstörung der Sachwerte ab.

Bei dieser Gelegenheit traten dann auch wieder die verschiedenen weltanschaulichen Gegner an die Öffentlichkeit. Direkte Verbindungen zum Judentum konnten aber in keinem Fall festgestellt werden. In der Ablehnung der Maßnahmen gegen die Juden waren sich alle einig, nur die Gründe mit denen diese Haltung motiviert wurde, waren verschiedene. Die Vertreter des Liberalismus verurteilten aus Gründen der Humanität und wegen des Eindruckes auf das Ausland die Geschehnisse. Eine ähnliche Einstellung zeigte die Reaktion. Die Kirchen aller Richtungen zeigten ebenfalls keinerlei Verständnis für diese Maßnahmen und verurteilten im Besonderen das Abbrennen der Synagogen. Einige Pastoren gedachten sogar in Gebeten der armen verfolgten Juden. Innerhalb des Judentums traten die kulturellen Belange im Berichtjahr in den Hintergrund. In dem ersten Teil des Jahres fanden Veranstaltungen dieser Art in Stettin und Rostock statt. An anderen Orten fehlten die Voraussetzungen dazu. Neben Lieder- und Gedichtabenden wurden religiöse Feierstunden veranstaltet. Ferner brachten einige Veranstaltungen Vorträge über die verschiedenen Fragen der Auswanderung. Im weiteren Verlauf hörte diese Betätigung des jüdischen Lebens vollständig auf.

Auf dem Gebiet des Schulwesens und der Jugendpflege haben sich die Zionisten gegenüber den Assimilanten vollständig durchgesetzt. So ist z.B. der Leiter der Stettiner jüdischen Volksschule überzeugter Zionist. Auch die nicht mehr schulpflichtige Jugend fand sich in der Hauptsache in zionistischen Organisationen zusammen.

Bei der Betrachtung des Wirtschaftslebens zeigt sich die Wandlung in der Lage des Judentums in Deutschland besonders deutlich. Zu Anfang des Jahres setzte sich die Entwicklung, die bereits schon im Vorjahre begonnen hatte, fort. Die jüdischen Betriebe nahmen in gewissen Branchen einen gewaltigen Aufschwung. Der Anlaß dazu waren die Kontigentierungsmaßnahmen, die weil sie sich auf die Zahlen des Jahres 1932 stützten, die jüdischen Geschäfte begünstigten. Durch sie wurden sogar Leute, die sonst Juden vollständig ablehnen, gezwungen, ihren Bedarf in jüdischen Geschäften zu decken, dazu kam die Instinktlosigkeit weiter Kreise, die immer noch beim Juden kauften. Eine weitere Vergrößerung des Kundenkreises brachte ferner der Einsatz der ausländischen Arbeiter, die zum größten Teil in den jüdischen Geschäften kauften. Bei dieser Entwicklung lehnten die Juden es natürlich ab, ihre Geschäfte zu verkaufen, oder sie verlangten zumindest Phantasiepreise.

Ferner erleichterten geschickte Maßnahmen der jüdischen Kaufleute ihrer arischen Kundschaft den Einkauf in ihren Geschäften. In den Verkaufsräumen traten die Juden kaum in Erscheinung, telefonische Bestellungen wurden mit Lieferwagen erledigt, die nicht wie sonst üblich den Firmennamen trugen.

In den freien Berufen dagegen war das Einkommen der Juden schon zu dieser Zeit stark zurückgegangen. Besonders die Vertreter und die Rechtsanwälte hatten starken Verluste erlitten. Die jüdischen Ärzte dagegen hatten wohl die Kassenzulassung und damit einen wesentlichen Teil ihrer Einnahmequellen verloren, aber in den meisten Fällen noch eine ausgedehnte Privatpraxis und zählten noch sehr viele Arier zu ihren Patienten. Die Entziehung der Approbationen ging trotzdem ohne Schwierigkeiten von statten, nur bei den Zahnärzten ergaben sich aus Mangel an Nachwuchs in Pommern Hemmungen bei der Reinigung dieses Berufstandes von Juden. Auch die Auflösung des jüdischen Rechtsanwaltstandes wurde allgemein begrüßt und machte keine Schwierigkeiten.

Gegen diese Entwicklung der Wirtschaft wurden in weiten Kreisen Maßnahmen des Staates verlangt, um so mehr als es zu Einzelaktionen gegen jüdische Geschäfte kam, bei denen diese durch Aufschriften gekennzeichnet wurden. Im Juli kam dann endlich die lang erwartete Regelung. Auf die Aufforderung der Staatspolizei hin, erklärten sich die jüdischen Kaufleute bereit, ihre Geschäfte zu kennzeichnen. Die Durchführung dieser Maßnahmen brachte einen vollen Erfolg. In kurzer Zeit sanken die Umsätze der jüdischen Geschäfte ganz beträchtlich. Außerdem kam die Arisierung der jüdischen Geschäfte wieder in Gang, die infolge des vorhin geschilderten Aufschwungs ins Stocken geraten war.

Endgültig wurde der jüdische Einfluß auf die Wirtschaft aber erst durch die Gesetze gebrochen, die sich an die Judenaktion anschlossen. Die Verkäufe, die sich aus der Bestimmung ergaben, daß am Ende des Jahres kein Jude mehr im Besitz eines Handels- oder Gewerbebetriebes sein durfte, wurden durch die zuständigen Behörden überwacht, nötigenfalls wurden Treuhänder eingesetzt. Konnten die Warenlager nicht restlos ausverkauft werden, so wurden sie von den betreffenden Fachhandelsgruppen übernommen und der Verwertung zugeführt.

Eine besondere Rolle spielten bei der Regelung der Judenfrage die Juden ausländischer Staatsangehörigkeit. Sie waren in hohem Grade dem Zugriff des Staates entzogen. Erst das polnische Gesetz über die befristete Dauer der Pässe polnischer Juden bot eine Handhabe, den größten Teil der zahlreichen polnischen Juden aus dem hiesigen Bereich zu entfernen. Aufgrund des Erlasses des Chefs der deutschen Polizei wurden Ende Oktober ungefähr 200 polnische Juden ausgewiesen und über die Grenze abgeschoben.

Eine klare Stellung zur Judenfrage nimmt von den benachbarten Staaten allein Polen ein, während sich die Bevölkerung der nordischen Staaten über das Bestehen der Judenfrage durchaus noch nicht im klaren ist. In Polen beginnt der Staat jetzt, mit gesetzlichen Maßnahmen die Judenfrage zu lösen, die bei dem bedeutend größeren jüdischen Bevölkerungsanteil ein schwierige Aufgabe ist.

Im Gegensatz zu Polen spielen die Juden in den nordischen Staaten bevölkerungspolitisch nur eine geringe Rolle. Umso größer ist allerdings der Einfluß, den diese wenigen Juden ausüben. Die Presse und damit die Bildung der öffentlichen Meinung liegt fast vollständig in ihrer Hand. Klar zu Tage trat die Macht des dortigen Judentums anläßlich der Judenaktion. Sie wurde von der nordischen Presse jeder Richtung einmütig abgelehnt.

Das zahlenmäßig geringe Judentum in Dänemark ist eng mit den zahlreichen deutschen Emigranten verknüpft. Auch hier haben sie sich einen starken Einfluß auf die Presse gesichert. So ist im Berichtsjahr z.B. die letzte prodeutsche Zeitung Schwedens die ''Göteborg Handels- och Sjöfarts Tiding'' in jüdische Hände übergegangen.

Trotz ihrer geringen Zahl besitzen die Juden in Norwegen den größten Einfluß. Dort haben sie bei den Parteien aller Richtung den Weg in die führenden Stellen gefunden. So ist z.B. der sozialdemokratische Außenminister Halfden Koht Jude, ebenfalls jüdischer Abstammung ist auch der konservative Hambro, der Präsident des Storting.

Als wesentlichste Aufgabe auf dem Gebiet des Judentums wird für die nächste Zeit die planmäßige Förderung der Auswanderung angesehen. Vor allem muß dafür gesorgt werden, daß nicht nur die wohlhabenden Juden Deutschland verlassen, sondern vor allen Dingen Deutschland von den zahlreichen armen Juden befreit wird. Besonders wird darauf zu achten sein, daß bei der Beschaffung der für die Auswanderung nötigen Unterlagen, die Schwierigkeiten beseitigt werden, die noch in der letzten Zeit durch die Verständnislosigkeit gewisser Behörden auftraten. Allerdings wird die endgültige Lösung der Judenfrage davon abhängig sein, ob die Staaten, die stets für die Belange der armen verfolgten Juden eintreten, nun auch positive Beiträge zur Lösung dieser Frage beisteuern, indem sie in ihren teilweise volksleeren Kolonialgebieten Gebiete für die planmäßige Umsiedlung der Juden aus Deutschland zur Verfügung stellen.

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