Bericht aus Gotha
Zum Jahresende 1938 meldet die SD-Außenstelle Gotha in ihrem „4. Vierteljahresbericht 1938“:
Beziehungen zwischen der Stimmung in der Bevölkerung und dem Sachgebiet
Die großen politischen Ereignisse haben dazu geführt, daß endlich auch die Teile der Bevölkerung, die, wie im letzten Lagebericht gemeldet wurde, noch ständige Kunden der jüdischen Geschäftsleute waren, mehr und mehr ihre Fehler einsahen, sodaß die noch bisher in Gotha gewesenen jüdischen Geschäfte immer geringeren Zuspruch hatten. Besonders bemerkbar macht sich natürlich das Abrücken von Juden dann, als sich die größten geschichtlichen Ereignisse die Heimkehr Österreichs und der Anschluß des Sudetenlandes an Großdeutschland vollzogen hatten. Als jedoch die Nachricht von dem feigen Mordüberfall auf den Gesandtschaftsrat vom Rath2 bekannt wurde, erreichte auch hier die Stimmung gegen das Judentum ihren Höhepunkt. Wie im gesamten Reich so wurde auch in Gotha in der Nacht vom 9. zum 10.11.1938 eine allgemeine Aktion gegen die Juden durchgeführt.3 Hierbei wurden aus dem Stadt- und Landkreis Gotha insgesamt
52 männliche Juden in Haft genommen, von denen
28 in das Konzentrationslager Weimar-Buchenwald überführt wurden.
Während die Verhaftungen durchgeführt wurden brannte die Gothaer Synagoge nieder (s. Vorg. II 112 - Tgb. Nr. 65/38 Geh. vom 17.11.1938 d. Ast.).
Diese Aktion hat unter der Bevölkerung Gothas stärkste Befriedigung ausgelöst. Allerdings gab es auch hier wieder einige Ausnahmen, die das Vorgehen gegen die Juden zu scharf fanden. Bemerkenswert hierbei ist jedoch, daß befürwortende Stimmen für die Juden nicht aus Arbeiter- und Bauernkreisen kamen, sondern aus dem Lager der sogenannten ''besseren'' Kreise. […]
Wirtschaft
Infolge der im ganzen Reich durchgeführten Arisierung der jüdischen Geschäfte gingen auch in Gotha der größte Teil der jüdischen Kaufhäuser und Betriebe in arischen Besitz über. Ebenso wurden auch die Auflösungen der jüdischen Praxen bis zur Bestimmungszeit ohne Zwischenfälle durchgeführt. Die meisten jüdischen Geschäftsleute und Ärzte haben auch ihren Haushalt aufgelöst und sind zum Teil ausgewandert oder verzogen.4 Das durch die Verkäufe und Auflösungen jüdischer Betriebe festgestellte Kapital ist so groß, daß beispielsweise der Anteil an der Sühnemaßnahme5 des Reiches der im Stadt- und Landkreis wohnhaft gewesenen und wohnhaften Juden rund RM 1 Million beträgt.
Jüdische Verbindungen zum Ausland
Die z.Zt. noch in Gotha wohnenden jüdischen Familien haben naturgemäß infolge der durchgeführten Aktionen gegen die Juden, die Verbindung zum Ausland in größtem Maße wieder aufgenommen, um vor allen Dingen so unter ihren Verwandten und Bekannten die zur Einreise nötigen Bürgen zu gewinnen. Verbindungen der Juden zum Ausland in politischer oder krimineller Hinsicht konnten in der Berichtszeit nicht festgestellt werden. [...]
II 123 [Rechtsbewegung] [...]
Die Aktion gegen die Juden hat die Reaktion sehr überrascht. Gerade in diesen Kreisen spricht man immer wieder von den ''armen Juden'', die doch meistens völlig harmlos und zurückgezogen lebten.