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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Berichte aus Warburg

Am 22. November 1938 berichtet der Landrat des Kreises Warburg über die „Judenaktion“:

Über die Durchführung der Aktion gegen die Juden werden in der Öffentlichkeit nur hin und wieder Urteile laut. Allgemein schweigt sich die Bevölkerung darüber aus. Der gesamte Eindruck ist aber der, daß die Zerstörung der Synagogen und der Wohnungen der Juden mit ihrem Inventar als sinnlos bezeichnet wird. Man sagt, daß diese Zerstörung im krassen Widerspruch zum Vierjahresplan stände. Man kann es weiter nicht verstehen, daß in den Wohnungen neben Zerschlagen von Möbeln, Zerschneiden der Betten auch eingewecktes Obst und Gemüse, sowie Butter, Eier u. dgl. gegen die Wände und auf die Straße geworfen worden sind. Besonders verurteilt man die anschließende Tätigkeit der Jugend in den bereits zerstörten Wohnungen, deren Gemüt durch derartige Handlungen unnötig verroht wird.

Übel ist natürlich das gerichtliche Nachspiel gegen eine Anzahl Personen, die in Verfolg der Aktion sich der Plünderung und Erpressung schuldig gemacht haben, und die der Staatsanwaltschaft bereits vorgeführt sind und der Haftbefehl erlassen hat.

Ich füge mit der Bitte um Kenntnisnahme und Rückgabe die Berichte der Ortspolizeiverwalter zum Schreiben der Stapo - Bielefeld vom 14.11.1938 bei. Gefühlsmäßig ersieht man hieraus auch die vorsichtige Beurteilung der Aufnahme und der Stimmung in der Bevölkerung durch diese. Allgemein fasse ich mein Urteil dahin zusammen, daß überwiegend die Bevölkerung der Aktion in der durchgeführten Weise mit Zerstörung der Wohnungen, Synagogen usw. verständnislos gegenübersteht. Es herrscht darüber aber allgemeines Schweigen.

Ob die Aktion sichtbare Auswirkungen, besonders auf das WHW haben wird, vermag ich zurzeit nicht anzugeben. Die Ergebnisse der künftigen Sammlungen dürften dieses zeigen. Es ist schwer, sich zurzeit darüber ein Urteil zu bilden, weil ein allgemeines Schweigen herrscht.

 

Bereits am 18. November 1938 meldet der Bürgermeister von Warburg:

1.Die hiesige Synagoge hat nicht gebrannt, sondern ist nur beschädigt worden. Zerstört sind die innere Einrichtung, die Dachkuppel, sowie ein Teil der Umfassungswände. Der Gesamtschaden beträgt ca. 6.000,- RM.

2.3 Geschäfte sind beschädigt worden. Es handelt sich um eine kleine Farbenhandlung, einen kleinen Laden mit geringwertigen Manufakturwaren und einen kleinen Kolonialwarenladen. Bei allen drei Geschäften ist die Ladeneinrichtung sowie die Ware teilweise zerstört worden. Der Schaden beträgt für die 3 Geschäfte ca. 2.000,- RM.

Die Geschäftsinhaber sind:

a) Benedikt Baruch (Farben, Lacke und Öle) Warburg-Altstadt, Am Markt 7,
b) Albin Katz, (Manufakturwaren) Warburg-Altstadt, Langestraße 15,
c) Max Rosenthal (Kolonialwaren) Warburg-Neustadt, Kirchstraße 15

3.Arbeiter und Angestellte sind nicht erwerbslos geworden.

4.Die Gebäude Baruch und Katz sind inzwischen durch Kauf in den Besitz von Ariern übergegangen. Die bisherigen Geschäfte gehen ein, da die Käufer einen anderen Erwerbszweig haben. Auch das Geschäft Rosenthal, welches kaum einen Umsatz hat, wird eingehen.

5.Folgende Privathäuser sind beschädigt:

a) Louis Stamm, wohnhaft Warburg-Neustadt, Mittelstraße 7,
b) Siegfried Weinberg, wohnhaft Warburg-Neustadt, Adolf-Hitler-Straße 91,
c) Haus Mennerstraße 8 (früher Judenschule) Eigentümer Judengemeinde,
d) Haus an der Burg Nr. 4 (Nebenhaus der Synagoge) Eigentümer Judengemeinde.

Die Beschädigung dieser Häuser besteht in der Zertrümmerung von Fenstern und Türen, sowie Beschädigung der Wände. Der Schaden beträgt insgesamt ca. 2.000,- bis 3.000,- RM.

6.Folgende Wohnungen sind teilweise zerstört:

a) Albin Katz, Warburg-Altstadt, Langestraße 15, Teilweise Zerstörung, der inneren Einrichtung und Beschädigung von Kleidungsstücken und Wäsche. Schaden ca. 800,- RM,
b) Benedikt Baruch, Warburg-Altstadt, Am Markt 7, Beschädigung der inneren Einrichtung. Schaden ca. 200,- RM.
c) Siegfried Weinberg, Warburg-Neustadt, Adolf-Hitler-Straße 91. Zerstörung der inneren Einrichtung. Schaden ca. 3.000,- RM.
d) Robert Königsthal, Warburg-Neustadt, Adolf-Hitler-Straße 91. Zerstörung der inneren Einrichtung. Schaden ca. 3.000,- RM.
e) Moritz Mannsbach, Warburg-Neustadt, Mennerstraße 8. Zerstörung der Inneneinrichtung. Schaden ca. 5.000,- RM.
f) Aron Katz, Warburg-Neustadt, Mennerstraße 8. Zerstörung der Inneneinrichtung. Schaden ca. 1.500,- RM.
g) Ludwig Kronenberg, Warburg-Neustadt, Mennerstraße 8. Zerstörung der inneren Einrichtung. Schaden ca. 2.000,- RM.
h) Albert Adler, Warburg-Neustadt, Unterstraße 98. Zerstörung der Fenster. Schaden ca. 150,- RM.
i) Julius Steeg, Warburg-Neustadt, Kasselerstraße 10. Zertrümmerung mehrerer Fensterscheiben. Schaden ca. 40,- RM.
j) Sigmund Block, Warburg-Neustadt, Mittelstraße 24. Zertrümmerung mehrerer Fensterscheiben, Schaden ca. 60,- RM.
k) Louis Stamm, Warburg-Neustadt, Mittelstraße 7. Zertrümmerung mehrerer Fensterscheiben. Schaden ca. 120,- RM.
l) Siegfried Hirschberg, Warburg-Altstadt, An der Burg 4. Zertrümmerung der inneren Einrichtung. Schaden ca. 400,- RM.

7.Getötet oder verletzt ist keine Person.

8.Siehe beiliegende Anzeigen der Polizeihauptwachtmeister Hille und Schnitzmeier.

9.Waffen wurden bei den Durchsuchungen nicht gefunden.

10.Aus der Synagoge wurden 5 alte Bücher sichergestellt. Ob dieselben Bedeutung haben, kann hier nicht festgestellt werden, da die Bücher in häbräischer [sic] Schrift geschrieben sind.

11.Wie aus der Anzeige des Polizeihauptwachtmeisters Hille hervorgeht, sind Sachen sichergestellt. Ein Teil derselben ist bereits den Eigentümern zurückgegeben. Bei dem Rest müssen die Eigentümer noch ermittelt werden.

12.Eine Versicherung besteht weder bei der Synagoge noch bei den übrigen Gebäuden.

13.Eine Notlage befindet sich bei den einzelnen Familien der festgenommenen Juden nicht.

14.Die gegen die Juden durchgeführte Aktion wurde von der Bevölkerung allgemein als Sühne für den in Paris erfolgten Meuchelmord mit Befriedigung aufgenommen, zumal ein Teil der Juden sich durch ihr Auftreten hier sehr unbeliebt gemacht hatte. Aufgefallen war der Bevölkerung besonders das Benehmen der Juden während der Spannung zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei. Irgendwelche nachteiligen Folgen sind hier nicht zu erwarten.

 

Am gleichen Tag erstattet der Bürgermeister des Amts Warburg-Land folgenden Bericht:

Im Amtsbezirk bestand eine Synagoge , und zwar in Rimbeck. Sie ist nicht abgebrannt, sondern es ist nur die Inneneinrichtung zerstört worden. Außerdem wurden die Fensterscheiben zertrümmert. Der Schaden beläuft sich auf etwa 300,- RM.

Geschäfte oder gewerbliche Räume sind nicht verbrannt bezw. ausgebrannt; Waren oder Einrichtungen sind auch außerhalb der Geschäftsräume, etwa auf Straßen oder Plätzen, nicht verbrannt worden. Zerstörungen und Beschädigungen an Geschäftsräumen und -Einrichtungen sind bei folgenden jüdischen Geschäftsinhabern vorgekommen:

1) Hermann Lilienthal, Kaufmann, geb. 5.12.1861 in Scherfede, Baubeschlag- und Glashandlung, Scherfede Hs. Nr. 221:

Fensterscheiben wurden eingeworfen, Ladentische und Warenregale zertrümmert, Kästen mit Waren herausgerissen und die Waren umhergestreut und teilweise zertrümmert. Der Schaden beläuft sich auf etwa 3.000,- RM.

2) Siegfried Fischel, Händler, geb. 14.7.1886 in Rimbeck, Eisenwaren- und Altmaterialhandlung, Rimbeck Hs. Nr. 73:

Schaufensterscheiben und Haustürfüllungen wurden eingeschlagen, Ladeneinrichtungen jedoch nur in geringfügigem Umfange beschädigt. Die Waren wurden zum Teil zertrümmert oder beschädigt. Es ist ein Schaden von etwa 200,- RM entstanden.

3) Witwe Abraham Fischel, Rosa geb. Goldschmidt, geb. 17.1.1894 zu Beverungen, Eisenwaren- und Altmaterialhandlung, Rimbeck Hs. Nr. 67:

Zwei Schaufensterscheiben wurden zertrümmert, die Ladeneinrichtungen beschädigt und ein Teil der Waren zertrümmert. Gesamtschaden etwa 250,- RM.

4) Salomon Löwengrund, Metzger und Gastwirt, geb. 1.10.1887 zu Rimbeck, Rimbeck Hs. Nr. 99:

Es wurde eine Schaufensterscheibe zertrümmert, Inneneinrichtungen wurden nicht beschädigt oder zerstört. Wert des zertrümmerten Schaufensters 100,- RM.

In den vorstehend aufgeführten Geschäften wurden Arbeiter oder Angestellte nicht beschäftigt, sodaß Arbeitnehmer nicht arbeitslos geworden sind.

Der vorstehend zu 1) aufgeführte Jude hat sein Geschäftshaus an einen Arier verkauft; das Geschäft wird jedoch nicht weitergeführt. Wirtschaftliche Belange der Allgemeinheit werden dadurch nicht gefährdet. Die zu 2) bis 4) aufgeführten Geschäfte werden, weil die Zerstörungen und Beschädigungen nicht zu großen Umfang haben, vorläufig noch weitergeführt. Es sollen jedoch auch diese Juden den Verkauf ihrer Geschäfte und der Geschäftshäuser beabsichtigen.

Privathäuser sind nicht abgebrannt. Zerstörungen sind an folgenden jüdischen Häusern vorgekommen:

a) Wohnhaus des Juden Max Vorreuter in Scherfede, Hs. Nr. 60, geb. 28.11.1869 zu Natzungen. An seiner Wohnung nur einige Fensterscheiben zertrümmert. Der Schaden beträgt etwa 30,- RM.

b) Wohnhaus des Händlers Louis Cohen in Scherfede Hs. Nr. 45. Cohen ist am 27.1.1875 zu Scherfede geboren. Es wurden Fensterscheiben und die Scheiben der Flurtür eingeschlagen. Zwei Türschlösser wurden zerbrochen. Es ist ein Schaden von insgesamt 50,- RM entstanden.

c) Wohnhaus des Händlers und Metzgers, jetzt Arbeiters Philipp Steeg in Ossendorf Hs. Nr. 18. Steeg ist am 11.10.1899 in Daseburg, Kreis Warburg, geboren. Das Haus ist sehr stark beschädigt. Es wurde zum größten Teil abgedeckt. Fensterrahmen und Türen wurden beschädigt. Die Treppe zum Dachgeschoß wurde herausgerissen. Gesamtschaden etwa 800,- RM.

Folgende Wohnungen und Wohnungseinrichtungen wurden beschädigt:

aa ) Wohnung des zu 1) aufgeführten Juden Hermann Lilienthal in Scherfede. Es wurden beschädigt: Wohnzimmerschrank, Hängelampe, Bilder, Wanduhr, Standuhr, Grammophon, Kristallspiegel, Kronleuchter, Dauerbrenner, Wandspiegel, Aktenschrank, Möbeln im Eßzimmer und Schlafzimmer, Gardinen, Kristallgläser, Porzellan und kleinere Einrichtungen und Gebrauchsgegenstände. Gesamtschaden etwa 4000,- RM.

bb) Wohnung des zu b) genannten Händlers Louis Cohen in Scherfede. Beschädigt wurden eine Hängelampe, ein Spiegel und ein Bild. Der Schaden ist mit 20,- RM zu veranschlagen.

cc) Wohnung des zu c) aufgeführten Juden Philipp Steeg in Ossendorf. Möbel, Betten, Porzellan und kleinere Einrichtungen wurden beschädigt. Der Schaden beträgt etwa 400,- RM.

Es ist niemand ums Leben gekommen. Verletzt oder mißhandelt wurde auch niemand.

Diebstähle und Plünderungen sind nur in geringem Umfange vorgekommen. Sie lassen sich wohl auch bei solchen Vorkommnissen nicht ganz vermeiden. Die Täter sind nicht bekannt.

Auf eine öffentliche Bekanntmachung der NSDAP , Ortsgruppe Scherfede, hin, ist ein Teil der Sachen zurückgebracht worden.

An Waffen ist nur 1 Flobertbüchse gefunden worden, und zwar bei dem zu 1) aufgeführten Kaufmann Hermann Lilienthal in Scherfede. Die Waffe wurde sichergestellt.

Ein Band ''Chronik der jüdischen Gemeinde Ossendorf'' wurde sichergestellt. Der Band ist hier in Verwahrung genommen. Er stammt aus dem Gesamtarchiv der Juden in Berlin N 24, Oranienburgerstraße 29 und wurde im Hause des Juden Philipp Steeg in Ossendorf (Personalien zu c) gefunden.

Bei der Festnahme der männlichen Juden wurden dem Händler Hermann Schartenberg aus Stadtoldendorf 800,- RM und dem Buchhalter Alfred Rosenbaum aus Rimbeck 280,- RM, die diese bei sich trugen, abgenommen. Das Geld ist auf Sparbuch angelegt; Sparbücher werden bei der Amtskasse Warburg deponiert.

Ob die Synagoge gegen Diebstahl oder Beschädigungen versichert ist, konnte nicht festgestellt werden, da die männlichen Juden, und darunter solche, die darüber Auskunft geben können, inhaftiert sind. Die Geschäfte, gewerblichen Räume und Wohnungen, sowie die Warenbestände und Wohnungseinrichtungen der fraglichen Juden sind nur gegen Brandschäden versichert, nicht aber gegen Diebstahl oder Zerstörungen. Versicherungsansprüche werden daher nicht geltend gemacht.

Die Familien der Juden Gastwirt Salomon Löwengrund in Rimbeck, Arbeiter Philipp Steeg und Arbeiter Josef Dieckhof in Ossendorf (letzterem wurde zwar nichts zerstört, er ist jedoch inhaftiert) sind in einer Notlage geraten. Sie werden voraussichtlich, soweit von ihnen Anträge gestellt sind, von der öffentlichen Fürsorge betreut.

Von der Bevölkerung wurde die Aktion teils mit Zustimmung, zum Teil mit Widerspruch aufgenommen. Es wird von den Leuten, die nicht mit der Aktion einverstanden sind, angeführt, es sei nicht nötig gewesen, Werte, an deren Erhaltung die Allgemeinheit ein Interesse habe, zu zerstören. Andere vertreten die Meinung, man habe nur die Wohnungen der Juden zerstören sollen. Abfällige Äußerungen waren im Wortlaut nicht zu erhalten, mit Ausnahme einer Äußerung des Bauern Franz Hoppe in Rimbeck Hs. Nr. 69, der sich dahin ausgelassen hat, daß man es mit Idiotenstreichen zu tun habe. Der Bauer Franz Hoppe war immer schon gegen Partei und Staat eingestellt. In Rimbeck ist etwa 1/3 der Bevölkerung nicht mit der Aktion einverstanden. Allgemein sind die Stimmen jedoch, die sich für die Aktion aussprechen, sehr zahlreich. Man billigt durchaus das Vorgehen gegen die Juden. Die Plünderungen werden allerdings scharf verurteilt.

Nachteilige Auswirkungen sind nicht zu befürchten.

Die Juden selbst sollen geäußert haben, daß man die Maßnahmen erwartet habe und daß man sie auch verstehe; allerdings werden solche Äußerungen mit dem Hinweis versehen, daß man nur die Juden mit großen Vermögen habe zu der Aktion aussuchen sollen.

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