Bericht aus Witzenhausen
Am 10. November 1938 berichtet die NSDAP-Kreisleitung Witzenhausen Folgendes:
Obwohl die Kreisleitung den Befehl des Gauleiters an die in Frage kommenden Dienststellen weitergegeben hat des Inhalts, daß irgendwelche Sonderaktionen in Judenangelegenheiten zu unterbleiben haben, sammelten sich in der Nacht vom 8 auf 9. November in den Straßen Witzenhausens Tausende von Volksgenossen, um ihren Unwillen an dem feigen Mord des jüdischen Bengels Grünspan (Grynszpan ) Ausdruck zu verleihen. Es konnte einem Ansturm auf die Synagoge , die Judenschule und dem Privathaus eines bekannten frechen Juden aus Witzenhausen, namens Hecht, nicht Einhalt geboten werden. Innerhalb kürzester Zeit lagen die Fensterscheiben auf den Höfen, ein Teil der Inneneinrichtungen der genannten Häuser ist erheblich beschädigt worden. Der Ortsgruppenleiter Pg . Dr. Pfalzgraf und der Kreisgeschäftsführer Pg . Schröder aus Witzenhausen forderten die Menge auf, nach Hause zu gehen, was schließlich auch geschah.
Gestern Abend waren im Kreis allgemein Gedenkfeiern zum 9. November angesetzt. So auch in der Kreisstadt Witzenhausen. Die SA hatte von mir Anweisung dafür zu sorgen, daß keinerlei weitere Einzelaktionen durchgeführt würden. Ebenso ließ ich die Polizei anweisen, ihr Augenmerk auf Einzelaktionen zu richten. Während der Feierstunde vor dem Kriegerdenkmal in Witzenhausen fing die am Tage vorher zerstörte Synagoge an in Flammen aufzugehen. Da einige Stunden vorher der jüdische Rabbiner noch in der Synagoge gesehen wurde, muß angenommen werden, daß die Brandstiftung von ihm selbst ausging. Meine Feststellungen haben jedenfalls ergeben, daß die Partei oder eine ihrer Gliederungen dafür keinesfalls in Frage kommt.
Ich habe soeben nochmals den Herrn Landrat, den Herrn Bürgermeister, den zuständigen SS - und SA-Führer angewiesen, nunmehr dafür zu sorgen, daß Einzelaktionen dieser Art zu unterbleiben haben und für den Kreis Witzenhausen diese Angelegenheit abgeschlossen ist.
Die männlichen Juden jeglichen Alters, die in Witzenhausen ansässig sind, verließen gestern Abend nachweislich zwischen 4 und 9 Uhr die Stadt. Als heute vormittag ihre Sicherstellung veranlaßt werden sollte, war kaum mehr einer aufzufinden. Es ist im Augenblick nicht bekannt, in welcher Richtung sie das weite suchten.
Der Bürgermeister aus Witzenhausen ist veranlaßt worden, mit den Aufräumungsarbeiten sofort beginnen zu lassen damit die Merkmale des Volkszorns möglichst schnell wieder verschwinden.