Bericht aus Salzkotten
Am 17. November berichtete die Amtsverwaltung Salzkotten Folgendes über die „Judenaktion“:
Im Amtsbezirk des Amtes Salzkotten - Boke sind Juden bezw. jüdische Familien nur in den Gemeinden Salzkotten und Verne - Ortsteil Klein-Verne, - der unmittelbar an das Stadtgebiet Salzkotten in den letzten Jahrzehnten vor der Machtübernahme mit Bezug auf die arische Bevölkerung prozentual als die judenreichste Gemeinde im Paderborner-Lande gegolten hat. Am 9.11.1938 waren in Salzkotten und Verne polizeilich 19 erwachsene männliche und 26 erwachsene weibliche Juden gemeldet. Nach dem Ergebnis der Personenstandsaufnahme vom 10.10.1938 zählten die Gemeinde Salzkotten insgesamt 3.942 und die Gemeinde Verne insgesamt 1.519 Einwohner. Aus den Gemeinden Salzkotten und Verne sind 15 männliche Juden am 10.11.1938 in Schutzhaft genommen; ich beziehe mich in dieser Hinsicht auf meinen Bericht vom 11.11.38.
Die angeschnittenen Fragen werden wie folgt beantwortet:
Zu 1./ Unbekannte Täter haben in der Nacht vom 9. zum 10. des Monats die Synagoge in der Stadt Salzkotten aufgebrochen und im Inneren mit Äxten und anderen Brechwerkzeugen vollständig zerstört. Eine zahlreiche Menschenmenge hat am Nachmittag des 10.11.1938 in der Synagoge alsdann noch Feuer angelegt. Die Synagoge ist in etwa 4 Stunden vollkommen ausgebrannt. Die Feuerlöschpolizei hat sich zur Beseitigung der Gefahren, die den Straßenpassanten zukünftig bedroht hätten, veranlaßt gesehen, die Reste der Umfassungsmauern niederzureißen. In meiner Eigenschaft als Bürgermeister der Stadt Salzkotten habe ich die alsdann noch verbliebenen Schuttmassen, die das Stadtbild über alle Maßen verschandelten, durch städtische Arbeiter abfahren lassen. Die Synagoge war bei der Gladbacher Feuerversicherung gegen Feuer versichert, und zwar hinsichtlich des Gebäudes mit 5.000 RM und hinsichtlich des Inventars ebenfalls mit 5.000 RM. Da von der Synagoge auch Reste nicht mehr vorhanden sind, handelt es sich vorliegend um einen Totalschaden.
2./ Geschäfte und gewerbliche Räume sind nirgendwo verbrannt. Am Nachmittag des 10.11. hat eine große Menschenmenge mit Steinen alle Schaufensterscheiben der Geschäfte Isaak Auerbach, Salzkotten, Markt 37, und Julius Hecht, Manufakturwaren, Salzkotten No. 277, eingeworfen. Die Schaufensterauslagen, Haus- und Küchengeräte sowie Manufakturwaren, sind polizeilich sichergestellt worden und inzwischen den Eigentümern wieder zur Verfügung gestellt. Der Schaden beträgt unter Einschluß der zerstörten Rolläden bei Auerbach schätzungsweise 400 RM und bei Hecht 800 RM. Isaak Auerbach ist geboren am 24.1.1863 zu Salzkotten, Julius Hecht am 21.3.1871 zu Verne, beide sind verheiratet und unzweifelhaft vermögend.
3./ Keine.
4./ Die zu 2./ genannten Geschäfte sind geschlossen. Auerbach hat selbst seinen Warenbestand an den Arier Josef Griese verkauft; Frau Hecht will mit den [sic] Warenverkauf bis zur Entlassung ihres Mannes aus der Schutzhaft warten. Treuhänder sind nirgends eingesetzt.
5./ Privathäuser sind nirgendwo abgebrannt. Am 10.11.1938 hat die Volksmenge die Fensterscheiben an den Wohnungen:
a) des Viehhändlers Josef Blumenfeld, geb. 22.4.1880 zu Salzkotten, wohnhaft Klein-Verne No. 12,
b) des Viehhändlers Simon Grünberg, geb. 27.10.1879, wohnhaft in Salzkotten, Bahnhofsstr. 319 a,
c) des Viehhändlers Julius Goldschmidt, geb. am 3.3.1885 zu Münster, wohnhaft Salzkotten, Westernstr. 291,
d) des Viehhändlers Otto Herz, geb. 22.10.1877 zu Nümbrecht, wohnhaft Salzkotten, Osternstr. 337,
e) des Viehhändlers Ludwig Cohn, geb. 25.3.1897 zu Salzkotten, wohnhaft Salzkotten, Markt 45,
f) Witwe Max Blumenfeld, geb. am 14.9.1891, wohnhaft in Salzkotten, Klingelstr. 115
eingeschlagen bezw. eingeworfen. In der Nacht vom 9. zum 10.11. waren bereits die Fensterscheiben an der Wohnung der einen Kolonialwarenhandel betreibenden Berta Kleeberg, geb. am 11.12.1879 in Salzkotten, wohnhaft Salzkotten, Markt 7 eingeschlagen worden. Der Gesamtschaden einschl. der teilweise in Mitleidenschaft gezogenen Rolläden wird auf 500 RM geschätzt.
6./ Wohnungseinrichtungen sind nirgendwo zerstört oder beschädigt worden.
7./ Getötet, verletzt oder mißhandelt ist während der gesamten Aktion gegen die Juden niemand.
8./ Es ist ein Fall des versuchten gemeinschaftlichen schweren Einbruchdiebstahls zur amtlichen Kenntnis gelangt. Die Abschrift der Anzeige zur Sache, auf die ich mich beziehe, wird in doppelten Stücken angeschlossen mit der Bitte um weitere Entscheidung vorgelegt. Die Urschrift der Anzeige ist für die Zwecke der Vernehmung der Beschuldigten zurückgehalten. Plünderungen und Erpressungen sind in keinem Falle vorgekommen.
9./ Die Angehörigen des Julius Hecht haben 1 alte unbrauchbare Armeepistole und einen Schützensäbel abgeliefert. Moritz Hecht, geb. am 27.2.1897, wohnhaft bei seinem Vetter Julius Hecht, hat einen alten Reitersäbel (Model 1870) abgeliefert. Bei Ludwig Cohn sind 2 Kavalleriedegen (Model 1870 und 1914) vorgefunden.
10./ Archivmaterial ist nirgends sichergestellt. Jedoch wurde bei Julius Hecht zur Sicherung vor Vernichtung eine Kiste mit Geschäftspapieren in polizeiliches Gewahrsam genommen, da er der Steuerhinterziehung dringend verdächtig erscheint. Hecht ist kürzlich vom Finanzamt Paderborn wegen Steuerhinterziehung mit 3.500 RM bestraft worden. Das Finanzamt Paderborn ist zur Sache zwecks Entscheidung über eine Beschlagnahme nach den Bestimmungen der Reichsabgabenordnung unmittelbar unterrichtet; es hat durch einen Beamten soeben die Freigabe verfügt.
11./ Josef Blumenfeld hat bei der Verhängung der Schutzhaft vor seinem Abtransport eine Geldbörse mit 317,75 RM im Polizeibüro abgegeben. Das Geld ist bei der Amtskasse in Hinterlegung genommen. Bankguthaben und Wertgegenstände sind nicht sichergestellt worden. Um ein Abhören der ausländischen Sender durch die Juden zu verhüten, sind seitens der Ortspolizeibehörde verschiedene Rundfunkgeräte in den Wohnungen der Juden sichergestellt, die jedoch sämtlich heute wieder ausgeliefert werden. Seitens des SS -Sturmes Büren sind am 11.11.1938 bei den Juden Herz und Blumenfeld je ein Personenkraftwagen und bei Herz außerdem ein, dem Juden Examus gehörendes Kraftrad, sichergestellt. Die Kraftfahrzeuge sind dem Vernehmen nach seitens des SS-Sturmes nach Büren überführt.
12./ Hinsichtlich der Synagoge beziehe ich mich auf die Ausführungen zu Ziffer 1./. Die Tochter des Julius Hecht hat angegeben, daß ihr Vater gegen Aufruhrschäden mit 20.000 RM versichert sei; die Versicherungsgesellschaft ist der Familie jedoch unbekannt. Die im übrigen verlangten Feststellungen konnten in der Kürze der Zeit nicht getroffen werden, da für die Berichterstattung nur einige Stunden zur Verfügung stehen.
13./ Die alleinstehende Mutter des in Schutzhaft genommenen Alfred Examus, die schwer krebsleidend ist, ist auf ärztliche Anordnung am 12.11.1938 dem hiesigen Krankenhaus auf Kosten der öffentlichen Fürsorge überwiesen. Erna Examus, geb. 19.12.1898, ledig, die Ehefrau Ella Goldschmidt, geb. 28.8.1889, verh. mit Julius Goldschmidt, haben Anträge auf Gewährung von Fürsorgeunterstützung nach den gesetzlichen Richtsätzen gestellt. Den Anträgen wird entsprochen werden müssen.
14./ Personen, die abfällige Äußerungen getan haben, konnten namentlich nicht ermittelt werden. Die Aktion ist hinsichtlich der Zerstörung der Synagoge als Symbol des Judentums schlechthin in allen Teilen der Bevölkerung durchaus zustimmend aufgenommen worden. Eine unzweifelhaft zustimmende Beurteilung hat auch die Festnahme der arbeitsunfähigen männlichen Juden erfahren, wobei man lediglich allgemein bedauerte, daß die übelsten Juden der Systemzeit heute wegen ihrer inzwischen erfolgten Auswanderung nicht mehr aufgegriffen werden konnten. Weniger Zustimmung, wenn nicht sogar eine Ablehnung, hat die Tatsache der Zerstörung der Schaufensterscheiben erfahren. Der größere Teil der Bevölkerung empfand diese Maßnahme bei der bekannten Notwendigkeit einer sparsamen Haushaltung mit Verbrauchsgütern aller Art als in Widerspruch mit den Grundsätzen des Vierjahresplanes stehend und vertritt die Auffassung, daß diese Zerstörung besser unterblieben wäre, zumal es schwierig ist, neue Schaufensterscheiben bei der allgemein bevorstehenden Arisierung der Geschäfte alsbald neu zu beschaffen. Mißstimmung herrscht auch darüber, daß einmal Ortsfremde am Nachmittag des 10.11.1938 zunächst die Zerstörung in Gang brachten, darüber hinaus vor allem aber Schulkinder zur Beteiligung bezw. Durchführung des Zerstörungszweckes aufforderten, da das vom erzieherischen Standpunkte aus für die Jugend gefährlich sei. Die Auferlegung einer Kontribution von 1 Milliarde Reichsmark ist allenthalben zustimmend bezw. freudigst begrüßt worden. Nachteilige Auswirkungen sind zu erwarten; die Bevölkerung befürchtet lediglich Schädigungen für deutsche Geschäfte bezw. Deutsche im Auslande.